Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

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37. Sitzung am 05.03.2020 – Herr Steiof und die Uhrzeiten

Im Bundestag suchen Parlamentarier nach Antworten und finden neue Fragen an vergangene Zeugen

Parlamentarier und Zuschauer im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss haben einen langen Tag hinter sich. Vier Zeugen wurden bereits gehört, als gegen 22 Uhr im Bundestag die Vernehmung des Tatort-Ermittlers Thomas Bordasch beginnt, der die erste Spurensicherung am Anschlagsabend begonnen hatte.

Etwa drei Stunden nach der Tat waren die Ermittler vor Ort. Zunächst galt es abzuwarten. Verletzte mussten versorgt und in Krankenhäuser gebracht werden. Polizeikräfte untersuchten die Ladefläche des LKW auf möglich Sprengsätze. Der Lastwagen, der zur Mordwaffe geworden war, wurde dann von fünf Spurensicherungsteams zeitgleich untersucht. Die wenigen Details aus der Ermittlerarbeit in den ersten Stunden auf dem Breitscheidplatz sind nicht nur für Betroffene des Anschlags schwer zu ertragen.

Fragwürdiger Schichtbetrieb

Der 48-jährige Bordasch beschreibt, dass eine Wärmehalle gefunden werden musste, in der der LKW forensisch untersucht werden konnte. Kälte und Feuchtigkeit hätten keine Spurensicherung zugelassen. Daher wurde der Lastwagen in die Julius-Leber-Kaserne am Flughafen Tegel geschleppt. Die Parlamentarier arbeiten sich durch die Abläufe des 19. und 20. Dezembers 2016.

KHK Thomas Bordasch

Für Bordasch war es ein 48-Stunden-Dienst, den er als Teil der sogenannten Mordbereitschaft absolvierte. Das käme schon einmal vor und sei dann eben so. Er schildert Details, erklärt sein Vorgehen, beschreibt Änderungen der Vorgehensweise, die man nach dem Anschlag angepasst habe. Ja, man habe gelernt. Aktuell würde nicht mehr der Spurensicherung Priorität eingeräumt, sondern man suche in der ersten Phase nun gezielt nach Papieren und Belegen für die Identität, die Attentäter immer wieder hinterlassen.

Ein Bekenntnis, das in erster Linie der posthumen Anerkennung, aber auch der Versorgung von hinterbliebenen Angehörigen durch Terroristenorganisationen, wie dem IS dienen soll. Ein Vorgehen, das schon bei Anschlägen in Frankreich im Jahr 2015, wie bei der Attacke auf die Redaktion von Charlie Hebdo zu beobachten war. Dennoch: Das Wissen um eine solche Taktik scheint dem LKA Berlin auch zwei Jahre nach dem islamistischen Anschlag in Frankreich nicht in den Sinn gekommen zu sein.

Die Fraktion der Grünen ist mit mehreren Aspekten der Tatortarbeit nicht einverstanden. Es fehlt ein Verzeichnis der Spuren, die am Fahrzeug gesichert worden sind. Eine »Lichtbildmappe«, die als eine Art Abschlussbericht der Tatortermittlungen vorliegt, ist wenig aussagekräftig. Die enthaltenen Bilder sind weder chronologisch nachvollziehbar, noch lassen sich anhand von Metadaten ermitteln, ob Bilder am Breitscheidplatz oder in der Wärmehalle in der Kaserne aufgenommen wurden. Und nicht nur die gesicherten Spuren müssen aufgearbeitet werden. Es fehlen auch wissenschaftliche Erklärungen, warum eigentlich erwartbare Spuren nicht in der Fahrerkabine gefunden wurden. »Meine CDs sind definitiv zum Staatsschutz gegangen«, erläutert Bordasch auf Nachfragen von Irene Mihalic. Doch statt eines konsistenten Abschlussberichtes der Tatortermittlungen zu erhalten, sollen die Parlamentarier, die bereits mit hunderten Terabyte an Video- und Aktenmaterial eingedeckt wurden, sich nun auch noch durch tausende Fotos der Tatortermittler arbeiten.

Widersprüchliche Uhrzeiten

Kurz vor Ende der Vernehmung hinterfragt die Fraktion der Grünen dann noch eine letzte Auffälligkeit. Es liegen Erkenntnisse vor, dass in der Nacht des Anschlags um 0 Uhr 55 eine Telefonkonferenz stattgefunden hat. Staatsschutz, Kriminalpolizei und Christian Steiof, dem Leiter des LKA Berlin waren daran beteiligt. Steiof sprach nach den Darstellungen der Grünen davon, man habe den Fahrer des Lastwagens mit einem Kopfschuss in der Fahrerkabine gefunden. Es gäbe ein mit der Kopfwunde korrespondierendes Einschussloch ein einer Scheibe der Fahrerkabine. Für Tatortermittler Bordasch ist das eine neue Erkenntnis. Über Videobildschirme im Saal wird ein Blick in die Fahrerkabine ermöglicht. Es gibt eine 360-Grad-Aufnahme, die neben dem Chaos in der Kabine auch die Scheiben zeigt. Die völlig zerstörte Frontscheibe kann nicht gemeint gewesen sein. Auch die Seitenscheiben sind intakt. Nicht nur das wird Steiof erklären müssen. Bordasch hat in Protokollen festgehalten, dass der Leichnam des polnischen Fahrers Lukasz U. erst gegen 01:45 Uhr untersucht worden ist. Fast eine Stunde nach den Einlassungen von Steiof.

Glanzstunden des LKA Berlin

Drei weitere Zeugen aus der Islamismusabteilung gaben zu Beginn des Sitzungstages ihre Aussagen ab. Sie sind durch ein eher zufällig gefundenes Überwachungsvideo auf die Zeugenliste geraten. Eine Kamera, die durch das LKA auf die Fussilet-Moschee in der Perleberger Straße gerichtet war, hat mehrere Überwachungsaktionen eingefangen, die in der Anschlagsnacht durch die eilig einberufenen Streifen durchgeführt wurden. Von der Kamera, die von der eigenen Abteilung schon Monate zuvor aufgestellt worden war, wussten die Islamismus-Experten angeblich nichts:
»Man nimmt ja eigentlich an, in der eigenen Abteilung redet man miteinander«, kritisiert Martina Renner, »Wir bleiben dabei: Vieles im LKA Berlin wirkt unabgestimmt und fachlich nicht kompetent.« Sie kritisiert, dass Zeugen sehr oft nicht auf einem Wissensstand seien, den man im Phänomenbereich Islamismus mittlerweile als bekannt voraussetzen müsse.

v.l.n.r. Polizeiobermeister Y.K., Polizeiobermeister T.A., Polizeioberkommissar R.D.

