Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Breitscheidplatz (Seite 2 von 3)

UAPOD.Berlin – Folge 010 vom 14.02.2019

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking

Daniels Artikel zur Sitzung im Blog von Der Freitag

UAPOD.Berlin – Folge 008 vom 17.01.2019

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking

Hier geht es zu Daniels Artikel zur Sitzung im Blog bei derFreitag

Wir hörten heute den Zeugen J., ein Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnehmeeinrichtung und Zeuge Schimanski aus Dortmund.

14. Sitzung am 17.01.2019 – Kaum frischer Wind im neuen Jahr


Kaum frischer Wind im neuen Jahr

Mit einem relevanten Zeugen startet die erste Anhörung im neuen Jahr, um anschließend mit dem zweiten Zeugen wieder zur chronologischen Aufarbeitung zurückzukehren

Zeuge Mohammed J. sagt etwa zwei Stunden vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Attentat vom Breitscheidplatz aus. Im Jahr 2015 kam er gemeinsam mit dem späteren Attentäter in einer Geflüchtetenunterkunft in Emmerich in Nordrheinwestfalen an. Dort teilten beide für etwa einen Monat ein Zimmer.

Mohammed J. beschreibt den späteren Attentäter als aufbrausend, laut und sendungsbewusst. Immer wieder wies jener andere Muslime zurecht und sagte ihnen, was sie tun oder unterlassen sollten. Mohammed J. kannte dieses Verhalten bereits von IS-Anhängern aus seinem Heimatland Syrien, die auf ihn „wirkten, als hätten sie eine Gehirnwäsche erhalten“.

Im Team übersetzen zwei Dolmetscher die Worte des Mittzwanzigers, der ruhig, geradlinig und gefasst auf die Fragen der Obleute im Ausschuss antwortet. Präzise legt er dar, welche Informationen er schon in den ersten Wochen des Zusammenlebens an die Heimleitung weitergab. Videochats mit einem eher marrokanisch-algerisch-tunesischen Akzent bekam Mohammed J. ebenso beiläufig mit wie eine gezeichnete IS-Flagge im persönlichen Notizbuch des späteren Attentäters.

Zeuge J (Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnahmeeinrichtung in Emmerich)

Zwei Welten

Eine Freundschaft entstand nicht. Während Mohammed J. die Moschee nur zu Hochfesten wie dem Fastenbrechen aufsucht, war der spätere Attentäter täglich in der Moschee in Emmerich. „Beten kann ich auch allein für mich“, sagt Mohammed J. Er grenzte sich von den Forderungen seines Mitbewohners ab: nach Syrien gehen, kämpfen, keine Musik mehr hören und vorher möglichst viel Geld von den deutschen Behörden erschleichen. Was dazu nötig war, wusste der Tunesier offenbar sehr genau und drängte die Mitbewohner, es ihm gleich zu tun.

Einst war der spätere Attentäter selbst so wie seine Mitbewohner, rauchte und hörte Musik. Sein Leben aber hätte sich im italienischen Gefängnis geändert, als er auf Dschihadisten getroffen wäre und dann den richtigen Weg eingeschlagen hätte.

Mohammed J. berichtete der Heimleitung von den Vorkommnissen und Verhaltensweisen des Tunesiers. Auch die Zimmergenossen beschwerten sich über das Verhalten des Tunesiers. Ein Gespräch, das ein Betreuer auf Französisch mit dem späteren Attentäter geführt hatte, änderte nichts. Ein Betreuer, der die Muslime oft mit „Allahu akbar“-Grüßen provozierte. Keine Polizei, kein Verfassungsschutz – die Beobachtungen blieben ohne Reaktion der Sicherheitsbehörden.

Auch zur Jahresmitte 2016, als Mohammed J. während einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefragt wurde, ob er auf Dschihadisten oder Terroristen getroffen wäre, verwies er auf den späteren Attentäter. Doch wieder reagierten die Sicherheitsbehörden nicht.

Zu spät

Nach dem Anschlag am 19. Dezember 2016 war Mohammed J. auf das Fahndungsbild aufmerksam geworden und prüfte den Facebook-Kontakt, den er mit dem Tunesier im Jahr zuvor geschlossen habe. Er vermutete dort ein IS-typisches Bekennervideo. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Profil bereits deaktiviert. Nach dem Anschlag meldeten sich dann endlich Behördenvertreter, die sich als LKA-Beamte vorstellten, jedoch auf Mohammed J. nicht wirkten wie Polizisten in Zivil. In einem sehr kurzen Gespräch gab er nochmals zu Protokoll, was er über den Attentäter wusste. Erst jetzt in der Ausschusssitzung erfährt er, dass der Attentäter auf seiner Flucht nach dem Anschlag auch wieder durch Emmerich gekommen sein musste.

