Eine Erinnerung lässt sich nicht erzwingen und wer sich nicht erinnert, kann dafür kaum zur Verantwortung gezogen werden. Doch ist das glaubwürdig?

Kriminaloberkommissarin A. B. war beim LKA Berlin tätig. Polizisten sind immer wieder die ersten und wichtigsten Zeugen, wenn es darum geht, dass Strafverfahren auch zu einer Verurteilung des Täters führen. Die Grundlage dafür: Die rechtssichere Herstellung einer Kausal- und Faktenkette. Kriminelles Verhalten muss erkannt werden, die Beweise dafür gesammelt und dokumentiert sein und Monate bis Jahre danach einem Gericht zur Verfügung stehen.

An dem Novembernachmittag, nicht einmal drei Jahre nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz, ist die Erinnerung der 38-jährigen Zeugin A.B. an vielen Stellen verblasst. Ihr fehlte es an Überblick, gibt sie zu Protokoll. Letztlich sei es auch die Aufgabe der Vorgesetzten gewesen, diesen Überblick zu haben. Dennoch wurde sie nach dem Anschlag dazu abgestellt, den Informationsfluss des LKA an andere Behörden zu steuern und war in der BAO City tätig.

Kriminaloberkommissarin A.B. vom LKA 54

Erinnerungslücke

Zuletzt will Zeugin A.B. Anfang November 2016 mit dem Fall des späteren Attentäters zu tun gehabt haben. Das steht im Widerspruch zu einer Datenbankabfrage, die sie am 19.12.2016 vornahm. An diesem Tag kehrte sie aus einem dreiwöchigen Urlaub zurück, arbeitete E-Mails ab und suchte in der POLIKS-Datenbank nach dem späteren Attentäter, der nur wenige Stunden darauf den Anschlag am Breitscheidplatz begang.

Konstantin von Notz (Grüne) zweifelt an der Glaubwürdigkeit der Zeugin, die in wenigen Minuten widersprüchliche Aussagen liefert: „Haben Sie da kein Störgefühl?“. Mehr noch: Zeugin A.B. kann sich nicht mehr erinnern, was der Anlass der Datenbankabfrage war. „Spätestens am nächsten Tag müsste ihr doch dieser Zufall selbst aufgefallen und auch in Erinnerung geblieben sein,“ sagt von Notz.

Die widersprüchlichen Erinnerungslücken nehmen überhand. Obwohl sie die einzige Polizistin ist, die sich mit den Anrufen befasste, die der spätere Attentäter in italienischer Sprache führte, ist nicht mehr nachvollziehbar, mit wem der Attentäter telefonierte. Aufzeichnungen dazu hat die Zeugin offenbar nicht. Keine Gesprächsnotizen und keinerlei Erinnerung.

Kuriose E-Mailpostfächer

Als es in den beiden Monaten nach dem Anschlag darum geht, Beweise zu sichern und Hinweise entgegen zu nehmen, soll es die Technik sein, die der Dokumentation Grenzen setzte. Täglich habe sie ihr E-Mail-Postfach löschen müssen, beteuert die Zeugin.

Während einerseits terrabyteweise Videomaterial an Hinweisen aus der Bevölkerung entgegengenommen wurden, hatte das Postfach von Zeugin A.B. die Kapazitätsgrenzen zu schnell erreicht. Pech für die Aufklärungsinteressen des Ausschusses. Die Obfrau der Grünen und Polizistin Irene Mihalic ist fassungslos über derartige Arbeitsbedingungen.

Methodenkompetenz

Ihr Wissen über die gesammelten Erkenntnisse strukturiert darzustellen, gelingt der Zeugin auch auf Einladung von Mahmut Özdemir (SPD) nicht. Welche Kontakte in welche Kreise hatte der Attentäter? Das muss in den Bereich des Überblicks fallen, den die Zeugin nie gehabt haben will.

Anlässlich eines Aktenvorhaltes zu Videoauswertungen, die an der Perleberger Straße durchgeführt wurde, überfliegt die Zeugin das Dokument und gibt bereits in den ersten Sekunden zu erkennen, vom Inhalt nichts zu wissen. Sie erinnert wenig, aber dann doch sehr schnell, was sie nicht weiß.

Anzeichen für rechtsradikale Hintergründe bei Kollegen, die durch den Austausch von Nazi-SMS aufgefallen sind, habe es nicht gegeben. „Man sieht den Menschen nur vor den Kopf,“ sagt die Zeugin. Vom Fall eines ihrer Kollegen, der in Drogen- und Rotlichtgeschäfte verwickelt war, will sie ebenfalls noch nichts mitbekommen haben.

