Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Breitscheidplatz (Seite 3 von 3)

9. Sitzung am 11. Oktober 2018 – Über Schwarzfahrer und ein U-Boot

Über Schwarzfahrer und ein U-Boot

Parlamentarier besprechen langwierig ein Routineverfahren, während der Aufreger dieser Woche hinter verschlossenen Türen behandelt wird

 

Bastian Kioschis (Staatsanwaltschaft Offenburg)

Kaum 40 Minuten dauerte die Vernehmung eines Staatsanwaltes, der eine Schwarzfahrt des späteren Attentäters vom Breitscheidplatz nicht weiterverfolgte. Aufgrund des vorliegenden Namens und der bis dato sauberen Weste gab es keine Ansatzpunkte für eine Strafverfolgung.

Da sich der Untersuchungsausschuss mehrheitlich darauf geeinigt hatte, die Vorgänge zwischen der Ankunft des späteren Attentäters und dem 19. Dezember 2016 chronologisch aufzuarbeiten, reiste der 1. Staatsanwalt Bastian Kioschis eigens aus Offenburg an. Die Faszination für einen juristischen Routinevorgang hält sich jedoch in Grenzen. Noch während der ersten Fragerunde winkt Niema Movassat mit einem freundlichen „Guten Tag Herr Kioschis. Wir von der Linksfraktion haben keine weiteren Fragen an Sie“ ab.

Linke und Grüne kritisieren die chronologische Aufarbeitung, die durch die Ausschussmehrheit von CDU/CSU und SPD als Rahmen gesetzt wird. Auf der Liste der weniger relevanten Zeugen standen bereits der Polizist, bei dem der spätere Attentäter Asyl beantragte, ein Staatsanwalt, der ein Routineverfahren wegen illegaler Einreise führte, sowie nun Kioschis, der selbstbewusst und souverän auftritt, sich aber der nachrangigen Bedeutung bewusst ist.

Ein zweiter Zeuge, der ins Visier der Obleute von CDU/CSU geriet, kann heute aufgrund einer Erkrankung nicht aussagen. Bahnbrechende Informationen seien vom ihm, dem Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, ohnehin nicht zu erwarten, da er nach Aussagen der Oppositionsvertreter lediglich erklären würde, dass der spätere Attentäter niemals in der Erstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe aufgetaucht wäre.

U-Boot auf Schwarzfahrt

Medienberichte der Zeitung „Welt“ brachten in der vergangenen Woche eine „Schwarzfahrt“ der besonderen Art ans Tageslicht. Die Vertreterin des Bundesinnenministeriums Frau Dr. Haarmann hatte dem Untersuchungsausschuss verschwiegen, dass sie im Untersuchungszeitraum im Bundesamt für Verfassungsschutz eingesetzt war. Im Rahmen ihrer Aufgaben behandelte sie bis ins Jahr 2016 Fälle aus dem direkten Umfeld des späteren Attentäters und beobachtete Personen wie dessen Wohnungsgeber in Berlin und einen Kontakt zu einer Moschee in Dortmund.

Haarmann hatte in ihrer Funktion nicht nur Zugang zu allen Akten des Untersuchungsausschusses, sondern bearbeitete auch schon kurz nach dem Attentat parlamentarische Anfragen zum Fall. In öffentlichen Sitzungen intervenierte sie während der Aussagen von Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz und wollte selbst die Nennung von Personennamen nicht zulassen, die längst presseöffentlich durch Gerichtsverfahren bekannt waren.

Über einen Zeitraum von gut sechs Monaten nahm Haarmann an Beratungssitzungen teil, in denen die Obleute über den weiteren Ablauf der Ermittlungen sprachen, und begleitete auch die nicht-öffentlichen Zeugenvernehmungen.

Obwohl die Empörung über diesen Vertrauensbruch fraktionsübergreifend einhellig ist, fallen die Reaktionen der Parlamentarier_innen unterschiedlich aus. Während der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) keine Einschränkungen für die Ausschussarbeit erkannt haben will, findet Martina Renner (Linksfraktion) deutlichere Worte: „Der Vorwurf ist nicht nur, dass man die Zeugeneigenschaft von Frau H. gegenüber dem Ausschuss absichtlich verschwiegen hat, sondern auch, dass die Zeugin H. ihre Rolle in diesem Ausschuss dazu genutzt hat, andere Zeugen und Zeuginnen zu beeinflussen, bestimmte Komplexe, Personen oder Themen nicht dem Ausschuss zu offenbaren.“

Sabotage des Ausschusses

Der Vorwurf steht im Raum, dass das Bundesinnenministerium den Ausschuss in seiner Arbeit behindert. Zum Rapport in nicht-öffentlicher Sitzung erschien der Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Bundesinnenministerium Stefan Kaller. „Uns trat das Ministerium mit einer Mischung aus Arroganz, Ignoranz und Respektlosigkeit entgegen. Ein Problembewusstsein war in keiner Weise erkennbar“, beschreibt Fritz Felgentreu (SPD) das Auftreten von Kaller.

