Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

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UApod.berlin – Folge 026 vom 12.12.2019

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Daniel Lücking
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Stella Schiffczyk

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In dieser Folge berichten wir von einem Novum im Ausschuss: eine Gegenüberstellung. Drei Zeugen wurden zeitgleich gehört um Widersprüche aus dem Weg zu räumen. Philipp Klein, Erster Kriminalhauptkommissar beim BKA, Herr M., Leiter der EK Ventum / LKA NRW und den Generaslbundesanwalt Dieter Killmer vom Bundesgerichtshof. Im Raum stand die Frage nach dem Zwiegespräch zwischen Herrn Klein und Herrn M. Haben das BKA und das Innenministerium veranlasst, dass die VP01 aus dem Verkehr gebracht werden soll?

Im Anschluss folgen die Statements zur Sitzung von Fritz Felgentreu (SPD), Irene Mihalic (Grüne), Volger Ullrich (CDU) und Benjamin Strasser (FDP).

Artikel dazu von Daniel Lücking aus dem Blog „der Freitag“

Aussage gegen Aussage

Eiligst dementierte das Bundesinnenministerium die Aussage eines Landespolizisten. In der Gegenüberstellung litt jetzt die Glaubwürdigkeit des Bundeskriminalamtes.

„Bereits ein inhaltliches Vieraugengespräch hat es nicht gegeben.“ Die Worte von Ministeriumssprecher Steve Alter in der Regierungspressekonferenz vom 15.11.2019 wogen schwer. Nur wenige Stunden nach der Aussage von Kriminalhauptkommissar KHK M. vom Landeskriminalamt Nordrheinwestfalen dementierte das Bundesinnenministerium die Aussage des Polizisten. Stringent und überzeugend hatte er zu Protokoll gegeben, auf Geheiß „von ganz oben“ sei der Fall des späteren Attentäters nicht auf der Ebene der Bundesbehörden zu bearbeiten gewesen.

Vier Wochen später sitzt KHK M. erneut im Bundestag. Das es ein aufwühlendes Vieraugengespräch gegeben haben muss, bestätigt an diesem Tag Dieter Killmer von der Generalbundesanwaltschaft.

Herr M. (Kriminalhauptkommissar beim LKA NRW / Leiter der EK Ventum)

Am 23. Februar 2016 hatte KHK M. nicht nur mit Killmer über den Inhalt gesprochen. Auch Bundesanwältin Claudia Gorf wurde ins Vertrauen gezogen und riet KHK M sich auch an Bundesanwalt Horst Salzmann zu wenden, so heißt es. Die Aussagen von Killmer und KHK M. stehen im Widerspruch zur Regierungslinie. Doch welche Gründe sollten sie haben, sich selbst und weitere Kollegen unter Wahrheitspflicht so zu belasten?

Jungfrauen und Kinder

Im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ wird im Februar 2016 gestritten. Während das LKA NRW in mehreren Sitzungen das Bundeskriminalamt BKA ersucht hat, den Fall des späteren Attentäters zu übernehmen, mauert vor allem Philipp Klein von der Zentralstelle für Gefährdungsbewertung des BKA.

Klein wollte damals nicht glauben, dass eine Quelle des Landeskriminalamtes NRW – die VP-01 – mit den Anschlagswarnungen so richtig liegen könne. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik habe eine einzelne Quelle zu mehreren Anschlagsplanungen Informationen beschaffen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Quelle zwei Mal so dicht an Attentätern und deren Anschlagsplanungen dran sei, sei wie „zwei Sechser im Lotto in einer Woche“, gibt Klein mehrfach und wortreich zu Protokoll.

Ein rund anderhalbstündiges Eingangsstatement ist der Auftakt zu einer Zeugenaussage, die etwa sechs Stunden dauert. Sechs Stunden, in denen Philipp Klein semantische Pirouetten dreht und Wortklaubereien an den Tag legt. Man müsse deutlich zwischen der Glaubhaftigkeit von Informationen und der Glaubwürdigkeit einer Quelle unterscheiden, argumentiert Klein und ignoriert, dass eine Quelle, die keine glaubhaften Informationen liefert gemein hin auch nicht als glaubwürdig wahrgenommen wird. „Ich habe es vorhin schon gesagt, aber ich sage es gerne noch einmal“ wiederholt sich Klein schon im Eingangsstatement und auch später in der Aussage. Er strapaziert immer wieder mit ausweichenden Anworten die Geduld der Abgeordneten.

Philipp Klein (Erster Kriminalhauptkommissar beim BKA)

Opfer einer Intrige?

Der 39-jährige Klein schildert sein Dilemma. Die Behauptung es habe ein Vieraugengespräch gegeben, sowie die Inhalte daraus könne er schwerlich widerlegen. Klein nimmt damit indirekt vorweg dass er bereit ist, Aussage gegen Aussage stehen zu lassen. Doch schon als es um das Vieraugengespräch geht, muss er einschränken. Er kann nicht ausschließen, dass ein persönliches Gespräch zwischen KHK M. und ihm stattgefunden habe. Vielleicht auf dem Weg zur Toilette oder auf dem Weg die Treppe hinunter.

Definitiv aber könne er ausschließen, dass es um die Inhalte gegangen sei – eine Weisung von ganz oben – die KHK M. in seiner Aussage geschildert hat. In anderen Punkten seiner Aussage argumentiert sich Klein vordergründig unangreifbar und verstrickt sich später doch in Widersprüche und Seltsamkeiten. Klein beharrt darauf, dass es kein Übernahmeersuchen gegeben hat und muss im Laufe der Aussage wieder einschränken und präzisieren. Die Protokolle aus dem GTAZ belegen ein Übernahmeersuchen.

Ein solches Ersuchen ist für Klein erst dann relevant, wenn es schriftlich vorgebracht wird. Obfrau Irene Mihalic (B90/Grüne) lässt diese Ausrede nicht gelten. Mihalic macht klar, dass im Gesetz ein Übernahmeersuchen an das BKA an keine spezielle Form gebunden ist. Für Klein ist es das Signal nun deutlich zu machen, dass er ein Übernahmeersuchen nur dann akzeptiert, wenn es von der Behördenleitung vorgebracht wird und nicht von einem Sachbearbeiter im GTAZ.

Klein gleitet in seinen Rechtfertigung zusehends ab. Die Abgeordneten wollen wissen, warum sich die Bundesebene nicht eingeschaltet hat als ersichtlich wurde, dass der spätere Attentäter über die Grenzen von Bundesländern hinweg agierte. Klein meint, das LKA NRW sei kompetent genug gewesen, um den Fall in eigener Zuständigkeit zu bearbeiten.

