Ein Vieraugengespräch, an das sich immer mehr Menschen erinnern, wird glaubwürdiger, als das Bundeskriminalamt, das nicht tätig werden wollte, wo es angebracht war.

Gegen 21 Uhr 30 beginnt der Untersuchungsausschuss mit dem dritten Zeugen des Tages. Jan Rehkopf, 44 Jahre alt, Erster Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt, war im Februar 2016 gemeinsam mit dem Kollegen Philipp Klein Teilnehmer in einer Sitzung bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Das Thema der Sitzung klingt, wie ein Philosophiekurs an der Universität über Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit. Diskutiert wurde die Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson 01 und die Glaubhaftigkeit der Informationen, die geliefert worden sind. Der Disput: Längst war die VP01 ein wichtiger Belastungszeuge in Verfahren der Generalbundesanwaltschaft. Nun soll eine schriftliche Einschätzung niedergelegt werden, weil das Bundeskriminalamt Zweifel an einzelnen Angaben hat, die die VP01 lieferte.

Jan Rehkopf, Erster Kriminlhauptkommissar, BKA

Das Landeskriminalamt sitzt nicht nur mit KHK M., der zu diesem Zeitpunkt die EK Ventum leitet und gegen den Statthalter des IS in Deutschland Abu Walaa ermittelt in der Sitzung, sondern auch mit den Vertrauenspersonenführern. Nach langjähriger Kooperation mit der VP01 ist im LKA NRW die Zuverlässigkeit der Quelle und die Güte der gelieferten Informationen wohl zu einer festen Größe geworden. Man steht hinter der VP01.

Gegen die VP01 sprechen KHK Klein und KHK Rehkopf vom Bundeskriminalamt. Sie können sich nicht erklären, wie trotz Sprachproblemen und verhältnismäßig kurzer Aktivität in der Szene Informationen solch einer Güte geliefert werden können.

Rehkopf, der als ruhig und ausgleichend beschrieben worden ist, vermeidet in seiner Aussage, Position zu beziehen, wird als vermittelnd beschrieben. So gibt er sich auch vor dem Untersuchungsausschuss. Sowohl seinen Kollegen Klein, als auch den KHK M. würde er sehr schätzen. Er kann sich nicht erklären, wie es nun ausgerechnet zwischen diesen beiden Beamten zu einer Art „Blame-Game“ kommen konnte. Vom Vieraugengespräch zwischen Klein und KHK M. , das an diesem Tag bereits von einer weiteren Zeugin der Generalbundesanwaltschaft thematisiert und inhaltlich bestätigt wurde, will Rehkopf nichts mitbekommen haben. Auch nicht von Druck durch Kollegen und Vorgesetzte, die Gefährdungseinschätzung in eine Richtung zu überarbeiten.

Inkonsistenzen

So schwungvoll das Eingangsstatement von Jan Rehkopf noch war, so sehr gerät er unter den Fragen von FDP, Linken und Grünen in die Defensive. Sein kritischer Seitenhieb auf den Föderalismus, der Länderpolizeien vorsieht, passt nicht damit zusammen, dass er gleichzeitig die Bearbeitung des Falles bei den Länderpolizeien belassen wollte. Ein Gefährder, der sich durch drei Bundesländer bewegt und an den dortigen Islamisten-Hotspots auftaucht, war nach Ansicht der Obleute Grund genug, damit sich das Bundeskriminalamt nach §4a BKA-Gesetz hätte einschalten müssen.

Inkonsistent ist auch, warum die gleichen Beamten, die den Fall eigentlich in den Händen der Landespolizeibehörden belassen wollen, so leidenschaftlich dafür gekämpft haben, dass die die Ergebnisse der Quelle VP01 umgedeutet werden und in Kauf nahmen, die Quelle so zu diskreditieren, dass laufende Verfahren darunter zusammenbrechen könnten.

Auch Frage nach der grundlegenden Kompetenz im Umgang mit islamistischen Gefährdern wird gestellt. „Kennen Sie das IS-Handbuch „How to survive in the west.“, will Benjamin Strasser (FDP) wissen. „Sehen Sie es mir nach, da habe ich meine Belletristik vernachlässigt“, antwortet Jan Rehkopf keck.

Lehrbuchreif

Kriminaldirektor W. vom Landeskriminalamt Nordrheinwestfalen ist über solches Grundlagenmaterial im Bilde. In seiner Zeit beim LKA 21 in NRW strebte er vor allem an, den roten Faden nicht zu verlieren, den es für die Beurteilung eines Gefährders brauche. „Das ist im Prinzip wie bei einem Film“, beschreibt KD W. die Arbeitsweise und dass er den späteren Attentäter von November 2015 bis zu dessen Tod im Dezember 2016 verfolgt und als gefährlich eingeschätzt habe.