„Fassungslos!“, twittert die Obfrau der Grünen Irene Mhalic. „Mitbewohner von #Amri in Emmerich gibt früh Hinweise auf dessen IS-Bezug und wird von den Sicherheitsbehörden ignoriert. Auch nach dem Anschlag fragt man ihn nicht nach Amris Fluchtweg über Emmerich. Dass Amri noch einmal dort war, erfährt er erst hier im #UA1BT.“ Mihalic bringt das Behördendilemma auf den Punkt.

Ein weiterer Mitbewohner aus der Emmericher Unterkunft ist für diesen Tag vorgeladen, erscheint aber nicht und hat sich auf die Ladung des Ausschusses nicht zurückgemeldet, wie es aus Kreisen der Obleute heißt. Dieser Zeuge hatte das auffällige Verhalten laut den Unterlagen des Ausschusses an einen anderen Mitarbeiter der Heimleitung berichtet, der daraufhin die Polizei verständigte. Eine Anhörung muss es nach dem Ausschussgeschehen zu urteilen wohl im November 2016 kurze Zeit vor dem Anschlag gegeben haben.

Auffälligkeiten

Nach der Sitzung ist klar, dass schon in der Unterkunft in Emmerich viel übersehen wurde. So wurde der Tunesier unter einem anderen Namen geführt, während er sich seinen Mitbewohnern bereits als Anis Amri zu erkennen gab. Ein Name, der auch auf Türschildern verwendet wurde. Eine Erklärung, warum ernstzunehmende Hinweise des Zeugen an die Heimleitung gingen, aber nicht zur Anzeige gebracht wurden, suchten die Obleute vergebens.

Zeuge Schimanski

Die Befragung des Zeugen Mark Schimanski kommt schon nach den ersten Sätzen zum gleichen Ergebnis wie so häufig in den vergangenen Monaten des Ausschusses: „Ich habe in der zentralen Ausländerbehörde als Registrierer in der Ersterfassung gearbeitet und kann mich an ihn [den späteren Attentäter] nicht erinnern.“

Das Befragungsprozedere der CDU/CSU-Fraktion, die auch 2019 mit der chronologischen Aufarbeitungstaktik vielen Sachbearbeitern eine Kurzreise nach Berlin ermöglicht, dehnt die Befragung dann immerhin auf knapp 40 Minuten aus.

Nicht öffentlich

Relevante Informationen darf der dritte Zeuge des Tages – Tarnname: Carlo Macri, ein Beamter aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz – dann nur noch in nicht-öffentlicher Sitzung präsentieren. Seine operative Tätigkeit verbietet eine öffentliche Aussage. Sowohl sein Anblick als auch seine Stimme sind für Gäste und Journalisten tabu. Deshalb wird die Vernehmung auch nicht in einen Nachbarsaal übertragen. Die Öffentlichkeit kann nur darauf hoffen, dass die nicht-öffentliche Aussage in Kürze als Protokoll verfügbar gemacht wird.

Die einfachste Lösung, um dem Öffentlichkeitsgrundsatz des Ausschusses gerecht zu werden, ist die technische Stimmenverfremdung. Hier mangelt es der Ausschussleitung aber wohl eher am Willen als am Budget.


UAPOD.Berlin – Folge 006 vom 29.11.2018

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking

12. Sitzung am 29.11.2018 – Nicht schlüssig

Nicht schlüssig

Irgendetwas wird im Internet-Referat E6 im Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht. Am Ende des Sitzungstags ist klar: Relevante islamistische Gefährder sind es nicht

Informationen zu 81 Namen fragte der Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Attentat bei der Bundesregierung an. 42 weitere Namen gab das Innenministerium hinzu, weil man sie dort für relevant hielt. Die Namensliste der 123 klingt wie das Who’s Who der Islamistenszene. Neben Propagandisten der radikal-islamistischen Szene wird gegen einige Personen bereits im Abu-Walaa-Prozess ermittelt. Personen, die nach allgemeinem Verständnis zum Umfeld des Attentäters vom Breitscheidplatz gehörten.