Zwei der drei Zeugen, die auf dem Video erscheinen, sind stark maskiert und anonymisiert, als sie zunächst aussagen, sich auf den Videos nicht zu erkennen, sich nicht ganz sicher sein wollen , und sich letztlich vielleicht doch erkennen.? Ihr wohl unmaskiert auftretender Kollege soll erklären, was er vor der Moschee rund eine halbe Stunde mit Rostam A. besprochen hat. Nichts Wesentliches sei zu Protokoll zu nehmen gewesen, meint Zeuge R.D., der es eher mit einem jammernden Rostam A. zu tun gehabt haben will, der schon damals pornosüchtig gewesen und heute psychisch krank sei. Die Linke-Politikerin Martina Renner konfrontiert R.D. damit, dass der harmlos wirkende Rostam A. in der Fussilet-Moschee eine durchaus gehobene Rolle übernommen hatte. Mitunter habe er den Imam vertreten und in dessen Abwesenheit den Zugang zur Moschee geregelt. Zeuge R.D. wirkt verdutzt bis arglos.

Ein »M300-Szenario« war ausgerufen worden. Polizeikräfte sollten jeden erkannten islamistischen Gefährder überprüfen. Eine offene und sichtbare Postierung vor den Berliner Moscheen wurde gewählt, während ein bewaffneter Täter auf der Flucht durch Berlin war. In den Einsatzprotokollen ist jedoch nichts über die Besuche an der Fussilet-Moschee zu finden, die wenige Stunden danach dann durch ein Sondereinsatzkommando gestürmt wurde. Alle drei Zeugen können weder erklären, was mit den Maßnahmen in der Anschlagsnacht erreicht werden sollte, noch, warum diese nicht dokumentiert sind.

33. Sitzung am 19.12.2019 – Unangenehm

Behördenversagen trifft auf den Wunsch nach Beschaulichkeit. Während die Opposition kritisch Bilanz zieht, vermeiden die Regierungsparteien Kritik

Zur Halbzeit der Legislaturperiode zog die Bundesregierung im November 2019 mit großem Bahnhof eine Zwischenbilianz des Regierungshandelns. Um den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Attentat indes, blieb es still. Die Oppositionsparteien FDP, Bündnis90/Die Grünen und die Linke durchbrachen diese Stille und setzten rechtzeitig vor dem Jahrestag am Mittwoch eine einstündige Zwischenbilanz an, an der sich die Parteien der großen Koalition jedoch nicht beteiligten.

Der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler (CDU) hält das für zu früh, wie er in einem Interview im ZDF Morgenmagazin vorab rechtfertigt. Man sei mitten in der Arbeit. Ein Zwischenergebnis sei derzeit nicht angebracht, „weil man sich durch so ein Zwischenergebnis möglicherweise auch bestimmte Fragestellungen verschüttet.“

Eine Kritik, dass der Untersuchungsausschuss weiterhin auf Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz wartet, die längst vorliegen müssten, kommt Klaus-Dieter Gröhler nicht über die Lippen.

Timing

Pflichtschuldig meldet sich Fritz Felgentreu dann am Jahrestag des Attentats mit einer Pressemeldung zu Wort, als das Thema in den Redaktionen entweder schon produziert ist oder nur noch auf die aktuellen Bilder aus der Gedenkveranstaltung des Abends warten muss.

„Wir konnten entgegen früherer Verlautbarungen weitere Belege sammeln, dass Amri kein klassischer Einzeltäter und auch kein ‚reiner Polizeifall‘ war. Amri war in länderübergreifende islamistische Netzwerke eingebunden. Unsere Nachrichtendienste hatten Erkenntnisse über ihn“, formuliert Fritz Felgentreu, was in der Pressekonferenz von FDP, B90/Grüne und Linken deutlich als Versagen der Bundesbehörden dargestellt wurde.

Eine proaktive und zeitgerechte Pressearbeit – abseits von den obligatorischen Bekundungen von Anteilnahme zum Jahrestag – vermieden die Regierungspateien.

Versagen auf Bundesebene

Am Jahrestag des Anschlags ist es Polizeioberrat Youssef El-Saghir vom Landeskriminalamt Berlin, der zum Behördenversagen aussagen muss. Die Fragestellungen der Obleute kreisen vor allem um eine Personenenüberprüfung des späteren Attentäters am 18. Februar 2016. Zunächst rechtfertigt sich El-Saghir, das LKA Berlin habe zu spät davon erfahren, dass man den späteren Attentäter observieren, aber nicht direkt ansprechen solle. Eine explizite Order habe es erst knapp eine Stunde nach dem Zeitpunkt gegeben, als Berliner Polizeikräfte den späteren Attentäter am Zentralen Omnibusbahnhof ZOB bereits kontrolliert und sein Handy beschlagnahmt hatten.

Es ist das penibel geführte Einsatztagebuch des NRW-Beamten KHK M., aus dem die Obleute nun aber belegen konnten, dass die Information über die Gefährlichkeit des späteren Attentäters, sowie dessen Berlinpläne bereits am Vortag in der Sitzung des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ ein Thema waren. In einer Infoboard-Runde wurde darüber gesprochen, dass Observation, aber kein Zugriff erfolgen sollte.

El-Saghir entschuldigt den Zugriff nicht zuletzt auch damit, man habe nicht rechtzeitig Observationsteams bereitstellen können. Die mangelhafte und zu späte Weitergabe der Information durch den Beamten C. und den zuständigen Infoboard-Bearbeiter, kann er nicht erklären.