„Mit ihrer Argumentation könnte man den Paragrafen 4a aus dem BKA-Gesetz streichen“, hält Irene Mihalic die Gesetzesgrundlage vor, die Klein hätte wählen müssen. Eine Zuständigkeit seiner Behörde will dieser jedoch nicht sehen. Er konstruiert, es müssten schon mehrere Bundesländer beteiligt sein damit das BKA überhaupt tätig werden könne.

Die Faktenlage spricht gegen Kleins Ansicht: Bis zum Februar 2016 waren es bereits drei Bundesländer, in denen sich der spätere Attentäter bewegt hatte: Nordrheinwestfalen, Berlin und Niedersachen .

Sachkundige Ausschusskreise wundern sich zudem über die steile Karriere des BKA-Mannes Klein, der seit Einstellung in den gehobenen Polizeidienst im Jahr 2001 nach jedem Beurteilungstermin befördert wurde. Eine solche Karriere sei „mindestens ungewöhnlich“ und sorgt für Verwunderung angesichts der von Klein getätigten Aussagen.

Gegenüberstellung

Es ist ein neues Format, das gegen 21 Uhr 30 im Saal 4.900 des Bundestags zur Anwendung kommt. Der Ausschuss entscheidet sich für eine Gegenüberstellung der drei Zeugen dieses Tages. Ein Vorteil: Widersprüche können zeitnah diskutiert werden.

Philipp Klein passt seine Sprache an. Neben den klaren und strukturiert gewählten Worten von KHK M und dem ebenso sachlich agierenden Killmer, ist kein Platz mehr für Ausschweifungen und Wiederholungen. Wohl aber für eine gespielt wirkende Empörung, mit der Klein auf die Ausführungen von KHK M. reagiert, der nun direkt neben ihm sitzt.

KHK M. trägt sachlich und selbstkritisch vor. Bundesanwalt Killmer räumt ein sich nicht mehr an die Inhalte, wohl aber an einen sehr emotionalen und aufgewühlten KHK M. erinnern zu können, der ihm von einem äußerst problematischen Vieraugengespräch berichtet hat. Klein gerät zusehends unter Druck.

Kurz vor der Sitzung hatte das Rechercheteam des WDR aus E-Mails zitiert, die Klein nun belasten. Mit seinen Vorgesetzten Sven Kurenbach und Martin Kurzhals hatte Philipp Klein hochgradig emotional diskutiert. Von einem „Schlupfloch“ das geschaffen werden müsse war die Rede. Die VP-01 konnte man offenbar nicht gänzlich unglaubwürdig schreiben. Klein ließ sich jedoch weiter ein und bezichtigte im gleichen Mailaustausch das LKA NRW der „Lüge“, warf „hochgradig unprofessionelles“ Verhalten vor und schrieb von „Trostlosigkeit“ der Fakten des LKA NRW.

Klein argumentiert seine seltsam verzweifelt wirkende Wortwahl in den Bereich eines Jargons, den Kollegen untereinander pflegen würden und der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Auf Benjamin Strasser (FDP) wirkt das dokumentierte Verhalten Kleins im GTAZ und in den E-Mails geradezu bockig. Es könne schlicht nicht sein, dass eine Quelle zu zwei Anschlagssachverhalten zuverlässig Informationen liefere, war damals Kleins Linie.

„Das ist auszuschließen, sagt die Jungfrau bevor sie schwanger ist! Einmal ist immer das erste Mal!“, sei die Reaktion von Bundesanwalt Horst Salzmann darauf gewesen, beschreibt KHK M.

Wem glauben?

„Wenn ich das hier vergleiche mit dem was uns schriftlich vorliegt, ergibt sich aus den Schilderungen von Herrn M. ein in sich ein geschlosses Bild, ein Bild, das man nachvollziehen kann. Warum sollte Herr M. gelogen haben?“ eröffnet Fritz Felgentreu (SPD) dem Zeugen Klein eine Möglichkeit, seine unter Wahrheitspflicht getroffenen Aussagen zu revidieren. Klein nimmt diese nicht an und belässt es beim Stand Aussage gegen Aussage.

Die Selbstverständlichkeit mit der die Bundesregierung auch nach dieser Sitzung hinter den Aussagen von Philipp Klein steht, gibt Rätsel auf. Aus ihrer Sicht hat die Sitzung keinen Grund geliefert, um von der getroffenen Einschätzung abzuweichen.

Gegenüberstellung: Herr M. (Kriminalhauptkommissar beim LKA NRW / Leiter der EK Ventum), Philipp Klein (Erster Kriminalhautkommissar beim BKA) und Dieter Killmer (Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof)

Medien und der UA1BT – Der Tag danach

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Daniel Lücking
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Stella Schiffczyk

In dieser Sonderfolge befassen wir uns mit den Dynamiken der Medienarbeit rund um den UA1BT. Auch die Stellungnahme des Bundesinnenministeriums zur Zeugenaussage des LKA NRW Zeugen M. ist enthalten.
Das Hintergrundgespräch mit den Grünen wirft eine Frage auf: Aktualität oder Chronistenarbeit – Welchen Schwerpunkt braucht Berichterstattung über den UA1BT?

Berichte über die Sitzung schafften es um 17 Uhr in die Tagesschau und um 19 Uhr in die Heute-Sendung. Darüber hinaus hat Phoenix-Der Tag auch einen rund neun Minuten langen Bericht mit O-Tönen von Irene Mihalic, Benjamin Strasser und einem kurzen Interview mit Konstantin von Notz.

Die Erklärung des BMI zur Sitzung vom 14.11.2019 im Wortlaut aus der Regierungspressekonferenz vom 15.11.2019 und wie in der Folge vorkommend:

ALTER: Ich möchte etwas zum gestrigen Untersuchungsausschuss sagen und dazu eine Erklärung abgeben.

Am 14. November 2019 hat ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen als Zeuge vor dem 1. Untersuchungsausschuss der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages einige Aussagen getätigt, die die Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes und des LKA Nordrhein-Westfalen vor dem Anschlag betreffen. Hierzu nimmt das Bundesinnenministerium wie folgt Stellung:

Erstens. Der Zeuge hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, ein mündliches Ersuchen auf Übernahme der Sachverhaltsbearbeitung durch das BKA gestellt zu haben, was jedoch durch das BKA abgelehnt worden sei.

Dazu erkläre ich für das BMI: Ein Übernahmeersuchen des LKA NRW zum Sachverhalt an das BKA hat es nicht gegeben.

Zweitens. Der Zeuge hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, ein Beamter des Bundeskriminalamtes habe ihm am Rande einer Besprechung beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 gesagt, die Quelle des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, die damals auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters Anis Amri hingewiesen habe, „mache zu viel Arbeit“.

Dazu erkläre ich für das BMI: Die Aussage wurde weder wörtlich noch sinngemäß durch den Beamten des BKA getätigt. Bereits ein inhaltliches Vieraugengespräch hat es nicht gegeben.