Am Rande werden Vorwürfe laut, Obleute hätten den Namen von Dr. Haarmann öffentlich genannt und damit Schutzinteressen verletzt. Ein Name, der in öffentlichen Sitzungen auf einem Namensschild gut leserlich platziert war, während Haarmann in einer Funktion dort saß, die in vergleichbaren Ausschüssen erwartbar Gegenstand der Berichterstattung von Journalisten werden kann. Selbst wenn es ein legitimes Schutzinteresse für Haarmann gibt, ist es nach sechs Monaten öffentlicher Ausschussarbeit naiv, davon auszugehen, es würde ausreichen, künftig nur von „Frau Dr. H.“ zu sprechen.

Für die Ermittlungsarbeit der Parlamentarier bedeutet die Personalie der H. ein zusätzliches Pensum an Arbeit. Aussagen müssen erneut kritisch gelesen werden. An welchen Punkten intervenierte H. bei Zeugenaussagen? Welche Unterlagen zum Fall des Attentäters haben Schnittmengen mit den von H. bearbeiteten Fällen?

Arbeitserschwernisse, bei denen Martina Renner notfalls zu drastischen Mitteln greifen will, die über die Vereidigung von Zeuginnen und Zeugen hinausgehen. Renner zieht Mittel in Betracht, die bei einem Untersuchungsausschuss in den 1960ern zur Anwendung kamen: „Damals haben eine sehr selbstbewusste Opposition mit auch sehr selbstbewussten Parlamentariern der Regierungsparteien gemeinsam die Entscheidung getroffen, die Bundesregierung von einem Teil der Beweisaufnahme auszuschließen.“ Renner führt aus, dass es keinen Rechtsanspruch der Bundesregierung gibt, bei der Beweisaufnahme zugegen zu sein.

Aufklärung geht anders

Mit der Personalie H., die von einer Position der Exekutive aus in die Arbeit der Legislative wirkte und dort theoretisch auch die Möglichkeit hatte, eventuelle Versäumnisse zu kaschieren, stellte das Bundesinnenministerium nicht nur die Gewaltenteilung auf eine harte Probe. Auch in den Reihen der Opfer und Hinterbliebenen des Attentats herrscht über die aktuellen Entwicklungen im Ausschuss Unmut.

Bei einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel, die Aufklärung versprochen hat, drängten sie darauf, dass den Untersuchungsausschüssen ungeschwärzte Akten zur Verfügung gestellt werden. Die chronologische Vorgehensweise des Ausschusses wird dafür sorgen, dass die Aufarbeitung der Erlebnisse noch Jahre andauert. „Ich will wissen, was rund um den 19.12.2016 passiert ist und nicht, wann der Attentäter mal schwarzgefahren ist“, bringt es eine Hinterbliebene auf den Punkt.

UAPOD.Berlin – Folge 002 vom 27.09.2018

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Hinweis und Triggerwarnung:
In der heutigen Folge des UAPod.Berlin kommen mit Astrid und Andreas eine Angehörige und ein Opfer des Attentats zu Wort. Wir finden, es ist wichtig diese Perspektive abzubilden. Wir möchten aber vermeiden durch zu häufige Interviews den Prozess der psychologischen Aufarbeitung zu beeinträchtigen. Sowohl bei den Interviewten, als auch bei unsereren Hörenden. Die Beschreibungen können verstörend und belastend wirken. Wer das vermeiden möchte, sollte auf den letzten Teil des Podcasts verzichten . Wir bedanken uns bei Astrid und Andreas für ihre Bereitschaft, sich in der heutigen Folge zu äußern und sind jederzeit dafür offen, euch erneut Raum zu geben.


