Zu später Stunde nutzt Martina Renner die Gelegenheit, einen V-Mann-Führer eindringlich zu befragen und zeigt Probleme beim V-Mann-Wesen auf.
Was ein Spitzel für Polizei und
Verfassungsschutz so verdiene, weiß Martina Renner (Linke) eigentlich
bereits aus ihrer Erfahrung rund um die NSU-Ausschüsse. „Also bei zwölf
Treffen jeweils rund 200 Euro steuerfrei abgreifen?“ rechnet Renner vor.
Zeuge VPF-2 ist Vertrauenspersonenführer bei der Polizei NRW und darf
auf diese Fragen nach der nachrichtendienstlichen Methodik nicht
antworten.
Die Reaktionen im Saal auf diese und andere Fragen sprechen Bände. David Diehl vom Bundeskanzleramt verkrampft sichtlich in seinem Stuhl, blickt angespannt herüber zu den Vertretern des Landes NRW, wenn diese eigentlich intervenieren müssten. Auf Seiten der Regierungsparteien ist es Volker Ullrich (CSU), der sich hörbar über die Fragen von Martina Renner echauffiert. Auch aus Reihen der SPD gibt es störendes, deutlich wahrnehmbares Gemurmel.
Martina Renner lässt sich nicht verunsichern.
Wenn sich Herr Ullrich mal so intensiv mit dem Thema V-Mann-Wesen
befasst hätte, wie sie das seit Jahren tue, dann wäre ihm klar, dass es
keine haltlosen Spekulationen seien, mit denen sie an diesem Abend
aneckt, gibt Renner zu Protokoll.
Ungeschwärztes
Martina Renner führt aus, was sich aus den Akten des OLG Celle zum Abu Walaa-Prozess schließen lässt. Akten, die offenbar nur wenig geschwärzte Anteile enthielten und offen legen, dass mindestens vier Vertrauenspersonen der Behörden in der Szene eingesetzt waren. Die zwölf Treffen der VP-01, an denen Informationen geliefert wurden, summieren sich nach Renners Erfahrungen auf 2400 Euro. Steuerfrei. Renner konfrontiert weiter.
Der Adressat ist dabei weniger die VPF-2, als
die anwesenden Vertreter aus Regierungsbehörden. Sie stellt die Frage,
wie bei einer derartigen Einnahmehöhen die Tätigkeit der
Vertrauenspersonen noch in Einklang mit Vorschriften zu bringen ist,
über die nur so viel bekannt ist, dass die Einnahmen nicht zum
Haupterwerb der Spitzel werden dürfen.
Renner
fragt, wie es sein kann, dass mit Geldern der Behörden eine Art
Tarnfirma aufgebaut wurde, in der die Vertrauenspersonen beschäftigt
waren. Antworten erhält sie nicht, aber die Fragestellungen
verdeutlichen die Probleme, die das Spitzelwesen aufwerfen.
„All
das sind Erfahrungswerte aus den letzten Jahren,“ macht Martina Renner
deutlich. „Wenn es um V-Leute geht, gibt es immer wieder Anzeichen
dafür, dass der angebotene Spitzellohn eine Nachfrage schafft. Das wirkt
sich natürlich auf die Qualität der Informationen aus. Die dauerhafte
Alimentierung ist prinzipiell untersagt. Wenn aber eine Quelle im Umfang
liefert, wie die VP-01 und über zehn Jahre für die Behörden aktiv ist,
dann muss das hinterfragt werden.“
Stelldichein der Vertrauenspersonen
Insgesamt vier Vertrauenspersonen hatten nach den Unterlagen des OLG
Celle im Umfeld des späteren Attentäters zu tun. Lediglich jedoch die
VP-01 lieferte Informationen. Für den V-Mann-Führer VPF-2 war das keine
Auffälligkeit. Schließlich sei die VP-01 aufgrund der speziellen
persönlichen Fähigkeiten zum Einsatz gebracht worden. Ursprünglich habe
man mit VP-01 nur im Bereich der organisierten Kriminalität
zusammengearbeitet.