Drittens. Laut Zeuge habe ihm besagter Sachbearbeiter des BKA in dem Vieraugengespräch weiterhin gesagt, diese Auffassung werde auch „von ganz oben“ vertreten. Auf Nachfrage teilte der Zeuge mit, in seinen entsprechenden Gesprächsnotizen habe er sich daraufhin den Namen des damals zuständigen Gruppenleiters des BKA sowie den Namen de Maizière bzw. „Bundesinnenministerium“ notiert.

Dazu erkläre ich für das BMI: Eine entsprechende Aussage hat der Beamte des BKA nicht getroffen. Zudem ist auszuschließen, dass weder der damalige Bundesminister de Maizière noch andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des BMI entsprechende Sachverhaltsbewertungen vornehmen oder derartige Weisungen erteilt haben. Das Gleiche gilt hier für die Leitungsebene des BKA einschließlich des damaligen Gruppenleiters.

Der Untersuchungsausschuss wurde bereits über diese Erklärung informiert. Wir werden später an diesem Tag auch eine Pressemitteilung dazu veröffentlichen. Die betroffenen Mitarbeiter des BKA wären für die Möglichkeit dankbar, den Sachverhalt zeitnah vor dem Untersuchungsausschuss aufzuklären. – Danke.

FRAGE WARWEG: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, dass der Hauptkommissar des LKA NRW – soweit ich weiß, ist er Hauptkommissar – in seinen Ausführungen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages komplett gelogen hat?

ALTER: Diese Bewertung müssen Sie vornehmen. Ich habe Ihnen den Sachstand wiedergegeben, den das BMI hat.

ZUSATZFRAGE WARWEG: Aber er wird auch mit der Aussage zitiert, dass, wie Sie schon ausgeführt haben, die Ansage von ganz oben kam, dass der V-Mann oder Spitzel kaputtgeschrieben werden sollte. Können Sie noch ausführen, ob dieser V-Mann dann tatsächlich aus dem Anis-Amri-Umfeld abgezogen wurde oder nicht?

ALTER: Ich bitte um Verständnis, dass ich zu diesem Komplex keine weitere Detaillierung vornehmen kann; denn dieser Sachverhalt ist Gegenstand des Untersuchungsausschusses und auch Gegenstand von Ermittlungen. Aber ich bin der Auffassung, dass das, was ich Ihnen gerade erklärt habe – es geht ja auf die wesentlichen Aussagen des Zeugen ein -, in aller Klarheit dargestellt wurde. Alles Weitere wird vor dem Untersuchungsausschuss zu klären sein.

FRAGE KLISS: Die Abgeordneten haben dem Zeugen gestern im Untersuchungsausschuss geglaubt und haben uns gegenüber gesagt, dass die Quelle mundtot gemacht werden sollte. Das sind ja in dem Fall Abgeordnete, die dem Zeugen zugehört haben. Wie bewerten Sie das denn?

ALTER: Die Abgeordneten haben dem Zeugen zugehört. Der Zeuge hat gestern seine Aussagen getätigt. Das BMI sitzt heute hier und stellt die Sachverhaltsdarstellung klar.

FRAGE WARWEG: In Medienberichten wird auf eine weitere LKA-Beamtin verwiesen, die die Aussagen des genannten LKA-Kommissars zumindest in Teilen bestätigt hat. Wie bewerten Sie denn die Aussagen dieser LKA-Beamtin?

ALTER: Ich kann die Aussagen dieser LKA-Beamtin nicht bewerten, weil ich Ihnen den Kenntnisstand des Bundesinnenministeriums und auch des BKA hier an dieser Stelle wiedergebe. Darüber hinaus kann ich keine Detaillierungen vornehmen.

Es ist aber auch klar – ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit, die ich nicht erwähnen muss; ich tue es dennoch -: Der gesamte Fallkomplex, der gestern durch die Zeugenaussage in ein Licht gerückt wurde, wird natürlich jetzt intensiv überprüft. Wenn es Erkenntnisse gäbe, die zu einer anderen Bewertung kämen, dann würden wir Sie darüber informieren. Aber ich will darauf hinweisen, dass dieser Sachverhalt ja bereits Gegenstand der bereits öffentlich abrufbaren Fallchronologie des BKA zu diesem Fallkomplex ist, und dies nicht erst seit gestern. Das heißt, der Sachstand ist bekannt, und die Bewertung der Aussage habe ich Ihnen heute wiedergegeben.

FRAGE LEIFERT: Herr Alter, ich vermute einmal, dass Ihr Sprechzettel mithilfe des BKA aufgesetzt wurde. Sind es noch dieselben handelnden Personen, die Ihnen das notiert haben, die vor drei Jahren auch in diesen Ämtern waren und mit dem Fall so nah befasst sind wie damals?

ALTER: Die Erklärung, die ich Ihnen verlesen habe, wurde im BMI heute erstellt. Selbstverständlich haben bereits seit gestern Abend intensive Kommunikationen mit dem BKA stattgefunden. Das ist der Sachstand, der von den derzeit in den Funktionen befindlichen Personen wiedergegeben werden kann. Zum Teil, insbesondere auf der operativen Ebene, handelt es sich um Personenidentität.

FRAGE SAMBALE: Aus der Opposition wird ins Gespräch gebracht, den früheren Innenminister de Maizière im Untersuchungsausschuss dazu zu befragen. Wird der frühere Innenminister de Maizière oder der aktuelle Innenminister zu diesem Thema in den Untersuchungsausschuss gehen?

ALTER: Das ist eine Frage, die ich von dieser Stelle nicht beurteilen kann. Üblicherweise ist es ja so, dass, wenn der Untersuchungsausschuss einen Zeugen lädt, sich diese Ladung an den jeweiligen Zeugen und nicht an das Bundesinnenministerium richtet.

FRAGE WARWEG: Der Zeuge hat auch darauf verwiesen, dass er seine Vorgesetzten in NRW von dieser Mitteilung in Kenntnis gesetzt hat. Vielleicht haben Sie es schon ausgeführt; dann ist es mir entgangen. Aber negieren Sie sozusagen auch die Gespräche vom Zeugen an seine Vorgesetzten in NRW?

ALTER: Die Erklärung, die ich Ihnen verlesen habe, bezieht sich auf die Aussagen, die der Zeuge zu diesem Fallkomplex gestern getätigt hat.

ZUSATZFRAGE WARWEG: In seiner Gänze?

ALTER: Auf die Aspekte, die ich hier konkret angesprochen habe.

FRAGE KLISS: Teilen Sie die Einschätzung, dass, wenn man dem im Februar geglaubt hätte, Anis Amri den Anschlag nicht hätte verüben können, weil man ihn vorher eingesperrt hätte?

