- Heute hörten wir zwei Zeugen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
Frau Jaqueline Wagner und Herrn Michael Wolter. - Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Reduktion durch Redundanz“
Schlagwort: Gilbert Siebertz (Seite 1 von 1)
Die große Koalition kocht derzeit ein ganz eigenes Süppchen. Ein kleines Kochrezept für die Reduktion von Medienöffentlichkeit rund um das Attentat vom Breitscheidplatz.
Ein Sitzungstag ‒ so vorhersehbar in den Abläufen wie in seinem Endergebnis. Ohne die achtköpfige Reisegruppe aus Münster wäre die Besuchertribüne mit kaum mehr als zehn Menschen gefüllt gewesen. Darunter bereits zwei Saalpolizisten. Auch Medienvertreter sind bei der Vernehmung der LaGeSo-Zeugen kaum zu finden. Ein freier Hörfunkjournalist der ARD und ein Journalist vom Hausmedium des Bundestags: Stammgäste auf der Tribüne.
Bei anderen Medien scheitert der Ausschuss. Das müsste so nicht sein und ist wohl der Taktik der CDU/CSU zu verdanken, die von der SPD mitgetragen und von der Opposition kritisiert wird. Als sich in den Pressegesprächen bei Linksfraktion und Grünen abzeichnet, dass in dieser Woche nur Wunschzeugen der Koalition öffentlich vernommen werden, winkt Redaktion für Redaktion ab.
Das Thema sei ohnehin nur schwer im Programm zu platzieren, ist zu vernehmen. Ohne den Verfassungsschutzzeugen in öffentlicher Sitzung lohne sich der Tag nicht. Zwei große Zeitungen kommen noch zum Pressehintergrundgespräch bei den Grünen, sparen sich dann aber den Weg in den Ausschuss. Zu Recht.
Es passiert wenig. Wenn überhaupt etwas zu Tage gefördert wird ‒ so weiß man aus den vergangenen Sitzungen ‒ dann erst, nachdem die Zeugen der Koalition gehört wurden. Zeugen, an denen sich die Abgeordneten der CDU/CSU langwierig abarbeiten. Zeugen, die wiederholen, was bereits in Expertenanhörungen im Mai über die Aufnahme von Asylbewerbern gesagt wurde: 2015 war die Erfassung der Geflüchteten ineffektiv und fehlerträchtig. Fingerabdrücke wurden mit Tinte und Papier erfasst und erst so spät digitalisiert, dass eine deutschlandweite Abfrage gar nicht möglich war. Mehrfacherfassungen kamen vor, auch weil Sprachmittler eben keine ausgebildeten Dolmetscher sind und es keine einheitlichen Regeln für die Übersetzung vom arabischen ins lateinische Schriftbild gab.
Aktualität
Auch in dieser Sitzung erläutern Zeugin und Zeuge ihre Routineaufgaben im Jahr 2015. Alles problematisch. Alles bedauerlich. Alles kritikwürdig. Aber eben auch alles schon mehrfach durch Experten beschrieben und längst Teil des Allgemeinwissens. Nachzulesen in der Presse und in Ausschussakten und Gutachten der Landesausschüsse.
Zeuge Michael Wolter hat sich mit einem Rechtsbeistand aus Potsdam ausgestattet. Nötig wäre das nicht gewesen, denn seine Arbeit hat er unter den damals gegebenen Bedingungen vorbildlich erledigt. Ob des irregeleiteten Gesprächsbedarfs der CDU/CSU kann die Begleitung aber nicht schaden. Obleute der Regierungsfraktionen und der AfD fragen ungläubig, warum Sprachmittler nicht vermerken, wenn bei der Ersterfassung von Geflüchteten der gesprochene Dialekt Zweifel an der angegebenen Herkunft nahelegen.
Wolter beschreibt den Fragenden, unter denen sich Juristen und Verwaltungshochschuldozenten befinden, dass ein Sprachmittler, der in der Ersterfassung arbeitet, eben kein amtlich vereidigter Übersetzer ist, wie sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Einsatz kommen. Für eine rechtsverbindliche Aussage sind Sprachmittler nicht hinreichend qualifiziert.