		

8. Sitzung am 27. September 2018 – Semantisches Schmierentheater

Semantisches Schmierentheater

Untersuchungsausschuss Heute hüh, morgen hott! Was zunächst als offener Widerspruch gegenüber Hans-Georg Maaßen galt, wird nun revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück

Gilbert Sibertz vom Bundesamt für Verfassungsschutz

Heute hüh, morgen hott … Was in der vergangenen Sitzung noch als offener Widerspruch gegenüber dem Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen galt, wurde in der Sitzung vom 27. September 2018 durch einen Vorgesetzten revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück.

Das vom Verfassungsschutz für seine Mitarbeiterin gewählte Pseudonym „Freimuth“ ordnet Wikipedia als bei Schriftstellern beliebt ein, „die damit signalisierten, dass der Inhalt ihrer Veröffentlichung um seiner Offenheit willen nur unter Pseudonym veröffentlicht werden könne.“

Während der Aussage von Lia Freimuth wurde klar, dass sie im offenen Widerspruch zu jenem Narrativ steht, das vom Noch-Behördenleiter Hans-Georg Maaßen so sorgsam verbreitet wurde.

Zwei Wochen später steht ihre Aussage im Widerspruch zu einem weiteren Vorgesetzten: Zeuge Gilbert Siebertz ist Islamwissenschaftler und leitender Regierungsdirektor. Sein Dienstposten ist zwei Verantwortungsebenen höher angesiedelt als der von Lia Freimuth. Getreu dem vertrauten Motto einer jeden Hierarchie – „Ober sticht Unter“ – rückt Siebertz die Aussage seiner Mitarbeiterin nun ins rechte Licht.

 

Fachkompetenz im Arbeitsbereich

Wie nah er noch an konkreten Themen rund um den Islamismus arbeitet, lässt sich angesichts seiner Führungsverantwortung für fünf Referate mit untergeordneten Referatsleitern und Referentinnen wie Lia Freimuth nur schwierig herausfinden. In seiner Funktion war Siebertz zwar an der Beantwortung mehrerer kleiner Anfragen des Bundestages rund um den Themenkomplex beteiligt, schaffte es aber in keine der elf Sitzungen im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ), in denen der Attentäter im Jahr 2016 vor dem Anschlag ein Thema war.

Obgleich seine Mitarbeiterin beschrieb, dass es eine Personenakte zum Attentäter gegeben hätte, dieser auch in mehreren Sachakten vorgekommen und mehrfach im Beisein der Kriminalämter und der Verfassungsschützer ein Thema im GTAZ gewesen wäre, äußert Siebertz gegenüber dem Ausschussvorsitzenden Armin Schuster (CDU/CSU):

Siebertz: „Nein, wir haben ihn nicht nachrichtendienstlich überwacht.“
Schuster: „Haben Sie nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt?“
Siebertz: „Das kommt auf die Definition an. … Wir haben V-Leute in Betracht gezogen.“

Im vermeintlichen Umfeld des späteren Attentäters wurden im Februar und März 2016 sogenannte Lichtbildvorlagen gezeigt. Ein Vorhalt ohne Nennung eines Namens oder eines konkreten Verdachts. Jedenfalls formal, wenn man davon absieht, dass es sich bei den fragenden Personen um Verfassungsschützer und bei den gefragten um Menschen muslimischen Glaubens handelt. Die so angesprochenen Quellen vermochten sich erst nach dem Attentat an die Person des Attentäters zu erinnern.

Für Zeuge Siebertz sind all diese Maßnahmen aber kein Grund, an der Aussage seines Amtschefs zu rütteln, und auch er gibt an, der Attentäter wäre ein „reiner Polizeifall“ gewesen und die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden im GTAZ sei gut.

 

Semantische Haarspaltereien

Dass in der Öffentlichkeit durch den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der Eindruck entstanden sei, es hätte sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, bezeichnet er als missverständlich formuliert. Schließlich kämen bei einer nachrichtendienstlichen Beobachtung nicht zwingend auch ,nachrichtendienstliche Mittel“ zum Einsatz.