ALTER: Das ist eine sehr spekulative Frage. Es wäre vermessen, an dieser Stelle eine solche Einschätzung vorzunehmen. Die Sachverhaltschronologie ist bekannt. Der Zeuge hat seine Aussage gestern gemacht. Das Bundesinnenministerium und das BKA haben dazu einen ganz anderen Sachstand. Den habe ich heute wiedergegeben.

FRAGE WARWEG: Noch eine Verständnisfrage: Aber der Fakt bleibt ja, dass LKA NRW immer wieder insistiert hat, wie gefährlich Anis Amri ist, und dass das LKA Berlin das ein bisschen zur Seite gewischt hat. Das heißt, diese Quelle hat es ja anscheinend real gegeben und ist einige Monate vorher nicht mehr präsent. Sie haben schon gesagt, Sie könnten das nicht in irgendeiner Form ausführen, aber können Sie zumindest bestätigen, dass es diese Differenz zwischen LKA NRW – Anis Amri gefährlich – und LKA Berlin gibt, das gesagt hat, er stelle keine akute Gefahr dar?

ALTER: Das werde ich an dieser Stelle ganz sicher nicht tun; denn ich bin der Sprecher des Bundesinnenministeriums, und ich spreche für das Bundesinnenministerium sowie für den nachgeordneten Geschäftsbereich, d. h. das Bundeskriminalamt. Ich werde keine Bewertung zur Kommunikation zweier Landesbehörden untereinander vornehmen.

FRAGE LEIFERT: Herr Alter, sind Sie befugt, uns einen kurzen Einblick zu geben, wie eine solche Recherche bei Ihnen im Hause läuft, um so einen Sprechzettel aufzusetzen? Nehmen wir einmal das Beispiel de Maizière. Bestellen Sie den früheren Innenminister ein, um ihn nach seinen Erinnerungen an diesen Sachverhalt zu befragen, oder gibt es darüber Unterlagen, oder rufen Sie ihn an? Wie kommen Sie zu den Informationen, um hier solche Aussagen zu treffen?

ALTER: Sie können davon ausgehen, dass die Informationslage so verdichtet wird, dass das BMI mit einer Sicherheit diese Aussage, die ich getätigt habe, auch vertreten kann. Über die Details der Kommunikation will ich öffentlich nichts sagen, aber Sie können davon ausgehen, dass eine solche Erklärung, wie ich sie gerade verlesen habe, nicht leichtfertig verlesen wird.

UApod.berlin – Folge 025 vom 14.11.2019

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In dieser Folge sprechen wir neben der Kriminaloberkommissarin S., die TKÜ auswertete und den späteren Attentäter daraus hervorgehend als hochgradig gefährlich einschätzte und berliner LKA Kriminalhauptkommissar C. über den hoch brisanten Zeugen M. Der Kriminalhauptkommissar vom LKA NRW berichtete von der Arbeit mit der VP-01. Diese Vertrauensperson hatte für den Fall des späteren Attentäters unzählige Hinweise geliefert und sollte aus Sicht des BKA ausgeschaltet werden. KHK M. erzählte von einem Zwiegespräch, das Herrn de Maizière und die Spitze des BKA schwer belastet und Folgen nicht nur für den weiteren Verlauf des Ausschusses haben wird.

In dieser Folge äußern sich zur „Breitscheid-Affäre“: Benjamin Strasser (FDP), Irene Mihalic (die Grünen), Martina Renner (die Linken) und Fritz Felgentreu (SPD).

21. Sitzung vom 11.04.2019 – Gescheiterte Kommunikation

Hinweise werden ausgewertet und als relevant erachtet, auf dem Weg durch die Hierarchie aber verworfen.

Kriminalhauptkommissar Alexander Stephan wird als erster von vier Zeugen an diesem Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz vernommen. Mit insgesamt dreieinhalb Stunden wird es die längste Vernehmung des Sitzungstages.

Alexander Staphan (BKA)

Zeuge Stephan berichtet aus seiner Arbeit am Gefahrenabwehrvorgang Lacrima und dem daraus hervorgegangenen Ermittlungsverfahren (EV) Eisbär. Bis zu seiner Abordnung ins Auswärtige Amt im März 2016 war Stephan vor allem mit Bilel ben Ammar befasst.

Im Zuge dieser Ermittlungen kam dann auch der spätere Attentäter auf das Radar des Bundeskriminalamtes (BKA). Stephan bestätigt mit seinen Ausführungen die Darstellungen der vergangenen Sitzungen. Seine Aussagen zum Auftauchen und zur Identifikation des späteren Attentäters im EV Eisbär entsprechen denen der Zeugen van Elkan und Dr. Glorius.

Sein Hauptaugenmerk galt in diesem Verfahren dem Nachrichtenmittler Bilel ben Ammar, der als Kontakt zu Denis Cuspert, aber auch zur Reisegruppe um Sabou Saidani für die Ermittler interessant war.

Seltsame Abläufe im GTAZ

Die Obleute versuchen an diesem Tag wieder einmal mehr Klarheit über die Abläufe im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ zu bekommen, in dem eine länderübergreifende Koordination stattfinden soll. Aus den Fragestellungen, aber auch den Beschreibungen des Zeugen Stephan ergibt sich jedoch ein Bild, in dem es weniger um effektive Koordination geht als vielmehr darum, um Zuständigkeiten zu schachern und Verantwortung zu vermeiden.

Auffällig: Es gibt keine erkennbare Hierarchie im GTAZ. Eine eindeutige Sitzungsleitung fehlt offenbar ebenso wie eine konsequente Dokumentation getroffener Maßnahmen und deren Ergebnisse. Stephan beschreibt auf die Fragen der Obleute die Entwicklungen im Februar 2016. Damals bat das Landeskriminalamt NRW in den Sitzungen des GTAZ darum, den Fall des späteren Attentäters abgeben zu dürfen. Dieser hatte sich zu einem hochmobilen Gefährder entwickelt, der zwischen mehreren Bundesländern hin und her reiste. Das BKA lehnte die Übernahme des Falles jedoch ab und beließ die Koordination den Landeskriminalämtern NRW und Berlin.

Die Obleute können die Diskrepanz nicht auflösen, das Zeuge Stephan einerseits beschreibt, dass die Protokolle des GTAZ von allen beteiligten Behörden gegengelesen und auf Anfrage auch ergänzt und korrigiert würden, andererseits aber kein Hinweis auf den NRW-Antrag zu finden ist, den Fall des späteren Attentäters an das BKA abzugeben. E-Mails aus dem LKA NRW enthalten Hinweise auf den Antrag, der aber in den Protokollen nicht auftaucht.

Mahmud Özdemir (SPD) fragt, warum das BKA nicht vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machte, um den Fall an sich zu ziehen. Stephan hat keine Erklärung. Auch zu den Fragen von Martina Renner (Die Linke) und Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) zu den Abläufen rund um das Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes kann Stephan wenig beitragen.

