Ein Zeuge im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss lässt tief blicken.

Mit einer Gedenkminute für die Opfer eröffnet der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler am Donnerstag die Sitzung des Untersuchungsausschusses im Bundestag: Zum vierten Mal jährt sich an diesem Samstag das Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, bei dem 12 Menschen starben und mindestens 67 zum Teil schwer verletzt wurden.

Vier Zeugen werden in der dreizehnstündigen Sitzung vernommen. Noch immer fördern die Parlamentarier*innen Versäumnisse der Sicherheitsbehörden zutage. Allen voran erneut das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern. 2016 waren beim dortigen Verfassungsschutz Hinweise einer Quelle aufgelaufen, die auf Anschlagsplanungen in Berlin zu Ramadan hindeuteten. Die selbe Quelle berichtete 2017 dann von möglichen Mitwissern des Anschlags vom Breitscheidplatz.Als die Verfassungsschützer nach dem Anschlag in der Pflicht standen, ihre Erkenntnisse an die Generalbundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt weiterzuleiten, passierte vor allem eines: nichts.

Thomas Lenz (Staatssekretär Innenministerium Mecklemburg Vorpommern)

Staatssekretär Thomas Lenz wirkt beratungsresistent, als Benjamin Strasser (FDP) ihm die rechtlichen Grundlagen darlegt, nach denen die Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten seien. Lenz rechtfertigt, es habe keine tatsächlichen Anhaltspunkte gegeben, und der Verfassungsschutz könne »es fachlich noch vertreten«, die Erkenntnisse nicht weitergeleitet zu haben. Rechtsgrundlagen beeindrucken Lenz dabei wenig: »Ich habe das in 30 Jahren so erlebt, dass sich für jede Aussage irgendein Professor findet, der das anders sieht.« Strasser lässt ihm das nicht durchgehen und erklärt lakonisch: »Das war das Bundesverfassungsgericht.«

Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic will wissen, wie es sein könne, dass Verfassungsschutzchef Reinhard Müller weiterhin im Amt ist. Lenz lässt tief blicken. Er habe das nicht zu vertreten. Es sei letztlich der ehemalige Innenminister Lorenz Caffier (CDU) gewesen, der Müller im Amt gehalten habe. Für die Zuschauer*innen bietet sich ein zunehmend abstruses Bild. Lenz hatte sich vergangene Woche im Landtag in Schwerin selbst verteidigt. Fehler sucht er in erster Linie bei den Berliner Behörden. Doch nicht einmal sein CDU-Parteikollege Alexander Throm lässt ihm diese Darstellung durchgehen. Lenz gerät immer mehr in die Defensive und diskreditiert erneut den ehemaligen Verfassungsschützer und Whistleblower T.S., der 2019 die Versäumnisse seiner Behörde an die Generalbundesanwaltschaft gemeldet hatte. Ganz nebenbei erfährt das Publikum durch Lenz Interna wie die eigentlich geheim zu haltende Zahl der Stellen beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern.

Der Artikel erschien am 18.12.2020 im nd