Die Aussage der Zeugin A.B. lässt Zweifel aufkommen, wie mit deutlich als nachlässig dokumentierten Ermittlungserkenntnissen strafrechtliche Verfahren geführt werden sollen.

Zubrot oder Hauptberuf

Ein Spitzel des LKA-NRW – im neutralen Ermittlersprech als Vertrauensperson VP-01 bezeichnet – ist auch in dieser Sitzung ein Thema. Schon nach dem ersten Treffen erkannte die VP-01 die Gefährlichkeit des späteren Attentäters und lieferte als Erkenntnis aus einer Autofahrt, bereits einen Beleg für eine konkrete Anschlagabsicht des späteren Attentäters.

Seine Vertrauenspersonenführer (VPF-2 und VPF-3) teilen die Einschätzung und vertrauen dem langjährig tätigen Spitzel. Martina Renner (Linke) hinterfragt, wie Behörden mit Spitzeln und Informanten verfahren. Klar ist – das legen die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) fest – dass die Spitzeltätigkeit nicht der Haupterwerb sein darf.

VPF-03

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Ein Informant soll kein zu starkes Eigeninteresse entwickeln und zum Gelderwerb möglicherweise dann noch Informationen erfinden oder gar ausgeforschte Menschen zu melderelevanten Verhaltensweisen anstacheln.

Wo VPF-02 in der vergangenen Sitzung vor vierzehn Tagen noch strauchelte, ist VPF-03 besser vorbereitet. Er macht deutlich, dass ein Haupterwerb bei der VP-01 nicht gegeben gewesen sei. Die Phase, in der Informationsgewinnung zum Haupterwerb geeignet gewesen sei, sei nicht länger als sechs Monate, maximal ein Dreivierteljahr lang gewesen.

Videos, Videos, Videos

Die Herkunft der Videos, die der spätere Attentäter im November 2016 vom Breitscheidplatz machte und in denen er auch seine Entschlossenheit zu einem Anschlag bekräftigte, dürfte unbekannt bleiben. Geheimdienste sichern sich diese wechselseitige Diskretion zu und Regierungen tragen dies mit.

Rund zwei Stunden Beratungssitzung an diesem Tag mit Vorladung einer BND-Vertreterin fanden hinter verschlossenen Türen statt. Die Frage, ob ausländische Dienst bereits vor der Tat von den Plänen des Attentäters wussten, aber erst 10 Tage nach der Tat diese Videos deutschen Geheimdiensten verfügbar machten, scheint eine willkommene Ablenkung zu sein.

Eigentlich müsste sich der Ausschuss mit der Ermittlerarbeit von Verfassungsschutzämtern und der Informationslage beim Bundesnachrichtendienst sowie der Bundesregierung in den 14 Monaten vor dem Anschlag befassen.

„Wir haben heute erlebt, dass Behörden sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben, das Abläufe nicht klar sind und die Bundesregierung nicht auf unsere Fragen vorbereitet war, die eigentlich seit letzter Woche klar sind,“ kritisiert Benjamin Strasser (FDP). „Wir haben erlebt, das im Bundesamt für Verfassungsschutz offensichtlich nicht protokolliert worden ist, von wem überhaupt das Video entgegen genommen worden ist.“

Auch Irene Mihalic glaubt den Ausführungen der Bundesbehörden nicht: „Man hat hier offensichtlich ein Konstrukt gefunden, dass man es selber angeblich nicht mehr nachvollziehen kann, weil Eingangsstempel fehlen und Übertragungswege nicht nachvollziehbar sind. Es erscheint mir herbei konstruiert. “

Fragen bleiben

Zu klären ist, ob die Videos bereits vor dem Anschlag bei ausländischen Partnerdiensten vorlagen, welcher deutsche Dienst zu welchem Zeitpunkt die Videos bekam und warum diese Videos nicht in der offiziellen Chronologie gelistet sind, die zum Anschlag erstellt wurde. Die Aussichten auf Antworten: Eher dünn.

Polizeioberkommissar Volker Schotten


Dünn war auch die Aussage des Polizeioberkommissars der Bundespolizei Volker Schotten. Sein Bezug zum Ausschuss: Gemeinsam mit einem Kollegen nahm er den späteren Attentäter bei einem Ausreiseversuch in die Schweiz in Friedrichshafen fest.