Ziel des Behördenzeugnisses ist in erster Linie Quellenschutz. Behörden verschleiern dadurch die Beteiligung und Identifikation einzelner Vertrauenspersonen und schützen sie dadurch mitunter auch vor Strafverfolgung durch andere Behörden, weil den Ermittlungsinteressen Vorrang vor der Strafverfolgung eingeräumt wird. Stephan kann nicht auflösen, welche Informationen durch das Behördenzeugnis legendiert werden sollten, und beschreibt, dass eigentlich alle Punkte, die das Behördenzeugnis damals enthalten habe, auch Bestandteil der Sitzungen des operativen Informationsaustausches waren.

Phantomvideo

Kurz nach dem Anschlag am Breitscheidplatz wechselte Stephan zur besonderen Aufbauorganisation BAO City, die einberufen wurde, um Hinweise zum Attentäter zu sammeln und die Tat zu untersuchen.

Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster fragt nach dem Video, das laut den unzureichend belegten Darstellungen der Focus-Online-Redaktion Bilel ben Ammar zeigen soll, der dem Attentäter zur Flucht verhilft, indem er einen Menschen am Breitscheidplatz mit einem Kantholz an den Kopf schlägt und schwer verletzt. Stephan sagt aus, dass es für den Bereich der Hinweisbearbeitung, in dem er eingesetzt war, keine solche Information und kein solches Video gegeben habe.

Stephan wird auch mit Ermittlungshinweisen konfrontiert, die das BKA nicht weiter verfolgt hat. Dazu zählen Fotos von Weihnachtsmärkten, die Personen aus dem Umfeld des Attentäters gemacht hatten, sowie der Tweet von Pegida-Initiator Lutz Bachmann, der schon kurz nach der Tat von einem tunesischen Moslem als Täter sprach. Stephan kann auf die Fragen von Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), warum es nicht einmal interne Ermittlungen dazu gab, nichts beitragen.

Blinde Flecken

Im weiteren Sitzungsverlauf offenbaren die Zeuginnen Leonie Simonis und Katharina Mühlfeld, die in der Hinweisbearbeitung und Auswertung eingesetzt waren, einen kriminalistischen Spürsinn, den die Obleute bei den zuvor gehörten BKA-Beamten Dr. Glorius und Stephan vermissten. Simonis teilt die Ansicht, dass es sich bei den Bildern auf dem Mobiltelefon von Bilel ben Ammar um Fotos handelte, die für die Tatvorbereitung von Belang waren. „Das waren keine touristischen Fotos“, äußert Simonis und beschreibt, dass die Fotos die spätere Einfahrtschneise, aber auch Poller und Bodenbeschaffenheit am Breitscheidplatz zeigen.

Leonie Simonis (BKA)

Nach den Schilderungen der jungen BKA-Beamtinnen waren zumindest auf diesen Arbeitsebenen ein Jagdtrieb und Ermittlungswillen erkennbar, die sich aber in der weiteren Hinweisbearbeitung bisher nicht wiederfinden.

Katharina Mühlfeld (BKA)

Auch Zeugin S. D. vom LKA Berlin kann ihre Arbeit in ein positives Licht rücken. Sie schildert die komplizierten Zusammenhänge, teils auch in nicht-öffentlicher Sitzung, für die Referenten schlüssig, kann aber auch zur Frage nach der Beschlagnahmung eines Laptops bei einer V-Person des Verfassungsschutzes nichts beitragen. Die Umstände, die dazu führten, dass ein vom LKA Berlin rechtmäßig beschlagnahmter Laptop nach einem Anruf zunächst wieder in die Hände des Beschuldigten zurückging, konnten nicht näher erhellt werden.

S. D. (LKA)

Das Publikum

Teil des Sitzungsgeschehens ist auch das Publikum auf der Tribüne oberhalb des Saales 4.900 im Paul-Löbe-Haus. Die Mischung aus einzelnen Opfern und Hinterbliebenen, Bundestagsmitarbeitenden und Journalist_innen pendelt zu Sitzungsbeginn um die Zahl von etwa 20 bis 30 Personen. Je länger der Sitzungstag dauert, desto deutlicher nimmt die Zahl ab.

Auffällig sind im Publikum immer wieder Personen, die in den Pausen aufmerksam den Gesprächen der Journalist_innen folgen. Manche bestätigen mitunter Detailinformationen sachkundig, sind jedoch zu keinerlei weiterem Gespräch bereit. Auf die freundliche Nachfrage eines Kollegen nach ihrem Bezug zum Ausschuss reagiert eine junge Frau am Rande dieser Sitzung nahezu verschreckt und schweigt dann.

In einer anderen Sitzung mischte sich eine Gruppe von vier Bundespolizisten mit vorgeblich rein privatem Interesse in den Nahbereich der Journalist_innen auf der Tribüne und verfolgte via Social Media das Twitter-Geschehen am Hashtag. Per Direktnachricht freundlich angesprochen, reagierte der erkennbar als Anführer der Vierergruppe aufgetretene Polizist mit der spontanen Löschung seines Twitter-Accounts.

Öffentlichkeitsgrundsatz

Publikumskontakt gehört zum journalistischen Handwerk dazu. Angesichts der aktuellen Berichterstattung zu rechtsradikalen und medienfeindlichen Netzwerken innerhalb der Strukturen der Sicherheitsbehörden sind anonyme Onlinekontakte allerdings ebenso unangenehm wie rein privat auftretende Polizisten, die sich auf der Tribüne in den unmittelbaren Nahbereich von berichtenden Journalist_innen begeben.

Das Interesse am Thema ist verständlicherweise besonders in Kreisen der Sicherheitsbehörden groß. Daher sind – immer vorausgesetzt, die Twitter-Profile und Internetinformationen entsprechen den realen Personen – Leser wie aus dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz sowie aus dem Bereich „Ermittlung, Fahndung, Gefahrenabwehr“ des BKA an meinem Twitter-Profil zu finden. Das beste Indiz, dass der Ausschuss nicht nur im Sitzungssaal des Bundestags wirkt, sondern auch darüber hinaus.

UAPOD.Berlin – Folge 013 vom 21.03.2019

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Diesmal mit einer zweigeteilten Folge. In der ersten Hälfte bei uns Matthias Jakubowski, Referent der Linksfraktion. Zusammen reden wir über den ersten Zeugen Robin O. Debie, BKA Verbindungsbeamter in Rabat/Marokko. Im zweiten Teil geht es um den Zeugen Martin Kurzhals, BKA Beamter im GTAZ.

17. Sitzung vom 21.02.2019 – Übersehen, ignorieren und vertuschen

Übersehen, ignorieren und vertuschen

Selbstkritisch und schuldbewusst tritt der Leiter des LKA Berlin vor den Obleuten auf. Erklärungen für das Verhalten seiner Mitarbeiter hat er aber nicht.