Klare Worte

„Der Tag am ZOB hat viel mehr Bedeutung bekommen, als der eigentlich verdient“, rechtfertigte El-Saghir noch zu einem frühen Zeitpunkt seiner Aussage. „Ich war durchgängig der Ansicht, dass der Willen einen Anschlag zu begehen keine Konstante darstellte“, erklärt er das abnehmende Interesse am späteren Attentäter im Laufe des Jahres 2016.

Im Mittlerweile dritten Untersuchungsausschuss fallen aber auch Worte, die immerhin nicht mehr zum Ziel haben, Fehler zu vertuschen: „Die Liste an Versäumnissen, wenn Sie die vorlesen würden, würde den heutigen Tag sprengen“, räumt El-Saghir schuldbewußt ein.

Trotzdem bleibt die Häufung von Fehleinschätzungen unerklärlich. Aus der Telefonüberwachung des späteren Attentäters geht hervor, dass sich dieser nach dem Zugriff am ZOB der polizeilichen Überwachung bewusst war. Als am 18. Februar 2016 das LKA NRW noch versuchte, genaueres zur Reiseroute des späteren Attentäters in Erfahrung zu bringen, musste die VP 01 ein Telefongespräch führen. Der wenig später erfolgende Polizeizugriff enttarnt die VP-01, die danach nicht mehr einsetzbar ist. „Das LKA hat auf mich gewartet in Berlin“, ist in den Protokollen der Telefonüberwachung zu finden. Der spätere Attentäter wechselte daraufhin seine Telefone und informiert seine Kontakte.

„Die Idee eine eigene VP ins Rennen zu bringen, die stand nicht zur Debatte, weil mehr als die VP-01 hätte niemand zu Tage bringen können“, gibt El-Saghir zu Protokoll. „Im Nachhinein betrachtet, wäre es eine sinnvolle Maßnahme gewesen.“

Youssef El-Saghir (Polizeioberrat | LKA Berlin)

Bundesverantwortung

So bereitwillig der Polizeioberrat El-Saghir die Versäumnisse einräumt, so deutlicher macht er, dass spätestens nach der Polizeiaktion vom 18. Feburar 2016 hätte klar sein müssen, dass der Fall späteren Attentäters zwischen den Länderpolizeien nicht effektiv gehandhabt werden kann. Die deutsche Quelle VP-01 war verbrannt. Der Nachrichtenmittler Anis Amri, der wohl am nächsten am IS-Statthalter Abu Walaa dran war, tauchte zumindest digital ab und änderte sein Verhalten, wie es das IS-Handbuch rät.

Verantwortung und AufklärungEl-Saghir bittet nach dem Ende der Sitzung eines der Opfer des Anschlags um Verzeihung. Auch der Behördenleiter zeigte sich vor dem Untersuchungsausschuss reumütig.
Zwei weitere Kollegen des LKA Berlin verweigern die Aussagen vor dem Untersuchungsauschuss, um sich nicht zu belasten. Sie fürchten die erneute Aufnahme von Ermittlungen wegen mutmaßlicher Aktenmanipulationen. Eine Woche zuvor sah mit dem Zeugen Philipp Klein ein Beamter des Bundeskriminalamtes keine Veranlassung für eine Ermittlungsgruppe auf Bundesebene. Die Bereitschaft sich zu einer Mitverantwortung zu bekennen variiert stark. Das fangen auch die Solidaritätsbekundungen aus Regierungsparteienkreisen anlässlich des dritten Jahrestages nicht auf.

Medien und der UA1BT – Der Tag danach

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Daniel Lücking
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Stella Schiffczyk

In dieser Sonderfolge befassen wir uns mit den Dynamiken der Medienarbeit rund um den UA1BT. Auch die Stellungnahme des Bundesinnenministeriums zur Zeugenaussage des LKA NRW Zeugen M. ist enthalten.
Das Hintergrundgespräch mit den Grünen wirft eine Frage auf: Aktualität oder Chronistenarbeit – Welchen Schwerpunkt braucht Berichterstattung über den UA1BT?

Berichte über die Sitzung schafften es um 17 Uhr in die Tagesschau und um 19 Uhr in die Heute-Sendung. Darüber hinaus hat Phoenix-Der Tag auch einen rund neun Minuten langen Bericht mit O-Tönen von Irene Mihalic, Benjamin Strasser und einem kurzen Interview mit Konstantin von Notz.

Die Erklärung des BMI zur Sitzung vom 14.11.2019 im Wortlaut aus der Regierungspressekonferenz vom 15.11.2019 und wie in der Folge vorkommend:

ALTER: Ich möchte etwas zum gestrigen Untersuchungsausschuss sagen und dazu eine Erklärung abgeben.

Am 14. November 2019 hat ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen als Zeuge vor dem 1. Untersuchungsausschuss der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages einige Aussagen getätigt, die die Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes und des LKA Nordrhein-Westfalen vor dem Anschlag betreffen. Hierzu nimmt das Bundesinnenministerium wie folgt Stellung:

Erstens. Der Zeuge hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, ein mündliches Ersuchen auf Übernahme der Sachverhaltsbearbeitung durch das BKA gestellt zu haben, was jedoch durch das BKA abgelehnt worden sei.

Dazu erkläre ich für das BMI: Ein Übernahmeersuchen des LKA NRW zum Sachverhalt an das BKA hat es nicht gegeben.

Zweitens. Der Zeuge hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, ein Beamter des Bundeskriminalamtes habe ihm am Rande einer Besprechung beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 gesagt, die Quelle des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, die damals auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters Anis Amri hingewiesen habe, „mache zu viel Arbeit“.

Dazu erkläre ich für das BMI: Die Aussage wurde weder wörtlich noch sinngemäß durch den Beamten des BKA getätigt. Bereits ein inhaltliches Vieraugengespräch hat es nicht gegeben.

Drittens. Laut Zeuge habe ihm besagter Sachbearbeiter des BKA in dem Vieraugengespräch weiterhin gesagt, diese Auffassung werde auch „von ganz oben“ vertreten. Auf Nachfrage teilte der Zeuge mit, in seinen entsprechenden Gesprächsnotizen habe er sich daraufhin den Namen des damals zuständigen Gruppenleiters des BKA sowie den Namen de Maizière bzw. „Bundesinnenministerium“ notiert.