„Missverständlich, aber nicht falsch“ wären auch wohl die Antworten auf kleine Anfragen gewesen, gibt der Beamte zu Protokoll, während im Saal die Lust auf semantische Haarspaltereien längst vergangen ist. Auf die direkte Frage „Wie viele V-Leute hatten Sie in der Fussilet-Moschee, die nicht mit dem Auftrag da rein sind, aber mit dem Attentäter Kontakt hatten?“ erhält der Ausschussvorsitzende Armin Schuster den Platzverweis vom Innenministerium: „Nur in geheimer Sitzung.“

Für die Zuschauenden bleibt die Frage, wann die Behördenleitung des BfV Sprach- und Semantikkurse erhält, damit ihre Antworten und Meldungen nicht wiederholt so „missverständlich, aber nicht falsch“ in die Öffentlichkeit gelangen.

Für weitere Erläuterungen ihrer Zeugenaussage hoffen die Ausschussmitglieder der Grünen und der Linksfraktion nun auf eine baldige Genesung der Zeugin Lia Freimuth, die aus gesundheitlichen Gründen heute nicht erneut befragt werden konnte.

Neben Siebertz wurde an diesem Tag erneut in geheimer Sitzung der Sonderbeauftragte des Landes Berlin Bruno Jost gehört, sowie ein weiterer Zeuge des BfV, der als V-Mann-Führer eingesetzt war.

UAPOD.Berlin – Folge 001 vom 13.09.2018

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Links zur Sendung:

7. Sitzung am 13. September 2018 – Mehr Aufklärung bitte!

Es darf getrost als leidiges Spiel der Bundesregierung bezeichnet werden: Auch im Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatzattentat werden wieder alle Register gezogen, um die Aufklärung zu verschleppen. Eine Strategie, die vor allem an den Nerven von Opfern und Hinterbliebenen zerrt.

Der Sitzungsstart nach der Sommerpause wirkt enthusiastisch. Der FDP-Obmann Benjamin Strasser verkündet via Pressemitteilung:

„Der Beschluss des BGH [Bundesgerichtshof] ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen im Ausschuss. Umfassende Aufklärung kann nur mit einem umfassenden Aktenbestand erfolgen. Das Mauern der Regierung ist bereits beim ersten Versuch krachend gescheitert! Es kann nicht Aufgabe der Opposition sein, sich jeden Zeugen und jede Akte vor einem Gericht erstreiten zu müssen.“

Gemeinsam mit Grünen und Linken hatte die FDP vor dem BGH geklagt. Sie wollen Zugang zu den Informationen beim Bundesnachrichtendienst (BND) und beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die den Attentäter betreffen. Ein Täter, der sich nicht nur in Deutschland über alle Ländergrenzen hinweg bewegte und damit die föderalen Strukturen narrte, sondern auch international den Ermittlern und Geheimdiensten – so wirkt es im Nachhinein – scheinbar wie ein Stück Seife immer wieder entglitt.

Eher heiße Kartoffel als glitschige Seife

Nach der Erklärung, warum jedwede nationale und internationale Kooperation zwischen Geheimdiensten und Polizeien scheiterte, der Datenaustausch nicht zeitgerecht klappte und am Ende zwölf Menschen das Leben verloren sowie mindestens 147 Menschen seelische und körperliche Verletzungen davon trugen, sucht der Ausschuss seit April. Schon in den ersten Sitzungen wurde deutlich, dass der Attentäter wohl eher mit einer heißen Kartoffel zu vergleichen ist, die niemand lange in der Hand behalten wollte.

Hans-Georg Maaßen war die Kartoffel offenbar deutlich zu heiß. Im Abschlussbericht des Sonderbeauftragten Bruno Jost, der für den Berliner Senat das Handeln der Berliner Behörden, z. B. des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), untersuchte, heißt es:

„Soweit aus den hier vorliegenden Akten ersichtlich, spielten die deutschen Nachrichtendienste (hier BfV, LfV Berlin und BND) sowohl im Vorfeld des Anschlags vom 19.12.2016 als auch bei der Aufklärung und Aufarbeitung des Verbrechens eine bemerkenswert bedeutungslose Rolle.“

Eine Rolle, die der Sonderbeauftragte hinterfragte und daraufhin eine eindeutige Aussage erhielt:

„Das BfV hat hierzu auf meine Anfrage vom 10.5.2017 am 17.5.2017 mitgeteilt, es habe vor dem Anschlag keine eigenen Informationen zu AMRI besessen und auch keine eigene Informationsbeschaffung zu AMRI betrieben.“

Einsturz des Lügengebäudes

Seit der Presseberichterstattung über einen möglichen V-Mann im direkten Umfeld des Attentäters bröckelt das Bild von einem desaströsen Polizeieinsatz, das von Maaßen prominent befeuert wurde. „Wir hatten es hier mit einem reinen Polizeifall zu tun, der in den zuständigen Bundesländern bearbeitet wurde“, zitiert die Berliner Zeitung den Verfassungsschutzchef aus März 2017 und weiß auch um Maaßens weitere Äußerungen im Dezember 2017, die in die gleiche Richtung gehen.