Ein weiterer Verdacht steht an diesem Abend
im Raum. Gab es eine Beteiligung eines Geheimdienstes – z.B. des
Verfassungsschutzes – beim Einsatz der VP-01. Für den
Vertrauenspersonenführer VPF-2 ist das undenkbar. VPF-2: Der Terminus
drückt aus, dass eine Vertrauensperson immer mit mehreren
Vertrauenspersonenführern zusammenarbeitet. Im Fall der VP-01 waren
insgesamt 3 Vertrauenspersonenführer im Einsatz. Urlaubs- und
krankheitsbedingt wechselte man sich ab. Für sein Kollegen legt VPF-2
seine Hand ins Feuer, das ein Kooperation mit Geheimdiensten nicht
stattgefunden habe.
Ebenfalls habe es keine Doppelung des
Mobiltelefons gegeben, dass die VP-01 zusammen mit dem späteren
Attentäter beschafft hatte.
Entschlossen zur Tat
Schon Ende 2015, als der spätere Attentäter in dschihadistischen
Kreisen in Deutschland auftauchte, fiel er der VP-01 ins Auge. Zunächst
habe es eine Sprachbarriere gegeben, da die VP-01 nicht arabisch
spräche, führt der VPF-2 aus. Die Absicht einen Anschlag zu begehen und
die Radikalität im Auftreten seien aber sofort Anzeichen gewesen, dass
man es mit einem relevanten Gefährder zu tun habe. Die VP-01 baute den
Kontakt zum späteren Attentäter schnell aus.
Fahrten
mit dem Auto von NRW zum Besuch von Abu Walaa in Hildesheim und die
Unterstützung beim Kauf eines Mobiltelefons sind dokumentiert.
Spätestens aber wenn es um Dienste als Sprachmittler bei Behördengängen
geht, wird die Rolle der VP-01 deutlich fragwürdig, denn das Engagement
führte dazu, dass der spätere Attentäter zusätzliches Geld erhielt.
Auch
muss es mehrere Straftaten gegeben haben, die die VP-01 begangen hat.
Genaue Angaben dazu sind in öffentlicher Sitzung nicht möglich, denn sie
würden die Enttarnung der VP-01 ermöglichen.
So ungeklärt, die
die Frage nach der Henne und dem Ei bleibt auch die Frage, ob die VP-01
die Radikalisierung des Attentäters beobachtete oder beförderte. Der
spätere Attentäter war zunehmend eingebettet in ein Umfeld dem er
vertrauen konnte und vertrauen sollte. Ein Umfeld, das Straftaten
begehen konnte, jedoch keine nennenswerten Strafen dafür erfuhr und
stets mit Geld- und Transportmitteln ausgestattet war.
LKA Berlin
Der Ausschuss befragte an diesem Tag auch den Ermittler des LKA Berlin
Kriminaloberkommissar G.K. zu seinen Wahrnehmungen entlang des Falles.
G.K. war 2015 mit erstmals mit dem Fall des späteren Attentäters befasst
und erkannte sogleich die Brisanz. Damals 25 Jahre alt, sollte G.K.
erstmals einen Fall eigenverantwortlich bearbeiten und die Ermittlungen
leiten. Dies lehnte G.K. jedoch ab und bat darum, nicht
hauptverantwortlich zu sein. Seine Aussage verläuft kooperativ,
aufgeschlossen und bemüht, die Fragen der Obleute bestmöglich zu
beantworten.
Ähnlich gewissenhaft führte G.K. die Vernehmung
von Bilel ben Ammar durch, als sich dieser im Februar 2016 für einen
Handydiebstahl verantworten musste. Rund 23 Seiten Vernehmungsprotokoll
entstanden laut Irene Mihalic (Grüne) geradezu vorbildlich: „Langsam
komme ich zu dem Schluss, dass er die Leitung besser übernommen hätte.
Denn so aufgeräumt und motiviert wie er waren seine Kollegen offenbar
nicht“, twittert Mihalic.