Dazu erkläre ich für das BMI: Eine entsprechende Aussage hat der Beamte des BKA nicht getroffen. Zudem ist auszuschließen, dass weder der damalige Bundesminister de Maizière noch andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des BMI entsprechende Sachverhaltsbewertungen vornehmen oder derartige Weisungen erteilt haben. Das Gleiche gilt hier für die Leitungsebene des BKA einschließlich des damaligen Gruppenleiters.

Der Untersuchungsausschuss wurde bereits über diese Erklärung informiert. Wir werden später an diesem Tag auch eine Pressemitteilung dazu veröffentlichen. Die betroffenen Mitarbeiter des BKA wären für die Möglichkeit dankbar, den Sachverhalt zeitnah vor dem Untersuchungsausschuss aufzuklären. – Danke.

FRAGE WARWEG: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, dass der Hauptkommissar des LKA NRW – soweit ich weiß, ist er Hauptkommissar – in seinen Ausführungen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages komplett gelogen hat?

ALTER: Diese Bewertung müssen Sie vornehmen. Ich habe Ihnen den Sachstand wiedergegeben, den das BMI hat.

ZUSATZFRAGE WARWEG: Aber er wird auch mit der Aussage zitiert, dass, wie Sie schon ausgeführt haben, die Ansage von ganz oben kam, dass der V-Mann oder Spitzel kaputtgeschrieben werden sollte. Können Sie noch ausführen, ob dieser V-Mann dann tatsächlich aus dem Anis-Amri-Umfeld abgezogen wurde oder nicht?

ALTER: Ich bitte um Verständnis, dass ich zu diesem Komplex keine weitere Detaillierung vornehmen kann; denn dieser Sachverhalt ist Gegenstand des Untersuchungsausschusses und auch Gegenstand von Ermittlungen. Aber ich bin der Auffassung, dass das, was ich Ihnen gerade erklärt habe – es geht ja auf die wesentlichen Aussagen des Zeugen ein -, in aller Klarheit dargestellt wurde. Alles Weitere wird vor dem Untersuchungsausschuss zu klären sein.

FRAGE KLISS: Die Abgeordneten haben dem Zeugen gestern im Untersuchungsausschuss geglaubt und haben uns gegenüber gesagt, dass die Quelle mundtot gemacht werden sollte. Das sind ja in dem Fall Abgeordnete, die dem Zeugen zugehört haben. Wie bewerten Sie das denn?

ALTER: Die Abgeordneten haben dem Zeugen zugehört. Der Zeuge hat gestern seine Aussagen getätigt. Das BMI sitzt heute hier und stellt die Sachverhaltsdarstellung klar.

FRAGE WARWEG: In Medienberichten wird auf eine weitere LKA-Beamtin verwiesen, die die Aussagen des genannten LKA-Kommissars zumindest in Teilen bestätigt hat. Wie bewerten Sie denn die Aussagen dieser LKA-Beamtin?

ALTER: Ich kann die Aussagen dieser LKA-Beamtin nicht bewerten, weil ich Ihnen den Kenntnisstand des Bundesinnenministeriums und auch des BKA hier an dieser Stelle wiedergebe. Darüber hinaus kann ich keine Detaillierungen vornehmen.

Es ist aber auch klar – ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit, die ich nicht erwähnen muss; ich tue es dennoch -: Der gesamte Fallkomplex, der gestern durch die Zeugenaussage in ein Licht gerückt wurde, wird natürlich jetzt intensiv überprüft. Wenn es Erkenntnisse gäbe, die zu einer anderen Bewertung kämen, dann würden wir Sie darüber informieren. Aber ich will darauf hinweisen, dass dieser Sachverhalt ja bereits Gegenstand der bereits öffentlich abrufbaren Fallchronologie des BKA zu diesem Fallkomplex ist, und dies nicht erst seit gestern. Das heißt, der Sachstand ist bekannt, und die Bewertung der Aussage habe ich Ihnen heute wiedergegeben.

FRAGE LEIFERT: Herr Alter, ich vermute einmal, dass Ihr Sprechzettel mithilfe des BKA aufgesetzt wurde. Sind es noch dieselben handelnden Personen, die Ihnen das notiert haben, die vor drei Jahren auch in diesen Ämtern waren und mit dem Fall so nah befasst sind wie damals?

ALTER: Die Erklärung, die ich Ihnen verlesen habe, wurde im BMI heute erstellt. Selbstverständlich haben bereits seit gestern Abend intensive Kommunikationen mit dem BKA stattgefunden. Das ist der Sachstand, der von den derzeit in den Funktionen befindlichen Personen wiedergegeben werden kann. Zum Teil, insbesondere auf der operativen Ebene, handelt es sich um Personenidentität.

FRAGE SAMBALE: Aus der Opposition wird ins Gespräch gebracht, den früheren Innenminister de Maizière im Untersuchungsausschuss dazu zu befragen. Wird der frühere Innenminister de Maizière oder der aktuelle Innenminister zu diesem Thema in den Untersuchungsausschuss gehen?

ALTER: Das ist eine Frage, die ich von dieser Stelle nicht beurteilen kann. Üblicherweise ist es ja so, dass, wenn der Untersuchungsausschuss einen Zeugen lädt, sich diese Ladung an den jeweiligen Zeugen und nicht an das Bundesinnenministerium richtet.

FRAGE WARWEG: Der Zeuge hat auch darauf verwiesen, dass er seine Vorgesetzten in NRW von dieser Mitteilung in Kenntnis gesetzt hat. Vielleicht haben Sie es schon ausgeführt; dann ist es mir entgangen. Aber negieren Sie sozusagen auch die Gespräche vom Zeugen an seine Vorgesetzten in NRW?

ALTER: Die Erklärung, die ich Ihnen verlesen habe, bezieht sich auf die Aussagen, die der Zeuge zu diesem Fallkomplex gestern getätigt hat.

ZUSATZFRAGE WARWEG: In seiner Gänze?