Auch andere Bundesbehörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wirken der Aufklärung entgegen. Zeugen und Kontakte aus dem Umfeld des Attentäters gehen verloren. „Gefährder kann wegen Abschiebung nicht befragt werden“, berichtet rbb24 Ende Juli 2018 aus dem Untersuchungsausschuss des Berliner Senats.

Wie muss das auf die Opfer und Hinterbliebenen des Attentats wirken? Ihnen versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel schon am Morgen nach der Tat: „Sie wird aufgeklärt werden – in jedem Detail, und sie wird bestraft werden, so hart es unsere Gesetze verlangen.“?

Maaßen wird unhaltbar

Nach der Aussage der BfV-Analystin Lia Freimuth vor dem Untersuchungsausschuss könnte der Widerspruch nicht größer sein. Nach einigem Lavieren um die Aussagegenehmigung wird klar, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur schon wenige Monate nach der Ankunft von Amri in Deutschland begonnen hatte, eine Personenakte zu führen, sondern auch, dass nachrichtendienstliche Mittel zum Einsatz kamen.

Der spätere Attentäter sei mit mehreren Gefährdern vernetzt gewesen, die alle im Zuständigkeitsbereich der Bearbeiterin lagen. Mehr ist in der öffentlichen Sitzung nicht in Erfahrung zu bringen.

Die Aussage macht deutlich: Maaßen hätte mit einem frühzeitigen Eingeständnis der Kenntnisse über das Netzwerk auch die Abschiebung von Zeugen verhindern können.

Für keine Peinlichkeit zu schade

Unter den Augen von Angehörigen und Opfern des Breitscheidplatzattentates halten sich die Obleute und Parlamentarier der Kanzlerinnenpartei ausgiebigst mit Details der Ankunft des Attentäters in Deutschland auf. Ein Zeuge vom Polizeirevier Freiburg-Nord wird befragt, dessen Bedeutung für diesen Fall ebenso nachrangig ist wie die des Oberamtsanwalts aus Freiburg, der ein Standardverfahren abzuarbeiten hatte, das gegen jeden Asylbewerber angestrengt wird.

Wenig relevante Informationen erarbeiten und kein Fehlverhalten eingestehen – das scheint die Devise derjenigen zu sein, die der Regierung nahestehen. Behördenvertreter wie auch Parlamentarier der CDU/CSU. All das unter peinlich berührter Duldung durch den Koalitionspartner SPD, der auch in diesem Ausschuss wieder einmal nicht anders kann, als die CDU/CSU irgendwie gewähren zu lassen, zugleich aber nicht allzu abhängig aussehen will.

Als Beschäftigungstherapie für die Oppositionsparteien dürften die weiteren nötigen Klagen einzuordnen sein. Als Novum bezeichnet Martina Renner von der Linksfraktion die Verweigerung, einen V-Mann-Führer und Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz laden zu dürfen.

Auch um die Aktenlage ist es nicht gut bestellt. Während der Sitzung arbeitete Konstantin von Notz in einem öffentlichen Disput mit dem Innenministerium heraus, dass wesentliche Akten – darunter auch die Personenakte des Attentäters, die im BfV geführt wurde – nicht zugeliefert wurden. Zeugen scheinen, wie auch in anderen Untersuchungsausschüssen, weiterhin in der Lage zu sein, sich umfangreich mit ungeschwärztem Aktenmaterial auf ihre Vernehmung vorzubereiten, das Abgeordneten, Obleuten und Ausschussmitarbeitern nicht einmal in umfassend geschwärzten Versionen vorliegt.

Respekt vor den Opfern fehlt

In einem offenen Brief bitten seit dieser Woche die Hinterbliebenen des Terroranschlages die Länder- und Bundesbehörden darum, „im Sinne einer umfassenden Aufklärung zusammen zu arbeiten“.

Der Behördenchef des BfV steht nach wie vor an die Spitze einer Desinformationskampagne, die alle Verantwortung den Länderpolizeien zuschiebt, statt im Sinne einer zeitgemäßen Fehlerkultur einzugestehen, dass es Fehleinschätzungen oder Informationsdefizite gegeben hat.