KD W. kann sich nicht erklären, wie es zu dem durch das LKA Berlin offenkundig verbockten Zugriff am Zentralen Omnibusbahnhof am 18. Februar 2016 kommen konnte. Der Polizeibefehl zum vorgehen, der als Resultat der Sitzung des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ am Vortag entstanden ist, besagte klar: „Tarnung vor Wirkung“.

Dezernent W., Innenministerium NRW / Polizeiabteilung

Aus anderen Aussagen ist bekannt, dass Ermittler des LKA Berlin zwei Tage nach der befehlswidrigen Aktion, Bilder des späteren Attentäters in Geflüchtetenunterkünften in Berlin herum zeigten. „Da muss man ja – böse gesagt – sich fragen: Hatten die da alle Latten am Zaun.“ hakt Benjamin Strasser nach. KD W. antwortet diplomatisch-kollegial und ohne die nahegelegte Polemik: „Wir arbeiten verdeckt im Terrorismusbereich. Eigentlich.“

Für KD W. gab es keine Zweifel, wie gefährlich der spätere Attentäter war. „Wir hatten eine Telefonüberwachung wo im Hintergrund geballert wurde – das fand ich schon äußerst plastisch.“ gibt er zu einem abgehörten Telefonat nach Libyen zu Protokoll. Als im September und Oktober 2016 dann Geheimdiensthinweise auf den späteren Attentäter durch den marokkanischen Geheimdienst übermittelt wurden, stieg für KD W. die Gefährlichkeit noch einmal an: „Wer die Entwicklung des späteren Attentäters verfolgte, MUSSTE nach meiner Ansicht hochsensibel auf diese Informationen reagieren.“
Dafür, dass die Information erst Wochen nach Erhalt in der Sitzung vom 2. November 2016 im GTAZ behandelt wird, gibt es bisher keine Erklärung. Damals übernahm dann das Bundesamt für Verfassungsschutz die weitere Bearbeitung.

Zum Vieraugengespräch bestätigt auch KD W., dass sein Kollege KHK M. ihm davon zeitnah mit den Worten „kaputtschreiben“ berichtet hat, er aber Details nicht mehr erinnern kann. „Für seine Verhältnisse war KHK M. emotional und aufgebracht“, blieb KD W. im Gedächtnis.

Gewissenskonflikt

Staatsanwältin Claudia Gorf, die als erste Zeugin an diesem Tag aussagte, erinnerte den emotionalen und für KHK M. eher untypischen Zustand ebenso. Gorf beschreibt, dass sie mit KHK. M. zuletzt im November 2019 in einer anderen Sache telefonierte und dieser sich zunächst nicht daran erinnern konnte, mit ihr am 23. Februar 2016 über das Vieraugengespräch geredet zu haben.

Er habe sich das Gehirn zermatert, wem er am Abend nach dem Gespräch in Karlsruhe noch davon berichtet habe, sei aber nicht auf Gorf gekommen. Für Gorf ein deutliches Anzeichen dafür, dass KHK M. glaubwürdige Angaben macht. Bisher gibt es keine Erklärung, warum KHK M. derartig vielen Personen von einem Vieraugengespräch hätte berichten sollen, das sich erst nach dem Anschlag und Jahre später vor einem Untersuchungsausschuss als relevant erweist.

Oberstaatsanwältin Claudia Gorf, Bundesgerichtshof / GBA

„Ich kenne Herrn M seit dem Jahr 2015. Er ist ein äußert gewissenhafter und professioneller Beamter mit einem Weitblick in diesem Bereich, einem kriminalistischen Spürsinn.“ stärkt auch Zeugin Gorf die Position des KHK M. und beschreibt dessen Gewissenskonflikt nach dem Vieraugengespräch. Sie habe KHK M. dann abverlangt, die Angelegenheit an ihren Vorgesetzen Horst Salzmann heran zu tragen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.

Gorf erinnert auch die Sitzung vom 23. Februar 2016, differenziert klar, was eigene Erinnerung ist und macht Abstriche dort, wo sie nicht ausschließen kann, dass sich eine Erinnerung erst in den letzten Wochen aufgefrischt hat. Ob sich der BKA-Zeuge Philipp Klein in dieser Sitzung in eine Sackgasse herein manövriert habe, weiß Gorf nicht: „Es war eher eine Situation: Ziemlich viele gegen einen.“