Fragen über Fragen, Verwunderung und Unverständnis – in fast 11 Stunden dieses Sitzungstages sammeln die Obleute Indizien für die nicht enden wollende Liste des Behördenversagens. Als ersten Zeugen des Tages vernehmen die Obleute Lokmann D. aus der Geflüchtetenunterkunft in Emmerich. Er sagt aus, wie er das Verhalten des späteren Attentäters im Oktober 2015 erlebte. Schon in den ersten Kontakten wurde ihm klar, dass vom späteren Attentäter eine Gefahr ausging, denn dessen Verhalten und Geschichten irritierten sehr. Zudem passte die angeblich ägyptische Herkunft nicht zum Dialekt des Tunesiers.

Zeuge D. beschreibt glaubhaft, wie seine Zweifel aufkamen. Als der spätere Attentäter dann Videos von IS-Kämpfern zeigte, nahm er schließlich Kontakt zu den Behörden auf. Seine erste Ansprechstelle war das Sozialamt. Später folgt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – eine Dienststelle, die mit dem BND kooperiert und in der in der Vergangenheit immer wieder auch Geflüchtete befragt wurden. Doch weder dort noch bei der Polizei reagierte man auf die Hinweise des Syrers.

„Hätten die Behörden meine Hinweise ernst genommen, könnten die unschuldigen Opfer vom Breitscheidplatz noch leben“, übersetzt der Dolmetscher. Als nach dem Anschlag die Unterkunft in Emmerich von der Polizei durchsucht wurde, interessierte sich zunächst wieder kein Beamter für Angaben von Zeuge D. Als den Bewohnern klar wurde, dass die Durchsuchung mit dem Terroranschlag in Berlin zu tun hatte, ging er erneut zur Polizei. „Sie konnten gar nicht mehr tun. Das, was sie getan haben, war sehr gut! “, sagt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster und macht deutlich, dass die Behörden versagt haben.

Expresszeuge ohne Belang

Nur 14 Minuten verliert der Sitzungstag dann mit einem irrelevanten Wunschzeugen der CDU/CSU, der dafür aus Kleve angereist ist und nichts Erhellendes beitragen kann. In einem Massenverfahren hatte er etwa genau so lang, wie heute seine Aussage dauert, mit einem letztlich nicht eindeutig zu klärenden Handydiebstahl zu tun.

Dieter Hackfurth (Staatsanwaltschaft Kleve)

Regelmäßige Teilnehmer der Ausschusssitzungen wünschen sich so ein Massenverfahren auch für die Zeugen, die die Regierungsfraktionen als unerlässlich für die chronologische Aufarbeitung ansehen und unablässig vor den Ausschuss zitieren. Allen gemein: Ihre Aussagen wurden durch Sonderermittler und in Expertenanhörungen längst geprüft.

Unerklärliche Abläufe im LKA Berlin

Gegen 15 Uhr erscheint dann der Leiter des Berliner LKA Christian Steiof zur Aussage. Seine glaubwürdige Betroffenheit bringt Steiof im Eingangsstatement ebenso zum Ausdruck wie seinen Respekt vor den Hinterbliebenen und Opfern des Anschlags, die die Untersuchungsausschüsse im Abgeordnetenhaus und im Bundestag kritisch begleiten. An diesem Tag jedoch sind erneut keine Vertreter zugegen, und die namentliche Ansprache von Steiof erreicht die Adressaten nicht. Angesichts der schleppend fortschreitenden Aufklärung findet sich in den Gesprächen mit jenen immer häufiger Resignation und Zweifel daran, dass die Ermittlungen überhaupt etwas zu Tage führen sollen.

Steiof wirkt deutlich betroffen. Die Fragen der Obleute versucht er präzise zu beantworten, kann aber an vielen Stellen an diesem Nachmittag und auch in den Abendstunden keine schlüssige Erklärung für das Verhalten seiner Mitarbeiter finden. „Ich bin Disziplinarvorgesetzter von 3.500 Menschen – da passieren jede Woche dolle Dinger“, entgegnet Steiof auf die Fragen der Obleute. Die Task Force „Lupe“ hatte sich mit einem dieser Fälle befasst, in dem die „Kollegen offenbar kalte Füße bekommen haben“. Beamte hatten Einträge in der Datenbank POLIKS der Landespolizei manipuliert, offenbar um eigene Fehlentscheidungen zu vertuschen. Steiof selbst konnte in dem Fall nicht persönlich ermitteln, da die interne Aufarbeitung aus ermittlungstaktischen Gründen an die Polizeipräsidentin abgegeben werden musste.

Den Ermittlern fiel bei ihrer Arbeit SMS-Kommunikation in die Hände. So tauschte Michael Weinreich, der im NSU-Kontext dadurch auffiel, dass er Hinweise einer V-Person nicht angemessen bearbeitete, mit seinem Kollegen Herrn O. Nachrichten aus, in denen die Chiffre „88“ sowie Warnungen vor Kanzlerin Merkel und dem „Gutmenschentum“ eine rechtsradikale Weltsicht erkennen ließen.

„Observationskräfte sind Goldstaub“, führt Steiof an. Für ihn scheint mit der verhängten Disziplinarmaßnahme der Fall abgearbeitet. Verwunderlich angesichts der immer wieder aufkommenden Bezüge zu rechtsradikalem Handeln im LKA, wie die kürzlich öffentlich gewordene Drohbriefaffäre. Ein Polizist hatte auf Basis der polizeiinternen Datenbank Drohbriefe an Linke gesendet.

Steiof wirkt seltsam unbeteiligt und mitunter unwillig, tiefer zu ermitteln. So war auch der Tweet des Rechtspopulisten Lutz Bachmann, der sich schon knapp zwei Stunden nach dem Anschlag auf einen tunesischen Moslem als Attentäter berief und die Information angeblich aus Polizeikreisen haben wollte, kein Anlass für Ermittlungen. Konstantin von Notz (Grüne) führt aus, dass es nicht zusammenpasst, dass man beim LKA zwar beständig die These vertrat, es hätte sich beim späteren Attentäter um einen kleinkriminellen Drogendealer gehandelt, aber im Nachgang zum Anschlag dessen Verbindungen ins Milieu nicht mehr überprüfte. Offensichtlich wurde das Geld aus dem Drogenhandel zur Finanzierung des Terroranschlags genutzt. Steiof nimmt die Ausführungen des Parlamentariers von Notz interessiert zur Kenntnis.