Stattdessen hätte Maaßen den Geheimdienstgremien, Innenausschüssen und Sonderermittlern auch Fakten liefern können, die begründen, warum eine Geheimhaltung weiterhin zwingend erforderlich ist. Doch Maaßen bevorzugt Lügen. Unter diesen Voraussetzungen kann die Kanzlerin ihr Versprechen nicht einlösen.

[Episode NULL] UAPOD.Berlin – Hallo aus dem Bundestag

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Links zur Sendung:

  • Bundestag – 1. Untersuchungsausschuss
    Ein Service des Deutschen Bundestags. Hier findet ihr Tagesordnungen, Gutachten, sowie Informationen über die Obleute und Abgeordneten. Die Abteilung Presse und Kommunikation stellt Kurzartikel zum Sitzungsgeschehen zur Verfügung.
  • Expertenanhörung „Vollzug des Aufenthalts- und Asylrechts im föderalen Gefüge“, Aufzeichnung vom 19.04.2018
  • Expertenanhörung „Gewaltbereiter Islamismus und Radikalisierungsprozesse“, Aufzeichnung vom 26.04.2018
  • Expertenanhörung „Förderale Sicherheitsarchitektur“ , Aufzeichnung vom 17.05.2018
  • Anmeldung zur Sitzungsteilnahme als Zuschauer_in unter 1.untersuchungsausschuss@bundestag.de

5. Sitzung am 14. Juni 2018 – Terror Plangemäß verwalten

Terror plangemäß verwalten

Untersuchungsausschuss Während die CDU/CSU mit internen Querelen den Parlamentsbetrieb blockierten, warteten Opfer und Angehörige des Attentats vom Breitscheidplatz auf den Sitzungsbeginn.

Eine Handvoll Journalisten wartet gemeinsam mit Opfern und Angehörigen im Bundestag. „Sitzungsbeginn 12 Uhr“ – das Display vor dem Saal 4.900 im Paul-Löbe-Haus liegt sehr oft falsch, wenn es darum geht, den Sitzungsbeginn kundzutun. Mal verlängert sich eine Beratungssitzung. Mal sorgt eine namentliche Abstimmung für einen verspäteten Beginn. Heute ist es die CDU/CSU-Fraktion. Offenbar haben sich Teile der CSU dazu entschlossen, den Koalitionsvertrag aggressiv nachverhandeln zu wollen. Man spricht von Asylstreit und setzt bildlich gesprochen Angela Merkel die Waffe auf die Brust: „Entweder du tust, was wir wollen, oder wir machen, was wir wollen.“ Ob, wann und wie dieser Schuss für die CSU nach hinten losgeht, werden die nächsten Tage zeigen.

Arbeitspläne

Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) erhält kurz vor Sitzungsbeginn von einem Überlebenden und Ersthelfer eine schriftliche Aussage, die Beamte des BKA bereits vor über einem Jahr entgegennahmen. Passiert ist seither nichts. Der Mann will Aufklärung und wartet seit nun fünf Stunden geduldig auf den Sitzungsbeginn. Politik und Behörden indes haben Zeit.

Ausschuss ist das, was passiert, während die Tagesordnung etwas anderes sagt. Von den insgesamt vier Zeugen bleiben an diesem Tag nur noch zwei. Zeuge Gilbert Siebertz vom Bundesamt für Verfassungsschutz wurde schon lange vor den CDU/CSU-Querelen aus Zeitgründen von der Liste gestrichen. Die Tagesordnung war mit vier Zeugen deutlich zu ambitioniert. Von Siebertz erhofften sich die Abgeordneten Hinweise auf V-Leute im Umfeld des Attentäters. Da es um eine Geheimdienstangelegenheit geht, sperren sich die zuständigen Stellen im Kanzleramt und bei den Geheimdiensten jedoch gegen die Herausgabe von Akten. Zudem dürften Zeugen aus den verantwortlichen Behörden auch in diesem Ausschuss wieder über strikt formulierte Aussagegenehmigungen an der kurzen Leine gehalten werden.

Axel Kühn (BKA/Staatsschutz)

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2. Sitzung am 26. April 2018 – Anekdotische Evidenz ist hier nicht gefragt

Anekdotische Evidenz ist hier nicht gefragt

Die Expertenanhörung „Gewaltbereiter Islamismus und Radikalisierung“ soll den Obleuten im Breitscheidplatz-Untersuchungsauschuss das Fundament für ihre Arbeit liefern.