Seine Kollegin Jacqueline Wagner beschreibt, dass sie zu viele Fälle pro Tag bearbeiten musste und hätte gerne die notwendigen zwanzig Minuten Bearbeitungszeit pro Fall gehabt. Doch es musste schnell gehen. Als Sachkundige waren beide zudem sehr bald dafür zuständig, Hilfskräfte bei den Erfassungsprozessen anzuleiten.
Nun sitzen Wagner und Wolter vor dem Ausschuss, weil ihre Computeraccounts von eben diesen Hilfskräften mitbenutzt worden waren. Hilfskräfte, die teilweise auch aus dem Wachbataillon der Bundeswehr kamen, während sich an anderer Stelle in Deutschland ein offenbar rechtsradikaler Soldat unter die Asylantragstellenden mischte und wohl das Ziel verfolgte, einen Anschlag zu begehen, der dann den Geflüchteten untergeschoben werden sollte. Filmstoff, den sich niemand ausdenken kann.
Dienste schützen um jeden Preis
Aus gesundheitlichen Gründen war Verfassungsschutzzeuge Eric Rehnsdorf eine öffentliche Vernehmung nicht zuzumuten, heißt es. Ohnehin lohne sich eine auf zwei Stunden limitierte öffentliche Vernehmung ob der zu erwartenden langatmigen, oft plump durchgeführten CDU/CSU-Verzögerungsspielchen nicht.
Hinter verschlossenen Türen hörte der Ausschuss dann erneut den Zeugen Gilbert Siebertz und hofft auf eine zeitnahe Genesung von Rehnsdorf. Nach der nächsten Sitzung am 29.11.2018 blicken die Parlamentarier auf neun Monate Ausschussarbeit zurück und können einige wenige Erkenntnisse aus den Befragungen von Oppositionszeuginnen verzeichnen, dafür aber reichlich haarklein sezierte und dokumentierte Routinevorgänge deutschen Verwaltungshandelns. Aufklärung geht anders.
Parteiinteressen versus Aufklärung
Derweil hofft die AfD-Fraktion darauf, wieder einmal Stimmung gegen Kanzlerin Merkel machen zu können. Zu spät hätte man sich um die Digitalisierung gekümmert, die es erst 2016 möglich machte, Finger- und Handabdrücke zu erfassen. Die immer wieder ausgelegten Einladungen der AfD, doch mal richtig auf die Kanzlerin und die Willkommenskultur zu schimpfen, ignorieren die Behördenmitarbeiter_innen überwiegend und bleiben neutral.
Ordentlich Jagdtrieb legen Linke, Grüne und auch die FDP an den Tag, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Niema Movassat fragt noch pflichtschuldig nach eventuellen Kontakten zu Nachrichtendiensten, was jedoch verneint wird. In anderen Sitzungen bringt es Movassat aber auch schon einmal schnell auf den Punkt: „Wir haben keine Fragen in öffentlicher Sitzung.“
Das ist kein Desinteresse. Zu oft schon hatten die Zeugen der Koalition bereits nach 15 Minuten erschöpfend Auskunft erteilt, um daraufhin weitere 15 Minuten paraphrasierte Fragen zu beantworten und sich in der restlichen Zeit sichtlich zu wundern, warum sie immer noch befragt wurden. Schließlich hatten sie doch ihre Aussage bereits vor den Landesuntersuchungsausschüssen in NRW oder Berlin gemacht.
Die Vertreter der SPD tragen die schlecht getarnte Verzögerungstaktik der CDU/CSU mit und verzichten fast gänzlich auf die Jagd. Ein bisschen Empörung ob des Verfassungsschutzpräsidenten – Pflichtprogramm als Sidekick für die Partei, die hier den Ton angibt.
Fehlgeleiteter Unions-Elan
So leidenschaftlich und hartnäckig sich die Unionsparteien mit den Routinevorgängen befassen, so still sind sie, wenn es darum geht, über ihre Ausschussarbeit zu sprechen.
Eine proaktive Pressearbeit findet rund um den Ausschuss seitens der ansonsten umtriebigen CDU/CSU nicht statt. Rund 700 Pressemeldungen pumpte die CDU/CSU im Jahr 2018 bisher in die Postfächer der Abonnenten. Pressemeldungen zum Untersuchungsausschuss sucht man vergebens, seit dieser im März 2018 angekündigt wurde. Im Kontext „Untersuchungsausschuss“ gibt es auf der Presseseite der Union zwar reichlich Treffer, jedoch eben nur in Bezug auf den geforderten Ausschuss zum BAMF, der sich mittlerweile als Luftnummer aus dem rechtskonservativen Lager herausstellte.