Das Referat E 6 der Zeugin Cordula Hallmann kann nichts vorweisen. 123 Mal keine Erkenntnisse. 123 Mal keine Sammlung von Informationen in Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Nicht aus offenen Quellen wie der Kommunikation in Gruppen. Nicht aus Chats und anderem Nachrichtenfluss.

Zu den genannten Personen gab es in anderen Referaten des Verfassungsschutzes allerdings Personenakten, teilweise auch Verdachtsmomente. Oder es wurde mit klassischen nachrichtendienstlichen Mitteln an den Personen gearbeitet. Der spätere Attentäter selbst war elf Mal Thema im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ, doch offenbar erteilte niemand den Auftrag, Erkenntnisse zur Person im Internet zu sammeln.

„Maximal unglaubwürdig“, twittert die Obfrau der Linken Martina Renner. „Auf der Liste standen der IS-Prediger Abu Waala, der mutmaßliche Mittäter Bilel Ben Ammar, Kontaktpersonen aus der Fussilet-Moschee und viele andere mehr. Und zu denen will das BfV keine Erkenntnisse im Internet erhoben haben?“

Auch der Ausschussvorsitzende Armin Schuster ist irritiert, dass weder Facebook- noch WhatsApp-Accounts des Attentäters überwacht wurden. „Ich war sehr überrascht, dass das nicht zum Standardrepertoire gehört im Fall eines islamistischen Gefährders, der zwar einer von vielen war, trotzdem aber vom BfV selbst auch als herausgehoben bewertet wurde“, sagte Armin Schuster (CDU/CSU) nach der Sitzung. „Es wurde ja einiges unternommen wie die Vorlage von Lichtbildern. Und gerade weil diese Lichtbildvorlagen gescheitert sind, hätte ich mir bei so vielen Fragezeichen vorgestellt, dass man seine Kommunikation und Aktivitäten in sozialen Medien anschaut. Das hat mich sehr überrascht.“

Maximal unglaubwürdig

Nicht nur die prominenten Namen auf der Liste der 123 machen stutzig. Selbst der spätere Attentäter hatte bereits eine Gefängnisstrafe in Italien verbüßt und dort einen Eintrag in das Schengener Informationssystem erhalten. In Deutschland hatte er Kontakt zu Abu Walaa, der via Facebook, Youtube und Telegram predigt und schon deshalb ein Fall für den Arbeitsbereich der Zeugin Hallmann hätte sein müssen.

Darüber hinaus gab es Hinweise ausländischer Nachrichtendienste in Richtung der deutschen Behörden. Eigentlich genug Anlass, um alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle des späteren Attentäters zu überwachen sowie das sichtbare digitale Kontaktumfeld zu prüfen. Doch nach Aussage von Zeugin Hallmann passierte nichts dergleichen.

Weder per Hand noch automatisiert wurden die digitalen Kanäle überprüft, obgleich die Sicherheitsbehörden in Deutschland eine Reihe an Programmen zur Analyse digitaler Vernetzungen und Kommunikationskanäle nutzen. Darunter auch XKEYSCORE, das beim Verfassungsschutz angeblich nur in einem Testbetrieb lief, aber in den Jahren vor dem Attentat mit Daten aus dem Bereich des islamistischen Extremismus gespeist wurde, wie Martina Renner hervorhob.

Sichtlich ins Stocken geriet Zeugin Cordula Hallmann, als sie nach den Übersetzungskapazitäten ihres Referates bei den Sprachen Arabisch und Türkisch gefragt wurde. „Sie haben scheinbar nicht die Kapazitäten, die Top-50-Gefährder und Verdächtige mitzuplotten und zu schauen, was treiben die eigentlich?“, schließt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster. Als andere Erklärung bliebe nur die Annahme, dass die Online-Aktivitäten von islamistischen Gefährdern gar nicht beim Verfassungsschutz ausgewertet werden. Aber wo dann?

(Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zu Beginn des Sitzungsgeschehens der ehemalige Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja dem Ausschuss die Zustände im Landesamt für Gesundheit und Soziales im Jahr 2015 und 2016 erörterte und der angekündigte zweite Zeuge des Bundesamtes für Verfassungsschutz Carlo Macri nur in geheimer Sitzung vernommen werden soll.)