Ohne Erklärung

In der Sitzung wird Steiof über Stunden mit dem unerklärlichen Verhalten seiner Abteilungen konfrontiert. Benjamin Strasser (FDP) zitiert Auswerteberichte zum späteren Attentäter aus den Monaten Juni bis August 2016. Die Berichte dokumentieren ein Verhalten, das von den Ermittlern im LKA konsequent in Richtung eines kleinkriminellen Drogendealers interpretiert wurde. Dabei ignorierten sie offenbar die Kontakte zur Dschihadistenszene.

Im weiteren Sitzungsverlauf arbeitet Konstantin von Notz durch Aktenvorhalte heraus, dass die Behörde im November 2016 die Möglichkeit verstreichen ließ, den späteren Attentäter wegen einer Straftat „für Minimum 3 Jahre einzuknasten“. Auch hier kann Steiof keine Erklärung finden, warum keiner seiner Abteilungsleiter auf ihn zugekommen war, und will Arbeitsüberlastung als mögliche Erklärung heranziehen.

„Vertrauenspersonen findet man nicht im Knabenchor“

Eine LKA-Beamtin, die kurze Zeit später zum Verfassungsschutz wechselte, fiel 2016 durch fragwürdiges Handeln bei einer Hausdurchsuchung auf. Bei der Durchsuchung in der Wohnung eines Informanten des Verfassungsschutzes wurde zunächst ein Laptop beschlagnahmt, aber auf Veranlassung der Beamtin dann wieder von der Asservatenliste gestrichen. Die Obfrau der Linken Martina Renner vermutet eine Intervention des Verfassungsschutzes, der immer häufiger im Zusammenhang mit dem LKA zur Sprache kommt.

Insgesamt acht LKA-Beamte wurden im Laufe des Jahres 2016 „raubbefördert“ und wechselten zum Verfassungsschutz. Die mantraartig vorgetragene Äußerung der Verfassungsschützer, es habe sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, erhält vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Deutungsebene.

Steiof aber schützt seine Mitarbeiter. Der Fall sei so komplex, dass er sich als Disziplinarvorgesetzter nicht anmaßen wolle, einem Mitarbeiter allein die Konsequenzen anzulasten. Doch seien personelle Konsequenzen gewollt, dann würde er nötigenfalls auch selbst zurücktreten. Auch die politischen Akteure nimmt Steiof in Schutz und stellt dar, dass die Priorisierung des damaligen Innensenators Frank Henkel (CDU) normal gewesen wäre und sich nicht negativ auf die Observationsergebnisse ausgewirkt hätte. Henkel hatte im Sommer 2016 medienwirksam den Kampf gegen die linke Szene rund um die Rigaer Straße betrieben.

Strukturen und Köpfe

Den Rücktritt des LKA-Präsidenten als Konsequenz zu fordern, wird den sich abzeichnenden Problemen nicht gerecht. In der Vernehmung wird die Verstrickung mit dem Verfassungsschutz ebenso deutlich wie die Bezüge zu ausländischen Nachrichtendiensten. Die Abschiebung des möglichen Komplizen Ben Ammar, der nach neuesten Berichten des Focus womöglich am Anschlagsort bei der Flucht des Attentäters half, muss ebenso untersucht werden wie die Tatsache, dass das Bundeskriminalamt keine Ermittlergruppe gegründet hatte, um die Probleme durch eine zentrale Ermittlungsführung in den Griff zu bekommen, die der spätere Attentäter durch seine Reisen zwischen NRW und Berlin hervorgerufen hatte.

Personelle Konsequenzen sollten aber dort gezogen werden, wo eine rechtsradikale Weltsicht den Blick verstellt und wo versucht wurde, das eigene Fehlverhalten zu vertuschen. Egal, ob durch Manipulation von Akten und Datenbanken, Blitzabschiebung von Zeugen oder durch die konsequente Behauptung, der Verfassungsschutz sei für den Fall des Breitscheidplatz-Attentäters nicht von Belang.

UAPOD.Berlin – Folge 011 vom 21.02.2019

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16. Sitzung vom 14.02.2019 – Das Versagen des Axel B.

Das Versagen des Axel B.

Im relevanten Teil der Sitzung gesteht Kriminaldirektor Axel B. Versagen ein. Zunächst aber leistet sich die große Koalition mit ihrer Zeugenladung einen Bärendienst.

Staatsanwalt K. aus A. kommt aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin und hält ein juristisches Proseminar. Ihm ist kein Vorwurf zu machen. Er wird allen Anforderungen gerecht, die man angesichts der Bearbeitung eines Bagatelldeliktes an den 62-Jährigen haben kann.

Dr. Wolfgng Kowalzik, Staatsanwaltschaft Arnsberg

Es geht um einen Fahrraddiebstahl. Neuwert des Rades: 599 Euro. Zeitwert: 100 Euro. Der Täter: nicht eindeutig zu ermitteln. Die Einstellung des Verfahrens: ein Routineakt. Die Zuschauer im Saal erfahren jedes Detail, das in die Routineerwägungen des Staatsanwalts mit einzubeziehen war. Details bis hin zu den Fragen, ob das Fahrrad als Hehlerware irrtümlich erworben wurde und ob es nur mitgeführt oder auch benutzt wurde. Staatsanwalt K. wägt ab, ob die Tretkurbel des Fahrrades durch den Täter in Benutzung war und somit eine unzulässige Gebrauchsaneignung vorlag.

Zu den regelmäßigen Besuchern des Ausschusses zählt an solchen Tagen für gewöhnlich ein Überlebender des Anschlags, der am Abend des 19.12.2016 auch Ersthelfer am Breitscheidplatz war. An diesem Tag schafft er den Besuch des Ausschusses aus gesundheitlichen Gründen nicht, wie er in den sozialen Medien mitteilt. Er kämpft mit den Folgen des LKW-Attentats, während die Obleute von CDU, AfD und SPD das juristische Proseminar im Saal 4.900 durch ihre Nachfragen befeuern.

FDP, Grüne und Linke erteilen dieser Farce eine deutliche Absage. Irene Mihalic (Grüne) twittert: „Das Strafrechtskolloquium im #UA1BT ist hoffentlich bald beendet.“ Und auch Benjamin Strasser (FDP) findet deutliche Worte: „Das ist der Schlüssel zum Fall Amri: der Fahrraddiebstahl in NRW! Das ist der Erkenntnisgewinn der von der @cducsubt gewünschten Zeugen im #UA1BT … #ohneworte“ Auch ein Mitarbeiter der FDP-Fraktion macht seinem Ärger über die Zeugenladung Luft und kolportiert aus den nicht-öffentlichen Beratungssitzungen: „Darum bitten, dass die Sitzung grundsätzlich um 21 Uhr enden möge, aber jedes Mal die ersten Stunden mit längst Bekanntem wiederkäuen. #GroKo #Verzögerungstaktik #ablenken“

Staatsanwalt S. aus Berlin hält als zweiter Zeuge einen kurzen, präzisen und schlüssigen Vortrag in Begleitung seines Rechtsbeistands. Auch sein Verhalten ist nicht zu beanstanden und für die Arbeit des Ausschusses ebenso irrelevant.