Auch auf den Twitteraccounts der ansonsten mitteilungsfreudigen Unionsabgeordneten ist kaum etwas zu finden. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster nutzte das Thema im Oktober kurz, um dem mittlerweile Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen beizuspringen. Im September verteidigte Schuster den mittlerweile als Verschwörungstheorethiker enttarnten Maaßen noch anlässlich einer Untersuchungsausschusssitzung und forderte die anwesenden Journalist_innen zu „einem fairen Umgang“ auf.
Das Beharren auf der chronologischen Aufarbeitung aller Stationen des späteren Attentäters wird dafür sorgen, dass erst in einigen Monaten, vielleicht auch erst im Jahr 2020 das Geschehen am Anschlagstag im Ausschuss zum Thema wird. Ganz schön unfair, falls der immer wieder drohende Koalitionsbruch irgendwann zu Neuwahlen führt und damit der Untersuchungsausschuss enden würde.
Schrödingers Verfassungsschutz
Berlin ist immer eine Reise wert. Das wissen jetzt auch zwei weitere Zeugen, die wenig Erhellendes beitragen, während der Verfassungsschutzzeuge mauert
Kaum 45 Minuten brauchen die sechs Bundestagsfraktionen, um ihre Fragen an die beiden Zeugen aus der Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete in Ellwangen zu richten, die nach Berlin eingeladen wurden. Beide haben keine Erinnerung an den Attentäter, weil sie in den Jahren 2015 und 2016 in einem Massenverfahren täglich über mehrere Stunden Geflüchtete erfassten und die Erstaufnahmestelle mehr als das Doppelte der vorgesehenen Kapazitäten aufnehmen musste.
Alles nicht neu
Sowohl die Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtungen als auch die Herausforderungen bei der Erfassung der ankommenden Geflüchteten zählen seit der Expertenanhörung in der ersten öffentlichen Sitzung zum Allgemeinwissen des Ausschusses. Die von den Regierungsfraktionen gewünschte chronologische Vorgehensweise in der Aufarbeitung wird auch in Zukunft dafür sorgen, dass Zeugen ihre Aussagen wiederholen müssen, die sie bereits vor anderen Untersuchungsausschüssen abgegeben haben. Dabei könnten deren Erkenntnisse, so denn wirklich gebraucht, auch durch Beiziehung von Protokollen in den Bundestagsausschuss einfließen.
Mit dem Zeugen Thilo Bork beginnt der relevante Teil des Ausschusstages. Zuständig für die Beschaffung von Informationen zählt Bork mit den Zeugen Freimuth, Siebertz und C. M. (in geheimer Sitzung vernommen) zu den Personen, die im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für islamistischen Terrorismus zuständig sind.
Show must go on
Bork trommelt fleißig für den Verfassungsschutz. Sein Eingangsstatement habe er selbst verfasst. Die Entscheidung dafür sei jedoch „ein Mix“ aus eigener Motivation und dem Zuraten seines Chefs und Borks Ehefrau gewesen. Was überwiegend klingt wie ein Wikipedia-Eintrag zum Verfassungsschutz und ganz auf der Linie vom designierten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ist, garniert Bork mit reichlich Street-Credibility.
Der angeblich 1970 geborene Bork sagt aus: „Ich habe angefangen in der Beschaffung, auch als Quellenführer. Das heißt, ich war auf der Straße. … Ich kann sagen, dass ich meine zu wissen, wovon ich spreche.“ Bork weiß um die Probleme, die sein Job mit sich bringt: „Selbst wenn man Leute kennenlernen will, schafft man es nicht immer, Leute auch kennenzulernen.“ Zeuge Bork ist sichtlich bemüht, die Erzählung aufrechtzuerhalten, der Verfassungsschutz habe mit dem Fall des Attentäters nichts zu tun gehabt.