UAPOD.Berlin – Folge 005 vom 08.11.2018 – LAGeSo…lala

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking

  • Heute hörten wir zwei Zeugen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
    Frau Jaqueline Wagner und Herrn Michael Wolter.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Reduktion durch Redundanz“

11. Sitzung am 08.11.2018 – Reduktion durch Redundanz

Die große Koalition kocht derzeit ein ganz eigenes Süppchen. Ein kleines Kochrezept für die Reduktion von Medienöffentlichkeit rund um das Attentat vom Breitscheidplatz.

Ein Sitzungstag ‒ so vorhersehbar in den Abläufen wie in seinem Endergebnis. Ohne die achtköpfige Reisegruppe aus Münster wäre die Besuchertribüne mit kaum mehr als zehn Menschen gefüllt gewesen. Darunter bereits zwei Saalpolizisten. Auch Medienvertreter sind bei der Vernehmung der LaGeSo-Zeugen kaum zu finden. Ein freier Hörfunkjournalist der ARD und ein Journalist vom Hausmedium des Bundestags: Stammgäste auf der Tribüne.

Bei anderen Medien scheitert der Ausschuss. Das müsste so nicht sein und ist wohl der Taktik der CDU/CSU zu verdanken, die von der SPD mitgetragen und von der Opposition kritisiert wird. Als sich in den Pressegesprächen bei Linksfraktion und Grünen abzeichnet, dass in dieser Woche nur Wunschzeugen der Koalition öffentlich vernommen werden, winkt Redaktion für Redaktion ab.

Das Thema sei ohnehin nur schwer im Programm zu platzieren, ist zu vernehmen. Ohne den Verfassungsschutzzeugen in öffentlicher Sitzung lohne sich der Tag nicht. Zwei große Zeitungen kommen noch zum Pressehintergrundgespräch bei den Grünen, sparen sich dann aber den Weg in den Ausschuss. Zu Recht.

Es passiert wenig. Wenn überhaupt etwas zu Tage gefördert wird ‒ so weiß man aus den vergangenen Sitzungen ‒ dann erst, nachdem die Zeugen der Koalition gehört wurden. Zeugen, an denen sich die Abgeordneten der CDU/CSU langwierig abarbeiten. Zeugen, die wiederholen, was bereits in Expertenanhörungen im Mai über die Aufnahme von Asylbewerbern gesagt wurde: 2015 war die Erfassung der Geflüchteten ineffektiv und fehlerträchtig. Fingerabdrücke wurden mit Tinte und Papier erfasst und erst so spät digitalisiert, dass eine deutschlandweite Abfrage gar nicht möglich war. Mehrfacherfassungen kamen vor, auch weil Sprachmittler eben keine ausgebildeten Dolmetscher sind und es keine einheitlichen Regeln für die Übersetzung vom arabischen ins lateinische Schriftbild gab.

Aktualität

Auch in dieser Sitzung erläutern Zeugin und Zeuge ihre Routineaufgaben im Jahr 2015. Alles problematisch. Alles bedauerlich. Alles kritikwürdig. Aber eben auch alles schon mehrfach durch Experten beschrieben und längst Teil des Allgemeinwissens. Nachzulesen in der Presse und in Ausschussakten und Gutachten der Landesausschüsse.

Zeuge Michael Wolter hat sich mit einem Rechtsbeistand aus Potsdam ausgestattet. Nötig wäre das nicht gewesen, denn seine Arbeit hat er unter den damals gegebenen Bedingungen vorbildlich erledigt. Ob des irregeleiteten Gesprächsbedarfs der CDU/CSU kann die Begleitung aber nicht schaden. Obleute der Regierungsfraktionen und der AfD fragen ungläubig, warum Sprachmittler nicht vermerken, wenn bei der Ersterfassung von Geflüchteten der gesprochene Dialekt Zweifel an der angegebenen Herkunft nahelegen.

Wolter beschreibt den Fragenden, unter denen sich Juristen und Verwaltungshochschuldozenten befinden, dass ein Sprachmittler, der in der Ersterfassung arbeitet, eben kein amtlich vereidigter Übersetzer ist, wie sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Einsatz kommen. Für eine rechtsverbindliche Aussage sind Sprachmittler nicht hinreichend qualifiziert.

Seine Kollegin Jacqueline Wagner beschreibt, dass sie zu viele Fälle pro Tag bearbeiten musste und hätte gerne die notwendigen zwanzig Minuten Bearbeitungszeit pro Fall gehabt. Doch es musste schnell gehen. Als Sachkundige waren beide zudem sehr bald dafür zuständig, Hilfskräfte bei den Erfassungsprozessen anzuleiten.