ALTER: Auf die Aspekte, die ich hier konkret angesprochen habe.

FRAGE KLISS: Teilen Sie die Einschätzung, dass, wenn man dem im Februar geglaubt hätte, Anis Amri den Anschlag nicht hätte verüben können, weil man ihn vorher eingesperrt hätte?

ALTER: Das ist eine sehr spekulative Frage. Es wäre vermessen, an dieser Stelle eine solche Einschätzung vorzunehmen. Die Sachverhaltschronologie ist bekannt. Der Zeuge hat seine Aussage gestern gemacht. Das Bundesinnenministerium und das BKA haben dazu einen ganz anderen Sachstand. Den habe ich heute wiedergegeben.

FRAGE WARWEG: Noch eine Verständnisfrage: Aber der Fakt bleibt ja, dass LKA NRW immer wieder insistiert hat, wie gefährlich Anis Amri ist, und dass das LKA Berlin das ein bisschen zur Seite gewischt hat. Das heißt, diese Quelle hat es ja anscheinend real gegeben und ist einige Monate vorher nicht mehr präsent. Sie haben schon gesagt, Sie könnten das nicht in irgendeiner Form ausführen, aber können Sie zumindest bestätigen, dass es diese Differenz zwischen LKA NRW – Anis Amri gefährlich – und LKA Berlin gibt, das gesagt hat, er stelle keine akute Gefahr dar?

ALTER: Das werde ich an dieser Stelle ganz sicher nicht tun; denn ich bin der Sprecher des Bundesinnenministeriums, und ich spreche für das Bundesinnenministerium sowie für den nachgeordneten Geschäftsbereich, d. h. das Bundeskriminalamt. Ich werde keine Bewertung zur Kommunikation zweier Landesbehörden untereinander vornehmen.

FRAGE LEIFERT: Herr Alter, sind Sie befugt, uns einen kurzen Einblick zu geben, wie eine solche Recherche bei Ihnen im Hause läuft, um so einen Sprechzettel aufzusetzen? Nehmen wir einmal das Beispiel de Maizière. Bestellen Sie den früheren Innenminister ein, um ihn nach seinen Erinnerungen an diesen Sachverhalt zu befragen, oder gibt es darüber Unterlagen, oder rufen Sie ihn an? Wie kommen Sie zu den Informationen, um hier solche Aussagen zu treffen?

ALTER: Sie können davon ausgehen, dass die Informationslage so verdichtet wird, dass das BMI mit einer Sicherheit diese Aussage, die ich getätigt habe, auch vertreten kann. Über die Details der Kommunikation will ich öffentlich nichts sagen, aber Sie können davon ausgehen, dass eine solche Erklärung, wie ich sie gerade verlesen habe, nicht leichtfertig verlesen wird.

UApod.berlin – Folge 025 vom 14.11.2019

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Stella Schiffczyk

Wir freuen uns über Spenden per PayPay über spende@uapod.berlin

In dieser Folge sprechen wir neben der Kriminaloberkommissarin S., die TKÜ auswertete und den späteren Attentäter daraus hervorgehend als hochgradig gefährlich einschätzte und berliner LKA Kriminalhauptkommissar C. über den hoch brisanten Zeugen M. Der Kriminalhauptkommissar vom LKA NRW berichtete von der Arbeit mit der VP-01. Diese Vertrauensperson hatte für den Fall des späteren Attentäters unzählige Hinweise geliefert und sollte aus Sicht des BKA ausgeschaltet werden. KHK M. erzählte von einem Zwiegespräch, das Herrn de Maizière und die Spitze des BKA schwer belastet und Folgen nicht nur für den weiteren Verlauf des Ausschusses haben wird.

In dieser Folge äußern sich zur „Breitscheid-Affäre“: Benjamin Strasser (FDP), Irene Mihalic (die Grünen), Martina Renner (die Linken) und Fritz Felgentreu (SPD).

UApod.Berlin – Folge 015 vom 11.04.2019

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Matthias Jakubowski

Zusammen mit Matthias Jakubowski sprechen wir über die Zeugen
Frau S. D. (BKA)
Leonie Simonis (BKA)
Frau Katharina Mühlfeld (BKA)
und Alexander Stephan (BKA)

17. Sitzung vom 21.02.2019 – Übersehen, ignorieren und vertuschen

Übersehen, ignorieren und vertuschen

Selbstkritisch und schuldbewusst tritt der Leiter des LKA Berlin vor den Obleuten auf. Erklärungen für das Verhalten seiner Mitarbeiter hat er aber nicht.

Fragen über Fragen, Verwunderung und Unverständnis – in fast 11 Stunden dieses Sitzungstages sammeln die Obleute Indizien für die nicht enden wollende Liste des Behördenversagens. Als ersten Zeugen des Tages vernehmen die Obleute Lokmann D. aus der Geflüchtetenunterkunft in Emmerich. Er sagt aus, wie er das Verhalten des späteren Attentäters im Oktober 2015 erlebte. Schon in den ersten Kontakten wurde ihm klar, dass vom späteren Attentäter eine Gefahr ausging, denn dessen Verhalten und Geschichten irritierten sehr. Zudem passte die angeblich ägyptische Herkunft nicht zum Dialekt des Tunesiers.

Zeuge D. beschreibt glaubhaft, wie seine Zweifel aufkamen. Als der spätere Attentäter dann Videos von IS-Kämpfern zeigte, nahm er schließlich Kontakt zu den Behörden auf. Seine erste Ansprechstelle war das Sozialamt. Später folgt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – eine Dienststelle, die mit dem BND kooperiert und in der in der Vergangenheit immer wieder auch Geflüchtete befragt wurden. Doch weder dort noch bei der Polizei reagierte man auf die Hinweise des Syrers.

„Hätten die Behörden meine Hinweise ernst genommen, könnten die unschuldigen Opfer vom Breitscheidplatz noch leben“, übersetzt der Dolmetscher. Als nach dem Anschlag die Unterkunft in Emmerich von der Polizei durchsucht wurde, interessierte sich zunächst wieder kein Beamter für Angaben von Zeuge D. Als den Bewohnern klar wurde, dass die Durchsuchung mit dem Terroranschlag in Berlin zu tun hatte, ging er erneut zur Polizei. „Sie konnten gar nicht mehr tun. Das, was sie getan haben, war sehr gut! “, sagt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster und macht deutlich, dass die Behörden versagt haben.