In seinem Reden schwingt ein Unterton mit, dass ohnehin nur Verfassungsschützer wirklich verstehen, was Verfassungsschützer tun. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, warum Journalisten und Parlamentarier den Eindruck haben, es hätte rund um den Attentäter nur so von V-Leuten, Informanten und Quellen gewimmelt, die durch zahlreiche Behörden in die Fussilet-Moschee entsandt worden wären. Die Moschee ist einer von vielen „Hotspots“, die nach der Beschreibung von Bork immer wieder für einen kurzen Zeitraum in die Aufmerksamkeit von Behörden gerieten und dann wieder an Relevanz verlören.
Der Trommler vom Verfassungsschutz
Bork will die Definitionshoheit des BfV erhalten. „Wir haben eine andere Definition des nachrichtendienstlichen Umfeldbegriffs“, reizt Bork die Geduld des Grünenparlamentariers Konstantin von Notz. „Wahrscheinlich waren eben doch fünf Leute im direkten Umfeld von Amri in der Fussilet-Moschee. … aber Sie sagen jeden Tag in jede Kamera, es sei niemand dran gewesen“, kritisiert von Notz die Verfassungsschutzerzählung.
Dabei ist zunächst einmal nachvollziehbar, was Verfassungsschutzmann Bork beschreibt. Ein Attentäter, der im Geheimen vorgeht, wird nicht unbedingt viel Wert auf einen großen Freundeskreis legen und sich bereitwillig mit immer neuen Menschen treffen. Unglaubwürdig wird das Handeln des Verfassungsschutzes und anderer Behörden aber spätestens am 15. Juni 2016, als der spätere Attentäter aus der Observation genommen wurde und dennoch bis zum November 2016 immer wieder auf den Tagesordnungen des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ stand.
Behördenübergreifend war der Attentäter insgesamt elf Mal auf den Tagesordnungen. Wo die Fakten stören, braucht es eine neue Sprache. „Im Umfeld von Amri waren wir nicht vertreten“, sagt Zeuge Bork aus und meint wohl das nachrichtendienstliche Umfeld. Im allgemeinsprachlichen Verständnis von „Umfeld“, das Parlamentarier und Öffentlichkeit pflegen, gab es mindestens Kontakte zu einer Mitfahrgelegenheit und einem Wohnungsgeber. Es gab Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten zur Person des späteren Attentäters. Und es darf davon ausgegangen werden, dass Quellen des Verfassungsschutzes und der Polizeien, die den Attentäter später auf Lichtbildvorlagen erkannten, auch in den Moscheen zugegen waren, in denen der Attentäter ein und aus ging.
Ziemlich viel, was auf der Umfeldliste zusammenkommt. Und da hilft der Begriff des „nachrichtendienstlichen Umfeldes“ schon sehr, wenn das Adjektiv „nachrichtendienstlich“ die Bedeutung des Wortes „Umfeld“ nötigenfalls ins Gegenteil verkehren kann. Ein Paradoxon, das von der Beteiligung des Verfassungsschutzes ablenken soll, der unter keinen Umständen verantwortlich dafür sein will, dass es trotz aller Beobachtungs- und Analysemaßnahmen immer ein Restrisiko gibt, dass ein Attentäter so geheim agiert, dass er den Behörden entgeht.
Verheerendes Bild
Einen Fehler einzugestehen, scheint unmöglich. Doch statt sich nun bedeckt zu halten, lässt Zeuge Bork keine Gelegenheit ungenutzt, Angst zu verbreiten. Man hätte es damals mit einer mittleren dreistelligen Zahl an Gefährdern zu tun gehabt, die ähnlich problematisch gewesen wären wie der Attentäter. Während sich die Zuhörenden unweigerlich ausmalen, was der Effekt wäre, würden alle diese potentiellen Attentäter so handeln, wie es am Breitscheidplatz geschah, schrumpft die im Raum stehende Zahl.
Als Obleute nachhaken, wie viele der Gefährder denn potentielle Attentäter seien, spricht Zeuge Bork von einem zweistelligen Bereich bis hin zu dem Eingeständnis, eigentlich keine genaue Zahl nennen zu können. „Ein verheerendes Bild, das vom Verfassungsschutz dadurch in der Öffentlichkeit entsteht“, resümiert Konstantin von Notz.
