Nach der Sommerpause geht es im Bundestag wieder um den Anschlag vom Breitscheidplatz. Relevante Akten fehlen. Zeugennamen werden jetzt wie Staatsgeheimnisse behandelt.
Voldemort lässt grüßen. Die Namen der aussagenden Zeuginnen sollen nicht zu früh genannt werden. „Sperrfrist: Vorstellung der Zeugin in der öffentlichen Sitzung“ heißt es in der E-Mail, die Freiherr Lippold vom Bredow aus dem Sekretariat des Untersuchungsausschusses eine Stunde nach Sitzungsbeginn versendet. Auch der Bundestagskorrespondent, der die nachrichtlich gehaltenen Artikel auf bundestag.de veröffentlicht, darf vorab keinen Zeugennamen mehr nennen. „Sachbearbeiterin 1, 2, 3 , BAMF“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) lautet die Personenbezeichnung nun nichtssagend.
Kontrollierbare Öffentlichkeit
Vor der Sommerpause erschienen die Dienstbezeichnungen sowie die Namen der Zeugen einige Tage vor der Sitzung auf den Seiten des Untersuchungsausschusses. Eine Information, die der interessierten Öffentlichkeit und Presse zur Verfügung gestellt wurde. Mit Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, der offenbar zu Rate gezogen wurde, ging der Ausschuss nun ohne Ankündigung zum neuen Arbeitsprozedere über. Kein Hinweis darauf, dass der Saaldienst nicht einmal ein Namensschild auf dem Zeugentisch platzieren wird.
Namen wie „Rezvani“ oder „Öchsle“ bloß auf phonetischer Basis korrekt zu erfassen, ist unmöglich. Zuschauende stehen vor zusätzlichen Herausforderungen. Mehrfach nennt die erste Zeugin des Tages den Namen ihrer Kollegin „Öchsle“. Die anonyme Zeugenliste sorgt dafür, dass niemand weiß, das „Öchsle“ als nächste Zeugin gehört wird. Mehrfach fällt auch ein Name, der mit dem Buchstaben „C“ beginnt und möglicherweise zur noch umfassender anonymisierten Zeugin Nummer drei des Tages „F.C.“ gehört.
Je mehr dieser vermeintlichen Kleinigkeiten zusammenkommen, desto deutlicher wird, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz wohl unterwandert werden soll. In einem Schreiben an den Ausschuss beklagte der Vertreter des Innenministeriums Dr. Vogel Anfang Mai, dass durch die Berichterstattung in den sozialen Medien eine „nicht kontrollierbare Öffentlichkeit“ adressiert würde und daraus eine Staatsgefährdung entstünde.
Obleute der CDU/CSU blenden derweil das Thema aus. Weder der Ausschussvorsitzende Armin Schuster noch Volker Ullrich oder Klaus Dieter Gröhler berichten via Twitter oder Facebook über Inhalte aus den Sitzungen, die eigentlich eine öffentliche Aufarbeitung des Themas leisten sollen. Auch bei den SPD-Obleuten Fritz Felgentreu und Mahmut Özdemir findet in den Social-Media-Kanälen keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ausschussthemen statt.
Die Akten ran, bitte!
Hinter den Kulissen des Ausschusses verschiebt sich die Aktenvorlage um weitere Monate. Seit Beginn des Ausschusses würden sich die Obleute gerne mit den Akten befassen, die dem Verfassungsschutz zu Gefährdern aus dem Umfeld des Attentäters vorliegen. Mehrere Termine für die Vorlage unterchiedlicher Akten sind bis September 2019 – anderthalb Jahre nach Ausschussbeginn – inzwischen verstrichen. Das Inneninisterium will nun relevante Akten in mehreren Chargen vorlegen: bis Dezember 2019, August 2020 und zuletzt Januar 2021 – wenige Monate vor Abfassung des Abschlussberichts. Obleute und Mitarbeiter rechnen erneut mit bis zur Unkenntlichkeit geschwärzten Akten. Eine Farce.
Sitzungsgeschehen
Vor allem der Druck, den die Verbindungsbeamtin des BAMF Steffi Öchsle ausübte, war Thema in den Zeugenaussagen. Mehrere Ausrufezeichen in E-Mail-Betreffen stehen symbolisch für die Prioritätensetzung im Umgang mit Gefährdern. Abschiebung vor Strafverfolgung scheint die Devise. Selbst wenn das bedeutet, dass danach nicht mehr so richtig nachzuvollziehen ist, wohin die abgeschobenen Gefährder gelangen. Ist der politische Wille groß genug, dann ist die Vorarbeit für eine Abschiebung in kürzester Zeit geleistet.
Politisch relevant für den Druck, möglichst schnell Fakten zu schaffen, könnte die Staatssekretärin im Innenministerium Emily Haber gewesen sein, die in einer der kommenden Sitzungen aussagen wird. Schon der zeitliche Umfang der Aussagen der BAMF-Mitarbeiterinnen macht deutlich, dass die wesentlichen Inhalte derzeit nicht besprochen werden. Netzwerke von Gefährdern und Terroristen sowie der staatliche Umgang damit lassen sich auf diese Weise jedenfalls nicht untersuchen.