Expresszeuge ohne Belang

Nur 14 Minuten verliert der Sitzungstag dann mit einem irrelevanten Wunschzeugen der CDU/CSU, der dafür aus Kleve angereist ist und nichts Erhellendes beitragen kann. In einem Massenverfahren hatte er etwa genau so lang, wie heute seine Aussage dauert, mit einem letztlich nicht eindeutig zu klärenden Handydiebstahl zu tun.

Dieter Hackfurth (Staatsanwaltschaft Kleve)

Regelmäßige Teilnehmer der Ausschusssitzungen wünschen sich so ein Massenverfahren auch für die Zeugen, die die Regierungsfraktionen als unerlässlich für die chronologische Aufarbeitung ansehen und unablässig vor den Ausschuss zitieren. Allen gemein: Ihre Aussagen wurden durch Sonderermittler und in Expertenanhörungen längst geprüft.

Unerklärliche Abläufe im LKA Berlin

Gegen 15 Uhr erscheint dann der Leiter des Berliner LKA Christian Steiof zur Aussage. Seine glaubwürdige Betroffenheit bringt Steiof im Eingangsstatement ebenso zum Ausdruck wie seinen Respekt vor den Hinterbliebenen und Opfern des Anschlags, die die Untersuchungsausschüsse im Abgeordnetenhaus und im Bundestag kritisch begleiten. An diesem Tag jedoch sind erneut keine Vertreter zugegen, und die namentliche Ansprache von Steiof erreicht die Adressaten nicht. Angesichts der schleppend fortschreitenden Aufklärung findet sich in den Gesprächen mit jenen immer häufiger Resignation und Zweifel daran, dass die Ermittlungen überhaupt etwas zu Tage führen sollen.

Steiof wirkt deutlich betroffen. Die Fragen der Obleute versucht er präzise zu beantworten, kann aber an vielen Stellen an diesem Nachmittag und auch in den Abendstunden keine schlüssige Erklärung für das Verhalten seiner Mitarbeiter finden. „Ich bin Disziplinarvorgesetzter von 3.500 Menschen – da passieren jede Woche dolle Dinger“, entgegnet Steiof auf die Fragen der Obleute. Die Task Force „Lupe“ hatte sich mit einem dieser Fälle befasst, in dem die „Kollegen offenbar kalte Füße bekommen haben“. Beamte hatten Einträge in der Datenbank POLIKS der Landespolizei manipuliert, offenbar um eigene Fehlentscheidungen zu vertuschen. Steiof selbst konnte in dem Fall nicht persönlich ermitteln, da die interne Aufarbeitung aus ermittlungstaktischen Gründen an die Polizeipräsidentin abgegeben werden musste.

Den Ermittlern fiel bei ihrer Arbeit SMS-Kommunikation in die Hände. So tauschte Michael Weinreich, der im NSU-Kontext dadurch auffiel, dass er Hinweise einer V-Person nicht angemessen bearbeitete, mit seinem Kollegen Herrn O. Nachrichten aus, in denen die Chiffre „88“ sowie Warnungen vor Kanzlerin Merkel und dem „Gutmenschentum“ eine rechtsradikale Weltsicht erkennen ließen.

„Observationskräfte sind Goldstaub“, führt Steiof an. Für ihn scheint mit der verhängten Disziplinarmaßnahme der Fall abgearbeitet. Verwunderlich angesichts der immer wieder aufkommenden Bezüge zu rechtsradikalem Handeln im LKA, wie die kürzlich öffentlich gewordene Drohbriefaffäre. Ein Polizist hatte auf Basis der polizeiinternen Datenbank Drohbriefe an Linke gesendet.

Steiof wirkt seltsam unbeteiligt und mitunter unwillig, tiefer zu ermitteln. So war auch der Tweet des Rechtspopulisten Lutz Bachmann, der sich schon knapp zwei Stunden nach dem Anschlag auf einen tunesischen Moslem als Attentäter berief und die Information angeblich aus Polizeikreisen haben wollte, kein Anlass für Ermittlungen. Konstantin von Notz (Grüne) führt aus, dass es nicht zusammenpasst, dass man beim LKA zwar beständig die These vertrat, es hätte sich beim späteren Attentäter um einen kleinkriminellen Drogendealer gehandelt, aber im Nachgang zum Anschlag dessen Verbindungen ins Milieu nicht mehr überprüfte. Offensichtlich wurde das Geld aus dem Drogenhandel zur Finanzierung des Terroranschlags genutzt. Steiof nimmt die Ausführungen des Parlamentariers von Notz interessiert zur Kenntnis.

Ohne Erklärung

In der Sitzung wird Steiof über Stunden mit dem unerklärlichen Verhalten seiner Abteilungen konfrontiert. Benjamin Strasser (FDP) zitiert Auswerteberichte zum späteren Attentäter aus den Monaten Juni bis August 2016. Die Berichte dokumentieren ein Verhalten, das von den Ermittlern im LKA konsequent in Richtung eines kleinkriminellen Drogendealers interpretiert wurde. Dabei ignorierten sie offenbar die Kontakte zur Dschihadistenszene.

Im weiteren Sitzungsverlauf arbeitet Konstantin von Notz durch Aktenvorhalte heraus, dass die Behörde im November 2016 die Möglichkeit verstreichen ließ, den späteren Attentäter wegen einer Straftat „für Minimum 3 Jahre einzuknasten“. Auch hier kann Steiof keine Erklärung finden, warum keiner seiner Abteilungsleiter auf ihn zugekommen war, und will Arbeitsüberlastung als mögliche Erklärung heranziehen.