Nun sitzen Wagner und Wolter vor dem Ausschuss, weil ihre Computeraccounts von eben diesen Hilfskräften mitbenutzt worden waren. Hilfskräfte, die teilweise auch aus dem Wachbataillon der Bundeswehr kamen, während sich an anderer Stelle in Deutschland ein offenbar rechtsradikaler Soldat unter die Asylantragstellenden mischte und wohl das Ziel verfolgte, einen Anschlag zu begehen, der dann den Geflüchteten untergeschoben werden sollte. Filmstoff, den sich niemand ausdenken kann.

Dienste schützen um jeden Preis

Aus gesundheitlichen Gründen war Verfassungsschutzzeuge Eric Rehnsdorf eine öffentliche Vernehmung nicht zuzumuten, heißt es. Ohnehin lohne sich eine auf zwei Stunden limitierte öffentliche Vernehmung ob der zu erwartenden langatmigen, oft plump durchgeführten CDU/CSU-Verzögerungsspielchen nicht.

Hinter verschlossenen Türen hörte der Ausschuss dann erneut den Zeugen Gilbert Siebertz und hofft auf eine zeitnahe Genesung von Rehnsdorf. Nach der nächsten Sitzung am 29.11.2018 blicken die Parlamentarier auf neun Monate Ausschussarbeit zurück und können einige wenige Erkenntnisse aus den Befragungen von Oppositionszeuginnen verzeichnen, dafür aber reichlich haarklein sezierte und dokumentierte Routinevorgänge deutschen Verwaltungshandelns. Aufklärung geht anders.

Parteiinteressen versus Aufklärung

Derweil hofft die AfD-Fraktion darauf, wieder einmal Stimmung gegen Kanzlerin Merkel machen zu können. Zu spät hätte man sich um die Digitalisierung gekümmert, die es erst 2016 möglich machte, Finger- und Handabdrücke zu erfassen. Die immer wieder ausgelegten Einladungen der AfD, doch mal richtig auf die Kanzlerin und die Willkommenskultur zu schimpfen, ignorieren die Behördenmitarbeiter_innen überwiegend und bleiben neutral.

Ordentlich Jagdtrieb legen Linke, Grüne und auch die FDP an den Tag, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Niema Movassat fragt noch pflichtschuldig nach eventuellen Kontakten zu Nachrichtendiensten, was jedoch verneint wird. In anderen Sitzungen bringt es Movassat aber auch schon einmal schnell auf den Punkt: „Wir haben keine Fragen in öffentlicher Sitzung.“

Das ist kein Desinteresse. Zu oft schon hatten die Zeugen der Koalition bereits nach 15 Minuten erschöpfend Auskunft erteilt, um daraufhin weitere 15 Minuten paraphrasierte Fragen zu beantworten und sich in der restlichen Zeit sichtlich zu wundern, warum sie immer noch befragt wurden. Schließlich hatten sie doch ihre Aussage bereits vor den Landesuntersuchungsausschüssen in NRW oder Berlin gemacht.

Die Vertreter der SPD tragen die schlecht getarnte Verzögerungstaktik der CDU/CSU mit und verzichten fast gänzlich auf die Jagd. Ein bisschen Empörung ob des Verfassungsschutzpräsidenten – Pflichtprogramm als Sidekick für die Partei, die hier den Ton angibt.

Fehlgeleiteter Unions-Elan

So leidenschaftlich und hartnäckig sich die Unionsparteien mit den Routinevorgängen befassen, so still sind sie, wenn es darum geht, über ihre Ausschussarbeit zu sprechen.

Eine proaktive Pressearbeit findet rund um den Ausschuss seitens der ansonsten umtriebigen CDU/CSU nicht statt. Rund 700 Pressemeldungen pumpte die CDU/CSU im Jahr 2018 bisher in die Postfächer der Abonnenten. Pressemeldungen zum Untersuchungsausschuss sucht man vergebens, seit dieser im März 2018 angekündigt wurde. Im Kontext „Untersuchungsausschuss“ gibt es auf der Presseseite der Union zwar reichlich Treffer, jedoch eben nur in Bezug auf den geforderten Ausschuss zum BAMF, der sich mittlerweile als Luftnummer aus dem rechtskonservativen Lager herausstellte.