Immer wieder Rechtsradikale
Irene Mihalic ist verwundert, wie das LKA Berlin beim durch ben Ammar
gestohlenen Handy zwar eine Auswertung vorgenommen hat, jedoch nach der
Auswertung nicht weitere Ermittlungsansätze verfolgte. Auf dem Handy
fanden sich Bezüge zur rechtsradikalen Szene. Nachrichten, die mit „Sieg
heilchen“ unterschrieben waren, sowie Bilder der Reichskriegsflagge
zogen aber keine erkennbaren Ermittlungen nach sich.
Immer
häufiger entwickeln sich rund um das Breitscheidplatzattentat
Schnittmengen zwischen Rechtsradikalismus und Dschihadismus. Die
augenfälligsten bereits am Tatabend, als der Straftäter, Rechtspopulist
und Pegidainitiatior Lutz Bachmann von einem tunesischen Moslem erfahren
haben wollte, seinen Tweet dazu aber recht bald wieder löschte.
Auffällig ist auch, dass die Tatwaffe, mit der der Attentäter den
LKW-Fahrer erschoss aus derselben Charge stammt, wie eine Waffe des
NSU-Trios.
Auch Bezüge zu den Attentätern in
Paris wurden durch die Protokolle aufgezeigt, mit denen die Obleute
arbeiten konnten. Bekannt ist, dass in Frankreich ein Mitglied der
Identitären Bewegung Waffen an Dschihadisten verkauft hat, die 2015 bei
einem Anschlag verwendet wurden.
Team Demokratische Opposition
Die
Fragen der Regierungsparteien sind beim Zeugen VPF-2 deutlich früher zu
Ende, als das beim Berliner LKA-Zeugen der Fall gewesen ist. Konstantin
von Notz (Grüne) wundert sich, wie es sein kann, dass das Bundesamt für
Verfassungsschutz ein Behördenzeugnis ausstellte, aber die relevanten
Vertrauenspersonenführer dazu weder befragte, noch beteiligte. Der
Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler greift harsch ein, mokkiert
das Redezeitende und lässt das Fragerecht zur FDP wechseln. Nahtlos
setzt Benjamin Strasser (FDP) fort und verhindert so, dass der
aufgebaute Druck verpuffen kann.
Strasser
will auch wissen, warum man im LKA NRW den späteren Attentäter eindeutig
als Gefährder erkannte, das Bundeskriminalamt jedoch in Person des
Kriminalhauptkommissars Rehkopf „erhebliche Zweifel an der
Glaubhaftigkeit“ der Quelleninformationen hegte. VPF-2 führt das darauf
zurück, dass Aktenstudium allein nicht ausreichend sei, um die Qualität
der Quelleninformationen zu bewerten.
Der Vollständigkeit halber
Mit
dem Zeugen Kriminalhauptkommissar K. aus dem LKA NRW befasst sich der
Ausschuss nur rund sechzig Minuten. K. war im Rahmen der
Wochenendbereitschaft im Einsatz, als sich der spätere Attentäter Ende
Juli 2016 von Berlin auf den Weg zur deutsch-schweizerischen Grenze auf
machte, um das Land zu verlassen. Da zu diesem Zeitpunkt die Bearbeitung
des Falles zwischen LKA Berlin und LKA NRW wechselte, wurde aus Berlin
die Telefonüberwachung des späteren Attentäters gesteuert.
Dort
entschied sich dann auch ein Oberstaatsanwalt für zwei Szenarien. Eine
Ausreise in das europäische Ausland könne problemlos erfolgen. Eine
Ausreise in Richtung Türkei indes, bei der eine Weiterreise nach Syrien
nahe gelegen hat, hätte verhindert werden sollen. Die
Überwachungsprotokolle legen nahe, dass der spätere Attentäter nach
Tunesien zurückkehren wollte.
Als er in
Friedrichshafen aufgegriffen wurde, führte er zwei Sätze an
italienischem Passpapiere mit sich. Der Gewahrsam dauerte jedoch nur
kurz an. Zum Erstaunen der NRW-Beamten und des späteren Attentäters, der
geradezu enthusiastisch die Polizeidienststelle verlassen habe.