Ein leitender BND-Beamter drückt sich im Amri-Untersuchungsausschuss wortreich um konkrete Auskünfte
Es ist 17.50 Uhr, als der letzte Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Breitscheidplatz-Attentat im Europasaal Platz nimmt. Ein Bundespolizist und ein Beamter der Ausländerbehörde Kleve hatten zuvor öffentlich ausgesagt und wenig Erkenntnisse geliefert. Zeugen, deren Aussagen weder Überraschendes noch Substanzielles lieferten. Die Obfrau der Linken, Martina Renner, hatte gänzlich auf Fragen an die Zeugen verzichtet, deren Aussagen frühere vor den Landesausschüssen keine neuen Erkenntnisse für den Bundestag versprachen. In geheimer Sitzung war am Vormittag bereits ein BND-Kollege gehört worden. Jetzt aber geht es für den Leitenden Direktor beim BND, Herrn C.H., in die Öffentlichkeit.
Sprachakrobatik
Welchen Beruf er denn erlernt habe, will ein Obmann vom BND-Zeugen C.H. wissen. »Das tut nichts zur Sache«, meint Zeuge C.H., der seit 30 Jahren beim BND ist. Der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler interessiert sich nun auch und drängt auf eine Antwort. »Ich habe einen Universitätsabschluss«, entgegnet Zeuge C.H. wortkarg und zur Belustigung der Zuschauer auf der Tribüne im Europasaal. Nach einer Beratung mit Rechtsanwalt Johnny Eisenberg lüftet Zeuge C.H. das vermeintliche Geheimnis und gesteht, er habe Geschichte studiert und sei Historiker.
Seine Aufgabe beim BND: Er war seit April 2016 mit einem Arbeitsbereich befasst, der mit einer niedrigen dreistelligen Anzahl an ausländischen Gefährdern zu tun hatte. Amri sei untypisch gewesen, weil es keine Hinweise aus dem Ausland gewesen seien, sondern inländische, z.B. aus dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ, die Amri zum Arbeitsthema machten.
Ein reiner Polizeifall, nein, das sei Amri nicht gewesen, aber doch recht weit in der Skala eines Polizeifalls. Was auch immer das heißen mag in einem System, bei dem Polizei und Geheimheimdienste eigentlich aus historischen Gründen getrennt voneinander agieren sollen.
Es bleibt nicht die einzige Seltsamkeit in den wortreichen Aussagen des BND-Zeugen. Technische Ortungen, die der BND vornehme, seien gar nicht so genau. Den Daten dürfe man nicht trauen, meint C.H. Weder zeitlich noch örtlich seien diese Daten immer eindeutig. Woher er das wisse, kann 56-jährige C.H. nicht genau sagen und gibt an, es sei eine Information von »Kollegen, die sich besser mit Technik auskennen« würden als er selbst.
Als C.H. gebeten wird, die Erkenntnisse zu schildern, die der BND über die Flucht von Anis Amri nach dem Terroranschlag gewonnen hatte, gerät er ebenso in schwammig-stockende Erklärungsnöte. Über Emmerich, Frankreich und Italien sei die Flucht gegangen, aber er sei in einer Zwickmühle, denn er könne nicht so recht differenzieren, welche Informationen er aus dem BND-Bestand erinnere und welche möglicherweise durch einen ausländischen Nachrichtendienst zugeliefert wurden. Diese Informationen wären sogleich tabu, denn davon darf die Öffentlichkeit nichts erfahren. Geheimdienste bleiben unter sich.
Unwillen oder Unfähigkeit
Es ist nicht aufzulösen, ob der Zeuge nicht will oder nicht kann, aber er gibt gegenüber den Obleuten zunächst nichts preis. Eine Ortung von Anis Amri wenige Wochen vor dem Attentat habe keine weiteren Erkenntnisse ergeben als die zwei libysche Telefonnummern. Letztlich aber sei aus diesen auch nichts an zusätzlichen Erkenntnissen zu gewinnen gewesen und einen Zusammenhang zu US-Luftschlägen im Januar 2017 in Libyen gebe es da auch nicht.
In diesem Stil setzt Zeuge C.H. höflich, aber wenig konstruktiv die Aussage fort. Er kann nicht erklären, warum der BND ein Video, das vorab am Breitscheidplatz entstanden ist und den Fahrweg des LKW zeigt, als nicht relevant eingestuft hat. Ein Video, das Anlass für die Suche nach einem möglichen Mittäter sein kann, wie es die Obleute vermuten. Auch ein Video, in dem die Tatwaffe zu sehen ist. Die technischen Details eines der Videos, das sowohl dem BKA als auch dem BND vorliegt, aber unterschiedliche Erstelldaten aufweist, kann Zeuge C.H. nicht erhellen.