Auch auf den Twitteraccounts der ansonsten mitteilungsfreudigen Unionsabgeordneten ist kaum etwas zu finden. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster nutzte das Thema im Oktober kurz, um dem mittlerweile Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen beizuspringen. Im September verteidigte Schuster den mittlerweile als Verschwörungstheorethiker enttarnten Maaßen noch anlässlich einer Untersuchungsausschusssitzung und forderte die anwesenden Journalist_innen zu „einem fairen Umgang“ auf.

Das Beharren auf der chronologischen Aufarbeitung aller Stationen des späteren Attentäters wird dafür sorgen, dass erst in einigen Monaten, vielleicht auch erst im Jahr 2020 das Geschehen am Anschlagstag im Ausschuss zum Thema wird. Ganz schön unfair, falls der immer wieder drohende Koalitionsbruch irgendwann zu Neuwahlen führt und damit der Untersuchungsausschuss enden würde.

 

UAPOD.Berlin – Folge 004 vom 18.10.2018 – Mitarbeiter des Monats

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking

  • Wir hörten dieses mal die Zeugen Andrea Hilpert-Voigt und Harald Bohn aus dem Regierungspräsidium Stuttgart und Thilo Bork vom Bundesamt für Verfassungsschutz.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Schrödingers Verfassungsschutz“

10. Sitzung am 18. Oktober 2018 – Schrödingers Verfassungsschutz

Schrödingers Verfassungsschutz

Berlin ist immer eine Reise wert. Das wissen jetzt auch zwei weitere Zeugen, die wenig Erhellendes beitragen, während der Verfassungsschutzzeuge mauert

Kaum 45 Minuten brauchen die sechs Bundestagsfraktionen, um ihre Fragen an die beiden Zeugen aus der Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete in Ellwangen zu richten, die nach Berlin eingeladen wurden. Beide haben keine Erinnerung an den Attentäter, weil sie in den Jahren 2015 und 2016 in einem Massenverfahren täglich über mehrere Stunden Geflüchtete erfassten und die Erstaufnahmestelle mehr als das Doppelte der vorgesehenen Kapazitäten aufnehmen musste.

Alles nicht neu

Sowohl die Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtungen als auch die Herausforderungen bei der Erfassung der ankommenden Geflüchteten zählen seit der Expertenanhörung in der ersten öffentlichen Sitzung zum Allgemeinwissen des Ausschusses. Die von den Regierungsfraktionen gewünschte chronologische Vorgehensweise in der Aufarbeitung wird auch in Zukunft dafür sorgen, dass Zeugen ihre Aussagen wiederholen müssen, die sie bereits vor anderen Untersuchungsausschüssen abgegeben haben. Dabei könnten deren Erkenntnisse, so denn wirklich gebraucht, auch durch Beiziehung von Protokollen in den Bundestagsausschuss einfließen.

Andrea Hilpert-Voigt + Harald Bohn (Regierungspräsidium Stuttgart), Thilo Bork (BfV) am 18.10.2018

Mit dem Zeugen Thilo Bork beginnt der relevante Teil des Ausschusstages. Zuständig für die Beschaffung von Informationen zählt Bork mit den Zeugen Freimuth, Siebertz und C. M. (in geheimer Sitzung vernommen) zu den Personen, die im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für islamistischen Terrorismus zuständig sind.

Show must go on

Bork trommelt fleißig für den Verfassungsschutz. Sein Eingangsstatement habe er selbst verfasst. Die Entscheidung dafür sei jedoch „ein Mix“ aus eigener Motivation und dem Zuraten seines Chefs und Borks Ehefrau gewesen. Was überwiegend klingt wie ein Wikipedia-Eintrag zum Verfassungsschutz und ganz auf der Linie vom designierten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ist, garniert Bork mit reichlich Street-Credibility.

Der angeblich 1970 geborene Bork sagt aus: „Ich habe angefangen in der Beschaffung, auch als Quellenführer. Das heißt, ich war auf der Straße. … Ich kann sagen, dass ich meine zu wissen, wovon ich spreche.“ Bork weiß um die Probleme, die sein Job mit sich bringt: „Selbst wenn man Leute kennenlernen will, schafft man es nicht immer, Leute auch kennenzulernen.“ Zeuge Bork ist sichtlich bemüht, die Erzählung aufrechtzuerhalten, der Verfassungsschutz habe mit dem Fall des Attentäters nichts zu tun gehabt.