„Vertrauenspersonen findet man nicht im Knabenchor“

Eine LKA-Beamtin, die kurze Zeit später zum Verfassungsschutz wechselte, fiel 2016 durch fragwürdiges Handeln bei einer Hausdurchsuchung auf. Bei der Durchsuchung in der Wohnung eines Informanten des Verfassungsschutzes wurde zunächst ein Laptop beschlagnahmt, aber auf Veranlassung der Beamtin dann wieder von der Asservatenliste gestrichen. Die Obfrau der Linken Martina Renner vermutet eine Intervention des Verfassungsschutzes, der immer häufiger im Zusammenhang mit dem LKA zur Sprache kommt.

Insgesamt acht LKA-Beamte wurden im Laufe des Jahres 2016 „raubbefördert“ und wechselten zum Verfassungsschutz. Die mantraartig vorgetragene Äußerung der Verfassungsschützer, es habe sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, erhält vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Deutungsebene.

Steiof aber schützt seine Mitarbeiter. Der Fall sei so komplex, dass er sich als Disziplinarvorgesetzter nicht anmaßen wolle, einem Mitarbeiter allein die Konsequenzen anzulasten. Doch seien personelle Konsequenzen gewollt, dann würde er nötigenfalls auch selbst zurücktreten. Auch die politischen Akteure nimmt Steiof in Schutz und stellt dar, dass die Priorisierung des damaligen Innensenators Frank Henkel (CDU) normal gewesen wäre und sich nicht negativ auf die Observationsergebnisse ausgewirkt hätte. Henkel hatte im Sommer 2016 medienwirksam den Kampf gegen die linke Szene rund um die Rigaer Straße betrieben.

Strukturen und Köpfe

Den Rücktritt des LKA-Präsidenten als Konsequenz zu fordern, wird den sich abzeichnenden Problemen nicht gerecht. In der Vernehmung wird die Verstrickung mit dem Verfassungsschutz ebenso deutlich wie die Bezüge zu ausländischen Nachrichtendiensten. Die Abschiebung des möglichen Komplizen Ben Ammar, der nach neuesten Berichten des Focus womöglich am Anschlagsort bei der Flucht des Attentäters half, muss ebenso untersucht werden wie die Tatsache, dass das Bundeskriminalamt keine Ermittlergruppe gegründet hatte, um die Probleme durch eine zentrale Ermittlungsführung in den Griff zu bekommen, die der spätere Attentäter durch seine Reisen zwischen NRW und Berlin hervorgerufen hatte.

Personelle Konsequenzen sollten aber dort gezogen werden, wo eine rechtsradikale Weltsicht den Blick verstellt und wo versucht wurde, das eigene Fehlverhalten zu vertuschen. Egal, ob durch Manipulation von Akten und Datenbanken, Blitzabschiebung von Zeugen oder durch die konsequente Behauptung, der Verfassungsschutz sei für den Fall des Breitscheidplatz-Attentäters nicht von Belang.

UAPOD.Berlin – Folge 011 vom 21.02.2019

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16. Sitzung vom 14.02.2019 – Das Versagen des Axel B.

Das Versagen des Axel B.

Im relevanten Teil der Sitzung gesteht Kriminaldirektor Axel B. Versagen ein. Zunächst aber leistet sich die große Koalition mit ihrer Zeugenladung einen Bärendienst.

Staatsanwalt K. aus A. kommt aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin und hält ein juristisches Proseminar. Ihm ist kein Vorwurf zu machen. Er wird allen Anforderungen gerecht, die man angesichts der Bearbeitung eines Bagatelldeliktes an den 62-Jährigen haben kann.

Dr. Wolfgng Kowalzik, Staatsanwaltschaft Arnsberg

Es geht um einen Fahrraddiebstahl. Neuwert des Rades: 599 Euro. Zeitwert: 100 Euro. Der Täter: nicht eindeutig zu ermitteln. Die Einstellung des Verfahrens: ein Routineakt. Die Zuschauer im Saal erfahren jedes Detail, das in die Routineerwägungen des Staatsanwalts mit einzubeziehen war. Details bis hin zu den Fragen, ob das Fahrrad als Hehlerware irrtümlich erworben wurde und ob es nur mitgeführt oder auch benutzt wurde. Staatsanwalt K. wägt ab, ob die Tretkurbel des Fahrrades durch den Täter in Benutzung war und somit eine unzulässige Gebrauchsaneignung vorlag.

Zu den regelmäßigen Besuchern des Ausschusses zählt an solchen Tagen für gewöhnlich ein Überlebender des Anschlags, der am Abend des 19.12.2016 auch Ersthelfer am Breitscheidplatz war. An diesem Tag schafft er den Besuch des Ausschusses aus gesundheitlichen Gründen nicht, wie er in den sozialen Medien mitteilt. Er kämpft mit den Folgen des LKW-Attentats, während die Obleute von CDU, AfD und SPD das juristische Proseminar im Saal 4.900 durch ihre Nachfragen befeuern.

FDP, Grüne und Linke erteilen dieser Farce eine deutliche Absage. Irene Mihalic (Grüne) twittert: „Das Strafrechtskolloquium im #UA1BT ist hoffentlich bald beendet.“ Und auch Benjamin Strasser (FDP) findet deutliche Worte: „Das ist der Schlüssel zum Fall Amri: der Fahrraddiebstahl in NRW! Das ist der Erkenntnisgewinn der von der @cducsubt gewünschten Zeugen im #UA1BT … #ohneworte“ Auch ein Mitarbeiter der FDP-Fraktion macht seinem Ärger über die Zeugenladung Luft und kolportiert aus den nicht-öffentlichen Beratungssitzungen: „Darum bitten, dass die Sitzung grundsätzlich um 21 Uhr enden möge, aber jedes Mal die ersten Stunden mit längst Bekanntem wiederkäuen. #GroKo #Verzögerungstaktik #ablenken“

Staatsanwalt S. aus Berlin hält als zweiter Zeuge einen kurzen, präzisen und schlüssigen Vortrag in Begleitung seines Rechtsbeistands. Auch sein Verhalten ist nicht zu beanstanden und für die Arbeit des Ausschusses ebenso irrelevant.