Eine Runde aus sechs Männern und zwei Frauen – selten sind so viele Experten gleichzeitig vor einem Untersuchungsausschuss, um den Obleuten Wissen zu vermitteln. Neben Vertretern aus der Wissenschaft berichten Experten aus Verwaltung und Zivilgesellschaft vor allem zum Thema Prävention. Auch die Sicherheitsbehörden sind mit einem LKA-Mann und einem ehemaligen Verfassungsschützer repräsentiert. Ein ausgewogenes Panel an Expertise, das von den Fraktionen eingeladen wurde.

Fragwürdiger Experte

Auch die AfD hat mit Imad Karim einen Experten eingeladen, der offenbar wegen seiner Zugehörigkeit zum muslimischen Kulturkreis und seiner journalistischen Arbeit berufen wurde. Karim führt aus, der Islamismus würde Politik und Religion vermischen. Ein Allgemeinposten aus der Diskussion der letzten Jahre. Karim provoziert, rät Muslimen dazu, ihren Glauben an den Propheten Mohammed zu überwinden, und zieht Vergleiche zu den Rassengesetzen der Nationalsozialisten. In einer kurzen nicht-öffentlichen Beratungssitzung besprechen die Obleute, wie mit dem offensichtlich nicht unabhängigen Experten zu verfahren ist. Karim sitzt seit März 2018 im Kuratorium der von Erika Steinbach geleiteten AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Schlussendlich gibt sich Karim beleidigt, dass außer von der AfD-Obfrau Beatrix von Storch überwiegend keine Fragen an ihn gerichtet werden. Es scheint, als verwechsele die AfD den Untersuchungsausschuss mit einer Wahlkampfveranstaltung oder einem der montäglichen Pegida-Aufmärsche.

Radikalisierung braucht keine Religion

Die Ursachen für eine Radikalisierung sind vielfältig und nicht vorhersehbar. Die Expertenrunde beschreibt, dass Radikalisierung kein linearer Prozess ist und letztlich ausschließlich in den Menschen begründet ist, die sich radikalisieren. Anlässe gäbe es jedoch zuhauf. So neigten ausgegrenzte und sozial isolierte Jugendliche eher dazu, sich radikalen Positionen zu verschreiben, um sich anschließend darüber zu definieren. Für manche führe die Radikalisierung dann auch zum Terrorismus

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1. Sitzung 19. April 2018 – Ein Anschlag – Ein Ausschuss – Viele Fragen

Der Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 eingesetzt, der nun zum ersten Mal öffentlich tagte.

Der Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 eingesetzt, der nun zum ersten Mal öffentlich tagte. In der ersten Sitzung waren Experten zum Thema Asyl- und Aufenthaltsrecht geladen. Ein Fragenkomplex von vielen.

Für die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden dürfte vor allem die Frage nach der Verantwortung im Raum stehen. Wie konnte dieser Anschlag passieren? Warum haben Behörden, die doch scheinbar alle Informationen über den Attentäter zur Verfügung hatten, den Gefährder nicht festgenommen? Wie groß die Aufgabe ist, macht der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) zu Beginn deutlich.
Es sind rund 50 Behörden, deren Arbeit im Laufe der nächsten Jahre zu untersuchen sein wird. „Wichtig bleibt: wir dürfen die Überlebenden und Opfer des Anschlags bei aller politischen Diskussion nicht vergessen, “ sagt Schuster.

Überfordert

Die geladenen Rechtsexperten zeichnen einhellig das Bild einer überforderten Verwaltung. Überfordert vor allem dadurch, dass sich das Asyl- und Aufenthaltsrecht so schnell und so oft änderte. Rund 30 Änderungen seit 2011 – insgesamt vier bis fünf pro Jahr – brachten die mit der Umsetzung beauftragten Menschen an die Grenze des leistbaren. „Das änderte sich so schnell, dass wir schon gar keine Kommentierungen mehr erstellen konnten. Extrem schwierig für Praktiker“ sagt Anwalt Thomas Oberhäuser und der Fachanwalt für Migrationsrecht pflichtet ihm bei: „Etwas mehr Gelassenheit bei der Gesetzgebung wäre hilfreich für die Anwender.“ Weiterlesen