Der Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 eingesetzt, der nun zum ersten Mal öffentlich tagte.

Der Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 eingesetzt, der nun zum ersten Mal öffentlich tagte. In der ersten Sitzung waren Experten zum Thema Asyl- und Aufenthaltsrecht geladen. Ein Fragenkomplex von vielen.

Für die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden dürfte vor allem die Frage nach der Verantwortung im Raum stehen. Wie konnte dieser Anschlag passieren? Warum haben Behörden, die doch scheinbar alle Informationen über den Attentäter zur Verfügung hatten, den Gefährder nicht festgenommen? Wie groß die Aufgabe ist, macht der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) zu Beginn deutlich.
Es sind rund 50 Behörden, deren Arbeit im Laufe der nächsten Jahre zu untersuchen sein wird. „Wichtig bleibt: wir dürfen die Überlebenden und Opfer des Anschlags bei aller politischen Diskussion nicht vergessen, “ sagt Schuster.

Überfordert

Die geladenen Rechtsexperten zeichnen einhellig das Bild einer überforderten Verwaltung. Überfordert vor allem dadurch, dass sich das Asyl- und Aufenthaltsrecht so schnell und so oft änderte. Rund 30 Änderungen seit 2011 – insgesamt vier bis fünf pro Jahr – brachten die mit der Umsetzung beauftragten Menschen an die Grenze des leistbaren. „Das änderte sich so schnell, dass wir schon gar keine Kommentierungen mehr erstellen konnten. Extrem schwierig für Praktiker“ sagt Anwalt Thomas Oberhäuser und der Fachanwalt für Migrationsrecht pflichtet ihm bei: „Etwas mehr Gelassenheit bei der Gesetzgebung wäre hilfreich für die Anwender.“

Alle Bildrechte verbleiben bei Stella Schiffczyk

Aus seiner fast zwanzigjährigen Berufspraxis bei einer Ausländerbehörde berichtet der kurzfristig von der AfD beorderte Experte Dieter Amann. Seine Ausführungen reduzieren das komplexe Problem schlussendlich jedoch immer wieder nur auf die Anzahl Geflüchteten.

Die Überforderung bei den Bearbeitern möchte niemand leugnen, doch dürfe das nicht den Geflüchteten angelastet werden, macht Fachanwalt Rolf Stahmann deutlich.

Qualität der Daten: mangelhaft – Quantität: zu gut

Schon bei der Erfassung der Geflüchteten beginnen die Herausforderungen für die Bearbeiter. Die Übertragungen der Namen aus dem arabischen in das westliche Schriftbild sind oft fehlerträchtig. So kann es passieren, dass ein Mann einmal unter dem Vornamen „Muhammad“ , später dann unter „Mohammed“ erfasst wird und fortan in unterschiedlichen Datenbanken mehrfach existiert.

Erst das Datenaustauschverbesserungsgesetz aus dem Jahr 2016 schaffte nach Meinung der Experten Abhilfe, da nun Fingerabdrücke auf Länderebene miteinander verglichen werden könnten. Doch was hilft all das, wenn es gut 10.000 Datenbanken gibt, die deutschlandweit relevant sein können, wenn es um die Zuordnung einer Person geht?

Gefährder oder nicht?

Der Attentäter vom Breitscheidplatz brachte die Behörden an eine besondere Grenze. Da er über mehrere Bundesländer und sehr verteilt agierte, ergaben sich in den einzelnen Bundesländern nach Meinung der Experten wohl nicht genügend Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit. Und nicht nur auf Bundesebene bräuchte es eine bessere Koordination. Es gebe schon innerhalb der Bundesländer eine Fülle von unterschiedlichen Aktivitäten, die zwischen Sicherheitsbehörden und Ausländerbehörden nicht sinnvoll abgesprochen scheinen, meint Rechtswissenschaftler Professor Kay Heilbronner.
Vor den geplanten Ankerzentren in denen Geflüchtete dann über die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens untergebracht sind, warnte der Fachanwalt für Migrationsrecht Rolf Stahmann. Die Aufenthaltsverfahren dauern mitunter drei Jahre, in denen die Menschen großen psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Durch die Unterbringung kasernen- und lagerartigen Ankerzentren kann keine Integration der Menschen stattfinden.

Bessere Qualifizierung der Bearbeiter, Anwerbung von geeignetem Personal, besser Koordination zwischen den Behörden und eine Überarbeitung des Ausländerzentralregisters – nur einige von vielen Punkten auf der Liste an notwendigen Maßnahmen. Doch letztlich kann auch ein optimal funktionierendes System keine kriminellen Energien oder eine versteckt stattfindende Anschlagplanung unterbinden.

Der Artikel ist auf DerFreitag Community erschienen

 

Video: Daniel Lücking
Pressestatements zur Expertenanhörung „Vollzug des Aufenthalts- und Asylrechts im föderalen Gefüge“