Terror plangemäß verwalten

Untersuchungsausschuss Während die CDU/CSU mit internen Querelen den Parlamentsbetrieb blockierten, warteten Opfer und Angehörige des Attentats vom Breitscheidplatz auf den Sitzungsbeginn.

Eine Handvoll Journalisten wartet gemeinsam mit Opfern und Angehörigen im Bundestag. „Sitzungsbeginn 12 Uhr“ – das Display vor dem Saal 4.900 im Paul-Löbe-Haus liegt sehr oft falsch, wenn es darum geht, den Sitzungsbeginn kundzutun. Mal verlängert sich eine Beratungssitzung. Mal sorgt eine namentliche Abstimmung für einen verspäteten Beginn. Heute ist es die CDU/CSU-Fraktion. Offenbar haben sich Teile der CSU dazu entschlossen, den Koalitionsvertrag aggressiv nachverhandeln zu wollen. Man spricht von Asylstreit und setzt bildlich gesprochen Angela Merkel die Waffe auf die Brust: „Entweder du tust, was wir wollen, oder wir machen, was wir wollen.“ Ob, wann und wie dieser Schuss für die CSU nach hinten losgeht, werden die nächsten Tage zeigen.

Arbeitspläne

Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) erhält kurz vor Sitzungsbeginn von einem Überlebenden und Ersthelfer eine schriftliche Aussage, die Beamte des BKA bereits vor über einem Jahr entgegennahmen. Passiert ist seither nichts. Der Mann will Aufklärung und wartet seit nun fünf Stunden geduldig auf den Sitzungsbeginn. Politik und Behörden indes haben Zeit.

Ausschuss ist das, was passiert, während die Tagesordnung etwas anderes sagt. Von den insgesamt vier Zeugen bleiben an diesem Tag nur noch zwei. Zeuge Gilbert Siebertz vom Bundesamt für Verfassungsschutz wurde schon lange vor den CDU/CSU-Querelen aus Zeitgründen von der Liste gestrichen. Die Tagesordnung war mit vier Zeugen deutlich zu ambitioniert. Von Siebertz erhofften sich die Abgeordneten Hinweise auf V-Leute im Umfeld des Attentäters. Da es um eine Geheimdienstangelegenheit geht, sperren sich die zuständigen Stellen im Kanzleramt und bei den Geheimdiensten jedoch gegen die Herausgabe von Akten. Zudem dürften Zeugen aus den verantwortlichen Behörden auch in diesem Ausschuss wieder über strikt formulierte Aussagegenehmigungen an der kurzen Leine gehalten werden.

Axel Kühn (BKA/Staatsschutz)

Auch für die Aussage des Sonderermittlers des Berliner Senats Bruno Jost reicht das kurze Zeitfenster an diesem chaotischen Tag nicht mehr, denn bereits um 20 Uhr soll mit Mohamed Ali D. ein Zeuge in nicht-öffentlicher Sitzung vernommen werden, der im Jahr 2016 mit dem Attentäter über mehrere Monate zusammenwohnte. Das eilt, denn die Mühlen der Verwaltung mahlen weiter und setzen Abschiebungen durch, so dass den Untersuchungsausschüssen relevante Zeugen abhanden kommen.

Falscher Mann am falschen Platz

Zeuge Axel Kühn aus dem BKA-Referat ST51 in Meckenheim wurde auf Empfehlung der Zeugin Sabine Wenningmann geladen. Sie sagte in der vergangenen Sitzung zum Verbindungsbeamtensystem aus. 67 Kontaktbeamte des BKA seien in 99 Ländern verteilt. Eine von drei Säulen der internationalen Kooperation, die aus Interpol, dem deutschen Verbindungsbeamtensystem und den internationalen Verbindungsbeamten in Deutschland bestehe.

Das Bild, das Kühn von den internationalen Kooperationen zeichnet, die den Terror bekämpfen sollen, ist ernüchternd. Kühn führt aus, dass für die internationale Kooperation erst mühsam Telefonlisten und Organigramme erstellt werden mussten, um im Falle eines relevanten Vorfalls auch direkt an die ausländischen Behörden kommunizieren zu können, die gerade telefonisch erreichbar seien. „Da kam es vor, dass Stellen über das Wochenende oder nach 18 Uhr einfach nicht besetzt sind“, schildert Kühn, warnt aber zugleich davor, ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum auf EU-Ebene zu etablieren. Seiner Einschätzung nach reiche es aus, wenn sich nur die Länder vernetzten, die von Terrorismus direkt betroffen seien. Derzeit befasse man sich in der internationalen Kooperation auch mit dem Aspekt, wie mit rückkehrenden Kämpfern aus Kriegsgebieten verfahren werden soll.

Auf dem Weg zur Farce

Kühn wirkt bemüht, ein professionelles Bild von der Arbeit des BKA abzugeben und schildert den Obleuten die Strukturen der internationalen Zusammenarbeit bei Europol. Wissen, dass sich der Ausschuss auch durch Aktenstudium und Organigramme hätte erarbeiten können.

Die Obfrau der Linken, Martina Renner, behält die Beweissicherung im Auge und fragt, inwieweit das Moratorium zur Aktenlöschung auch Akten einschließe, die sich auf das Umfeld des Attentäters bezögen. Kühn kann dazu nichts sagen, denn mit dem Fall des Attentäters, wäre er nicht befasst gewesen. Renner will wissen, ob das BKA zur Übersetzung von Chats, die in arabisch geführt würden, auch den Google-Übersetzer benutze. Kühn schildert den Einsatz von Sprachmittlern, will aber auch nicht ausschließen, dass mitunter der dazu wenig geeignete Onlinedienst verwendet würde.

„Wir fragen uns, wen müssen wir eigentlich fragen?“, bringt es der FDP-Obmann Benjamin Strasser in der wenig ergiebigen Sitzung auf den Punkt. Kühn verweist auf Zeugin Wenningmann. Auch der Obmann der Grünen, Konstantin von Notz, ist auf der Suche nach geeigneten Zeugen: „Herr Kühn: Wen sollen wir laden?“ Kühn ist überfordert: „Das kommt auf die Frage an.“

Geduld ist gefragt

Nach zweieinhalb Stunden endet die Befragung des Zeugen Kühn. Abgeordnete, Mitarbeiter und Zuschauer verlassen den Saal mit einem für Untersuchungsausschüsse typischen Bild: eine Bundesregierung, die nur zögerlich oder gar keine Akteneinsicht geben will. Auf die Herausgabe von Akten, die die Arbeit des BND und des Verfassungsschutzes betreffen, müssen die Parlamentarier mühsam und zeitaufwändig klagen. Zeugen sind nicht auskunftsfähig, und die Obleute, denen die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns obliegt, treten auf der Stelle.

Die Überlebenden und Angehörigen der Opfer sind ernüchtert über den Verlauf der Sitzung und hoffen, dass mit ihrer Anwesenheit an den Sitzungstagen weder die Obleute noch die Bundesregierung aus den Augen verlieren, dass es um Aufklärung gehen soll.

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