In seinem Reden schwingt ein Unterton mit, dass ohnehin nur Verfassungsschützer wirklich verstehen, was Verfassungsschützer tun. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, warum Journalisten und Parlamentarier den Eindruck haben, es hätte rund um den Attentäter nur so von V-Leuten, Informanten und Quellen gewimmelt, die durch zahlreiche Behörden in die Fussilet-Moschee entsandt worden wären. Die Moschee ist einer von vielen „Hotspots“, die nach der Beschreibung von Bork immer wieder für einen kurzen Zeitraum in die Aufmerksamkeit von Behörden gerieten und dann wieder an Relevanz verlören.

Der Trommler vom Verfassungsschutz

Bork will die Definitionshoheit des BfV erhalten. „Wir haben eine andere Definition des nachrichtendienstlichen Umfeldbegriffs“, reizt Bork die Geduld des Grünenparlamentariers Konstantin von Notz. „Wahrscheinlich waren eben doch fünf Leute im direkten Umfeld von Amri in der Fussilet-Moschee. … aber Sie sagen jeden Tag in jede Kamera, es sei niemand dran gewesen“, kritisiert von Notz die Verfassungsschutzerzählung.

Dabei ist zunächst einmal nachvollziehbar, was Verfassungsschutzmann Bork beschreibt. Ein Attentäter, der im Geheimen vorgeht, wird nicht unbedingt viel Wert auf einen großen Freundeskreis legen und sich bereitwillig mit immer neuen Menschen treffen. Unglaubwürdig wird das Handeln des Verfassungsschutzes und anderer Behörden aber spätestens am 15. Juni 2016, als der spätere Attentäter aus der Observation genommen wurde und dennoch bis zum November 2016 immer wieder auf den Tagesordnungen des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ stand.

Behördenübergreifend war der Attentäter insgesamt elf Mal auf den Tagesordnungen. Wo die Fakten stören, braucht es eine neue Sprache. „Im Umfeld von Amri waren wir nicht vertreten“, sagt Zeuge Bork aus und meint wohl das nachrichtendienstliche Umfeld. Im allgemeinsprachlichen Verständnis von „Umfeld“, das Parlamentarier und Öffentlichkeit pflegen, gab es mindestens Kontakte zu einer Mitfahrgelegenheit und einem Wohnungsgeber. Es gab Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten zur Person des späteren Attentäters. Und es darf davon ausgegangen werden, dass Quellen des Verfassungsschutzes und der Polizeien, die den Attentäter später auf Lichtbildvorlagen erkannten, auch in den Moscheen zugegen waren, in denen der Attentäter ein und aus ging.

Ziemlich viel, was auf der Umfeldliste zusammenkommt. Und da hilft der Begriff des „nachrichtendienstlichen Umfeldes“ schon sehr, wenn das Adjektiv „nachrichtendienstlich“ die Bedeutung des Wortes „Umfeld“ nötigenfalls ins Gegenteil verkehren kann. Ein Paradoxon, das von der Beteiligung des Verfassungsschutzes ablenken soll, der unter keinen Umständen verantwortlich dafür sein will, dass es trotz aller Beobachtungs- und Analysemaßnahmen immer ein Restrisiko gibt, dass ein Attentäter so geheim agiert, dass er den Behörden entgeht.

Verheerendes Bild

Einen Fehler einzugestehen, scheint unmöglich. Doch statt sich nun bedeckt zu halten, lässt Zeuge Bork keine Gelegenheit ungenutzt, Angst zu verbreiten. Man hätte es damals mit einer mittleren dreistelligen Zahl an Gefährdern zu tun gehabt, die ähnlich problematisch gewesen wären wie der Attentäter. Während sich die Zuhörenden unweigerlich ausmalen, was der Effekt wäre, würden alle diese potentiellen Attentäter so handeln, wie es am Breitscheidplatz geschah, schrumpft die im Raum stehende Zahl.

Als Obleute nachhaken, wie viele der Gefährder denn potentielle Attentäter seien, spricht Zeuge Bork von einem zweistelligen Bereich bis hin zu dem Eingeständnis, eigentlich keine genaue Zahl nennen zu können. „Ein verheerendes Bild, das vom Verfassungsschutz dadurch in der Öffentlichkeit entsteht“, resümiert Konstantin von Notz.

UAPOD.Berlin – Folge 003 vom 11.10.2018

avatar
Stella Schiffczyk
avatar
Daniel Lücking