Hinweis und Triggerwarnung:
In der heutigen Folge des UAPod.Berlin kommen mit Astrid und Andreas eine Angehörige und ein Opfer des Attentats zu Wort. Wir finden, es ist wichtig diese Perspektive abzubilden. Wir möchten aber vermeiden durch zu häufige Interviews den Prozess der psychologischen Aufarbeitung zu beeinträchtigen. Sowohl bei den Interviewten, als auch bei unsereren Hörenden. Die Beschreibungen können verstörend und belastend wirken. Wer das vermeiden möchte, sollte auf den letzten Teil des Podcasts verzichten . Wir bedanken uns bei Astrid und Andreas für ihre Bereitschaft, sich in der heutigen Folge zu äußern und sind jederzeit dafür offen, euch erneut Raum zu geben.
- „Semantisches Schmierentheater“, Daniel Lücking zum Sitzungstag
Semantisches Schmierentheater
Untersuchungsausschuss Heute hüh, morgen hott! Was zunächst als offener Widerspruch gegenüber Hans-Georg Maaßen galt, wird nun revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück
Heute hüh, morgen hott … Was in der vergangenen Sitzung noch als offener Widerspruch gegenüber dem Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen galt, wurde in der Sitzung vom 27. September 2018 durch einen Vorgesetzten revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück.
Das vom Verfassungsschutz für seine Mitarbeiterin gewählte Pseudonym „Freimuth“ ordnet Wikipedia als bei Schriftstellern beliebt ein, „die damit signalisierten, dass der Inhalt ihrer Veröffentlichung um seiner Offenheit willen nur unter Pseudonym veröffentlicht werden könne.“
Während der Aussage von Lia Freimuth wurde klar, dass sie im offenen Widerspruch zu jenem Narrativ steht, das vom Noch-Behördenleiter Hans-Georg Maaßen so sorgsam verbreitet wurde.
Zwei Wochen später steht ihre Aussage im Widerspruch zu einem weiteren Vorgesetzten: Zeuge Gilbert Siebertz ist Islamwissenschaftler und leitender Regierungsdirektor. Sein Dienstposten ist zwei Verantwortungsebenen höher angesiedelt als der von Lia Freimuth. Getreu dem vertrauten Motto einer jeden Hierarchie – „Ober sticht Unter“ – rückt Siebertz die Aussage seiner Mitarbeiterin nun ins rechte Licht.
Fachkompetenz im Arbeitsbereich
Wie nah er noch an konkreten Themen rund um den Islamismus arbeitet, lässt sich angesichts seiner Führungsverantwortung für fünf Referate mit untergeordneten Referatsleitern und Referentinnen wie Lia Freimuth nur schwierig herausfinden. In seiner Funktion war Siebertz zwar an der Beantwortung mehrerer kleiner Anfragen des Bundestages rund um den Themenkomplex beteiligt, schaffte es aber in keine der elf Sitzungen im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ), in denen der Attentäter im Jahr 2016 vor dem Anschlag ein Thema war.
Obgleich seine Mitarbeiterin beschrieb, dass es eine Personenakte zum Attentäter gegeben hätte, dieser auch in mehreren Sachakten vorgekommen und mehrfach im Beisein der Kriminalämter und der Verfassungsschützer ein Thema im GTAZ gewesen wäre, äußert Siebertz gegenüber dem Ausschussvorsitzenden Armin Schuster (CDU/CSU):
Siebertz: „Nein, wir haben ihn nicht nachrichtendienstlich überwacht.“
Schuster: „Haben Sie nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt?“
Siebertz: „Das kommt auf die Definition an. … Wir haben V-Leute in Betracht gezogen.“
Im vermeintlichen Umfeld des späteren Attentäters wurden im Februar und März 2016 sogenannte Lichtbildvorlagen gezeigt. Ein Vorhalt ohne Nennung eines Namens oder eines konkreten Verdachts. Jedenfalls formal, wenn man davon absieht, dass es sich bei den fragenden Personen um Verfassungsschützer und bei den gefragten um Menschen muslimischen Glaubens handelt. Die so angesprochenen Quellen vermochten sich erst nach dem Attentat an die Person des Attentäters zu erinnern.
Für Zeuge Siebertz sind all diese Maßnahmen aber kein Grund, an der Aussage seines Amtschefs zu rütteln, und auch er gibt an, der Attentäter wäre ein „reiner Polizeifall“ gewesen und die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden im GTAZ sei gut.