Jan-Hendrick Schumpich, Staatsanwaltschaft Berlin

LKA 54, Berlin

Mit Zeuge Axel B. beginnt der relevante Teil des Sitzungstages, der sich bis in die Abendstunden zieht. Als leitender Kriminaldirektor ist seine Fachexpertise gefragt. Nicht nur das Handeln seiner Abteilung stand nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz in der Kritik. Auch seine Nebentätigkeit, die er – rechtlich einwandfrei – mit Genehmigung seiner Behörde ausübt, wirft Fragen auf.

Die Mitarbeiter seiner Abteilung beklagten 2016 Arbeitsüberlastung, und aus dem Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen gab es offenbar Beschwerden über die Erreichbarkeit des Krisenmanagers. Axel B. muss sich auch über diesen Punkt hinaus rechtfertigen. Da der spätere Attentäter mal in Dortmund, mal in Berlin unterwegs war, wechselten sowohl die Zuständigkeit der Länderpolizeien als auch die Zielrichtung der Ermittlungen. Es wirkt, als hätten die Behörden den Überblick verloren. Ein Kritikpunkt ist eine Gefährderansprache, bei der ein Mobiltelefon sichergestellt wurde.

Damals stand im Raum, dass der spätere Attentäter Schnellfeuergewehre beschaffen wollte. Da es dem Berliner LKA jedoch an Überwachungskapazitäten fehlte, konfrontierte es den Gefährder und konfiszierte sein Mobiltelefon gegen den Willen der Behörden in NRW, die bereits eine Telekommunikationsüberwachung durchführten. Axel B. schildert, dass das Gerät eingezogen und zur Auswertung an den Verfassungsschutz übergeben wurde. Wer letztlich die Entscheidung traf, ist allerdings nicht mehr nachvollziehbar.

Welche anderweitige Gefahr höher bewertet wurde als ein mit Top-Dschihadisten vernetzter Mann, der Kalaschnikows beschaffen wollte, kann Axel B. nicht plausibel darlegen.

Nachvollziehbarkeit

Axel B., LKA Berlin

So deutlich sich Axel B. vor seine überlasteten Mitarbeiter_innen stellt, so klar werden auch die Versäumnisse im LKA. Trotz der Vernetzung des späteren Attentäters mit mehreren Personen, die bereits im Fokus von Ermittlungen standen, gab es in seinem Fall keine besondere Ausbauorganisation, umgangssprachlich auch Sonderkommission genannt, die behördenübergreifend gebildet werden kann und sich speziell mit einem Fragenkomplex oder Gefährder befasst. In der Abteilung des Axel B. liefen zahlreiche Informationen zusammen, aber viele davon wohl auch nur vorbei.

In seiner Vernehmung erläutert B. die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten. Erst im Nachhinein, und zwar im Februar 2017, hätte er von Vertrauenspersonen erfahren, die der Verfassungsschutz im Umfeld des späteren Attentäters platziert hatte. Axel B. beschreibt, dass es für das LKA unüblich sei, die Geheimdienste proaktiv nach solchen Vertrauenspersonen zu befragen. Wenn relevante Informationen für das LKA vorhanden gewesen wären, hätten das die Dienste sicherlich weitergegeben. Überhaupt scheinen Nachfragen eher vermieden zu werden.

Allgemeines Erstaunen in großer Runde

Im LKA Berlin gab es keine Nachforschungen nach undichten Stellen. Am Abend des Anschlags, als Medien bereits in den ersten beiden Stunden mit reichlich inoffiziellen Informationen aus Sicherheitskreisen ausgestattet waren, meldete sich zielsicher ein Dresdener Rechtspopulist mit einem Tweet zu Wort. Schon um 22:30 Uhr spricht er von Informationen aus Polizeikreisen, die auf einen Moslem tunesischer Herkunft hindeuten würden. Das Ergebnis: „allgemeines Erstaunen in großer Runde“, aber keine internen Ermittlungen. Pikant: bis zur internationalen Fahndung nach dem Attentäter, der sich als tunesischer Moslem herausgestellt hat, dauert es noch mehr als 24 Stunden. Sicher, man kann den Tweet auch als Zufallstreffer werten. Doch spätestens seit Mitte 2018 aus der internen Kommunikation von Mitarbeitern der LKA-Ermittlungsgruppe Naziparolen öffentlich wurden, erscheint der mittlerweile gelöschte Tweet in einem anderen Licht.

Der Fragenkatalog, den die Opposition an diesem Sitzungstag nahezu ohne Interventionen der Landesbehörden abarbeiten kann, ist lang. Warum wurde das Material aus mindestens zwei, vermutlich sogar mehr Kameras, nicht ausgewertet, mit denen die Fussilet-Moschee überwacht wurde? Warum wurden die Hinweise des marokkanischen Geheimdienstes auf den späteren Attentäter im Oktober 2016 nur unzureichend und erst nach dem Anschlag vollständig übersetzt? Wieso dauerte es 28 Stunden, bis der Attentäter identifiziert und international zur Fahndung ausgeschrieben war, obwohl im Tatfahrzeug zwei Mobiltelefone, Fingerabdrücke und sogar Personenpapiere gefunden wurden? Wie rechtfertigt die Behörde die Single-Point-of-Contact-Runden zwischen polizeilichem Staatsschutz und Verfassungsschutz, die weder inhaltlich noch in Bezug auf die Teilnehmer dokumentiert sind?

In öffentlicher Sitzung hat Axel B. für all das keine Erklärung, arbeitet die Krise im eigenen Arbeitsbereich aber souverän und eloquent ab. „„Der Terroranschlag hat mich und mein Dezernat erschüttert. Das Ziel unseres Dezernats ist es, die Bevölkerung vor solchen Taten zu schützen. Am 19.12.2016 ist das uns – ist das MIR – nicht gelungen“, sagte Axel B. selbstkritisch zu Beginn seiner Vernehmung. Der Kriminaldirektor geht nach den mittlerweile verfügbaren Informationen nicht mehr von einem Einzeltäter aus und ist damit weiter, als der Verfassungsschutz. Dessen Verantwortliche sprechen überwiegend und unbelehrbar von einem reinen Polizeifall und lassen nur wenige Anzeichen von Selbstkritik erkennen.

UAPOD.Berlin – Folge 010 vom 14.02.2019

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking

Daniels Artikel zur Sitzung im Blog von Der Freitag