Jan-Hendrick Schumpich, Staatsanwaltschaft Berlin

LKA 54, Berlin

Mit Zeuge Axel B. beginnt der relevante Teil des Sitzungstages, der sich bis in die Abendstunden zieht. Als leitender Kriminaldirektor ist seine Fachexpertise gefragt. Nicht nur das Handeln seiner Abteilung stand nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz in der Kritik. Auch seine Nebentätigkeit, die er – rechtlich einwandfrei – mit Genehmigung seiner Behörde ausübt, wirft Fragen auf.

Die Mitarbeiter seiner Abteilung beklagten 2016 Arbeitsüberlastung, und aus dem Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen gab es offenbar Beschwerden über die Erreichbarkeit des Krisenmanagers. Axel B. muss sich auch über diesen Punkt hinaus rechtfertigen. Da der spätere Attentäter mal in Dortmund, mal in Berlin unterwegs war, wechselten sowohl die Zuständigkeit der Länderpolizeien als auch die Zielrichtung der Ermittlungen. Es wirkt, als hätten die Behörden den Überblick verloren. Ein Kritikpunkt ist eine Gefährderansprache, bei der ein Mobiltelefon sichergestellt wurde.

Damals stand im Raum, dass der spätere Attentäter Schnellfeuergewehre beschaffen wollte. Da es dem Berliner LKA jedoch an Überwachungskapazitäten fehlte, konfrontierte es den Gefährder und konfiszierte sein Mobiltelefon gegen den Willen der Behörden in NRW, die bereits eine Telekommunikationsüberwachung durchführten. Axel B. schildert, dass das Gerät eingezogen und zur Auswertung an den Verfassungsschutz übergeben wurde. Wer letztlich die Entscheidung traf, ist allerdings nicht mehr nachvollziehbar.

Welche anderweitige Gefahr höher bewertet wurde als ein mit Top-Dschihadisten vernetzter Mann, der Kalaschnikows beschaffen wollte, kann Axel B. nicht plausibel darlegen.

Nachvollziehbarkeit

Axel B., LKA Berlin

So deutlich sich Axel B. vor seine überlasteten Mitarbeiter_innen stellt, so klar werden auch die Versäumnisse im LKA. Trotz der Vernetzung des späteren Attentäters mit mehreren Personen, die bereits im Fokus von Ermittlungen standen, gab es in seinem Fall keine besondere Ausbauorganisation, umgangssprachlich auch Sonderkommission genannt, die behördenübergreifend gebildet werden kann und sich speziell mit einem Fragenkomplex oder Gefährder befasst. In der Abteilung des Axel B. liefen zahlreiche Informationen zusammen, aber viele davon wohl auch nur vorbei.

In seiner Vernehmung erläutert B. die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten. Erst im Nachhinein, und zwar im Februar 2017, hätte er von Vertrauenspersonen erfahren, die der Verfassungsschutz im Umfeld des späteren Attentäters platziert hatte. Axel B. beschreibt, dass es für das LKA unüblich sei, die Geheimdienste proaktiv nach solchen Vertrauenspersonen zu befragen. Wenn relevante Informationen für das LKA vorhanden gewesen wären, hätten das die Dienste sicherlich weitergegeben. Überhaupt scheinen Nachfragen eher vermieden zu werden.

Allgemeines Erstaunen in großer Runde

Im LKA Berlin gab es keine Nachforschungen nach undichten Stellen. Am Abend des Anschlags, als Medien bereits in den ersten beiden Stunden mit reichlich inoffiziellen Informationen aus Sicherheitskreisen ausgestattet waren, meldete sich zielsicher ein Dresdener Rechtspopulist mit einem Tweet zu Wort. Schon um 22:30 Uhr spricht er von Informationen aus Polizeikreisen, die auf einen Moslem tunesischer Herkunft hindeuten würden. Das Ergebnis: „allgemeines Erstaunen in großer Runde“, aber keine internen Ermittlungen. Pikant: bis zur internationalen Fahndung nach dem Attentäter, der sich als tunesischer Moslem herausgestellt hat, dauert es noch mehr als 24 Stunden. Sicher, man kann den Tweet auch als Zufallstreffer werten. Doch spätestens seit Mitte 2018 aus der internen Kommunikation von Mitarbeitern der LKA-Ermittlungsgruppe Naziparolen öffentlich wurden, erscheint der mittlerweile gelöschte Tweet in einem anderen Licht.

Der Fragenkatalog, den die Opposition an diesem Sitzungstag nahezu ohne Interventionen der Landesbehörden abarbeiten kann, ist lang. Warum wurde das Material aus mindestens zwei, vermutlich sogar mehr Kameras, nicht ausgewertet, mit denen die Fussilet-Moschee überwacht wurde? Warum wurden die Hinweise des marokkanischen Geheimdienstes auf den späteren Attentäter im Oktober 2016 nur unzureichend und erst nach dem Anschlag vollständig übersetzt? Wieso dauerte es 28 Stunden, bis der Attentäter identifiziert und international zur Fahndung ausgeschrieben war, obwohl im Tatfahrzeug zwei Mobiltelefone, Fingerabdrücke und sogar Personenpapiere gefunden wurden? Wie rechtfertigt die Behörde die Single-Point-of-Contact-Runden zwischen polizeilichem Staatsschutz und Verfassungsschutz, die weder inhaltlich noch in Bezug auf die Teilnehmer dokumentiert sind?

In öffentlicher Sitzung hat Axel B. für all das keine Erklärung, arbeitet die Krise im eigenen Arbeitsbereich aber souverän und eloquent ab. „„Der Terroranschlag hat mich und mein Dezernat erschüttert. Das Ziel unseres Dezernats ist es, die Bevölkerung vor solchen Taten zu schützen. Am 19.12.2016 ist das uns – ist das MIR – nicht gelungen“, sagte Axel B. selbstkritisch zu Beginn seiner Vernehmung. Der Kriminaldirektor geht nach den mittlerweile verfügbaren Informationen nicht mehr von einem Einzeltäter aus und ist damit weiter, als der Verfassungsschutz. Dessen Verantwortliche sprechen überwiegend und unbelehrbar von einem reinen Polizeifall und lassen nur wenige Anzeichen von Selbstkritik erkennen.

UAPOD.Berlin – Folge 010 vom 14.02.2019

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Daniel Lücking

Daniels Artikel zur Sitzung im Blog von Der Freitag

UAPOD.Berlin – Folge 008 vom 17.01.2019

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Wir hörten heute den Zeugen J., ein Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnehmeeinrichtung und Zeuge Schimanski aus Dortmund.