Semantische Haarspaltereien
Dass in der Öffentlichkeit durch den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der Eindruck entstanden sei, es hätte sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, bezeichnet er als missverständlich formuliert. Schließlich kämen bei einer nachrichtendienstlichen Beobachtung nicht zwingend auch ,nachrichtendienstliche Mittel“ zum Einsatz.
„Missverständlich, aber nicht falsch“ wären auch wohl die Antworten auf kleine Anfragen gewesen, gibt der Beamte zu Protokoll, während im Saal die Lust auf semantische Haarspaltereien längst vergangen ist. Auf die direkte Frage „Wie viele V-Leute hatten Sie in der Fussilet-Moschee, die nicht mit dem Auftrag da rein sind, aber mit dem Attentäter Kontakt hatten?“ erhält der Ausschussvorsitzende Armin Schuster den Platzverweis vom Innenministerium: „Nur in geheimer Sitzung.“
Für die Zuschauenden bleibt die Frage, wann die Behördenleitung des BfV Sprach- und Semantikkurse erhält, damit ihre Antworten und Meldungen nicht wiederholt so „missverständlich, aber nicht falsch“ in die Öffentlichkeit gelangen.
Für weitere Erläuterungen ihrer Zeugenaussage hoffen die Ausschussmitglieder der Grünen und der Linksfraktion nun auf eine baldige Genesung der Zeugin Lia Freimuth, die aus gesundheitlichen Gründen heute nicht erneut befragt werden konnte.
Neben Siebertz wurde an diesem Tag erneut in geheimer Sitzung der Sonderbeauftragte des Landes Berlin Bruno Jost gehört, sowie ein weiterer Zeuge des BfV, der als V-Mann-Führer eingesetzt war.
Terror plangemäß verwalten
Untersuchungsausschuss Während die CDU/CSU mit internen Querelen den Parlamentsbetrieb blockierten, warteten Opfer und Angehörige des Attentats vom Breitscheidplatz auf den Sitzungsbeginn.
Eine Handvoll Journalisten wartet gemeinsam mit Opfern und Angehörigen im Bundestag. „Sitzungsbeginn 12 Uhr“ – das Display vor dem Saal 4.900 im Paul-Löbe-Haus liegt sehr oft falsch, wenn es darum geht, den Sitzungsbeginn kundzutun. Mal verlängert sich eine Beratungssitzung. Mal sorgt eine namentliche Abstimmung für einen verspäteten Beginn. Heute ist es die CDU/CSU-Fraktion. Offenbar haben sich Teile der CSU dazu entschlossen, den Koalitionsvertrag aggressiv nachverhandeln zu wollen. Man spricht von Asylstreit und setzt bildlich gesprochen Angela Merkel die Waffe auf die Brust: „Entweder du tust, was wir wollen, oder wir machen, was wir wollen.“ Ob, wann und wie dieser Schuss für die CSU nach hinten losgeht, werden die nächsten Tage zeigen.
Arbeitspläne
Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) erhält kurz vor Sitzungsbeginn von einem Überlebenden und Ersthelfer eine schriftliche Aussage, die Beamte des BKA bereits vor über einem Jahr entgegennahmen. Passiert ist seither nichts. Der Mann will Aufklärung und wartet seit nun fünf Stunden geduldig auf den Sitzungsbeginn. Politik und Behörden indes haben Zeit.
Ausschuss ist das, was passiert, während die Tagesordnung etwas anderes sagt. Von den insgesamt vier Zeugen bleiben an diesem Tag nur noch zwei. Zeuge Gilbert Siebertz vom Bundesamt für Verfassungsschutz wurde schon lange vor den CDU/CSU-Querelen aus Zeitgründen von der Liste gestrichen. Die Tagesordnung war mit vier Zeugen deutlich zu ambitioniert. Von Siebertz erhofften sich die Abgeordneten Hinweise auf V-Leute im Umfeld des Attentäters. Da es um eine Geheimdienstangelegenheit geht, sperren sich die zuständigen Stellen im Kanzleramt und bei den Geheimdiensten jedoch gegen die Herausgabe von Akten. Zudem dürften Zeugen aus den verantwortlichen Behörden auch in diesem Ausschuss wieder über strikt formulierte Aussagegenehmigungen an der kurzen Leine gehalten werden.