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Licht und Schatten
Eine effektiv-effiziente Zeugenaussage mit einem bedrückenden Fazit und reichlich Befragungszeit ohne Ergebnis. Der Untersuchungsausschuss kommt nur schleppend voran
Besuch aus Nordrheinwestfalen füllt die Tribüne über dem Saal 4.900. Unten im Saal sitzen die Parlamentarier des Bundestages. Auf der Tribüne die Landtagsdelegation, die in Düsseldorf derzeit am gleichen Thema arbeitet. In beiden Parlamenten suchen sie nach einer Erklärung, warum der schwerste islamistische Anschlag, den das Land bisher erlebt hat, nicht verhindert werden konnte.
Zeugin Petra M. fördert zutage, dass das Verkleidungsbudget des Bundesamtes für Verfassungsschutz für weibliche Zeugen knapp bemessen ist. Sie erscheint im gleichen Stil wie vor einigen Monaten die Zeugin Lia Freimuth und trägt augenscheinlich auch die gleiche, wenn nicht gar die selbe Perücke.
Der Informationsgehalt ihrer vierstündigen Zeugenaussage hat leider keinerlei Ähnlichkeiten mit der Aussage von Lia Freimuth. Anders als Freimuth, die deutlich Stellung bezog, ist Petra M. als Zeugin offenkundig fehl am Platz. Obwohl sie als Verbindungsbeamtin im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ sowohl an den täglichen Lagebesprechungen als auch an den Sitzungen für den operativen Informationsaustausch teilnimmt, kann sie dem Ausschuss keine inhaltlichen Angaben machen. Ihre Aussage entwickelt realsatirische Züge, als sie den Obleuten auch nach mehreren Befragungsrunden immer noch kein Bild von ihrer Tätigkeit vermitteln kann.
„Sie saßen in dem Raum, in dem das Thema erörtert wurde. Sie haben Ohren. Sie haben gehört. Nur das sollen sie wiedergeben“, konkretisiert Irene Mihalic, Obfrau der Grünen, den Anspruch an die Zeugin, die sich auch nach mehrmaliger Nachfrage nicht an Themen und Anlässe für Sitzungen erinnern können will. Sicher aber ist sich Petra M., keine E-Mails mit Bezug zum späteren Attentäter erhalten zu haben. So richtig zusammen passt all das nicht.
Nach etwa dreieinhalb Stunden vergeblicher Versuche, substanzielle Inhalte zu erfragen, gesteht die Zeugin schließlich ein: „Ich glaub, da hab ich mich falsch ausgedrückt. Ich bin nicht die Person, die den inhaltlichen Überblick hat.“ In der Folge schildert Petra M. Aufgaben, die der einer Sekretärin nahekommen. Namensschilder habe sie gedruckt, E-Mails verschickt und „Überblick“ bezog sich lediglich darauf, dass sie wisse, wie man die Kommunikation der betroffenen Behörden in Gang bringe.
Keine Frage, die Organigramme von Verfassungsschutz, Kriminalämtern und Bundesnachrichtendienst, Zoll, Bundesamt für Migration- und Flüchtlinge , Generalbundesanwalt, Militärischen Abschirmdienst und Bundespolizei zu kennen und den Informationsfluss zu steuern, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Unklar aber bleibt, wie Petra M. ihrer Arbeit nachkommen will. Die Inhalte der täglichen Lagebesprechungen sind ihr nicht einmal aus den Tagen direkt nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz auch nur ansatzweise im Gedächtnis.
Kurz, knapp, präzise in den Fehlschluss
Zeugin Sabrina Bové markiert mit ihrer Aussage das andere Ende der
Qualitätsskala. Sie erscheint mit einer gut sortierten Mappe und einem
eigens angefertigten Zeitstrahl vor dem Ausschuss und kann präzise
Angaben machen.
Sie ist Beamtin des
mittleren Dienstes und war 2015 in der Ausländerbehörde der Stadt
Oberhausen tätig. Mit dem späteren Attentäter hatte sie zunächst unter
einer seiner falschen Identitäten Kontakt, mit denen er Sozialbetrug
begangen hatte. Als sich Hinweise darauf ergaben, weil Anfragen aus
Berlin auf dem Tisch der Sachbearbeiterin landeten, forschte sie nach
und konnte die Mehrfachidentitäten des späteren Attentäters
zusammenführen. Beim nächsten Termin konfrontierte sie ihn mit ihrer
Recherche im Ausländerzentralregister, verwies ihn an das zuständige Amt
in Kleve und informierte das Sozialamt, das die unrechtmäßig erhaltenen
Zahlungen daraufhin einstellte.
Nach dem Attentat erinnerten
sich Bové sowie einer ihrer Vorgesetzten an den Fall. Gemeinsam stellten
sie schnell fest, dass sie den Fall des späteren Attentäters bearbeitet
hatten.
Die Zeugin erscheint geradezu
mustergültig in Berufsauffassung und Arbeitsethos, was sie selbst unter
schwierigsten Bedingungen im Jahr 2015 unter Beweis stellte, als statt
der regulären 350 Fälle plötzlich Fallzahlen von 1000 in Oberhausen
landeten.
AfD-Obfrau Beatrix von Storch lässt die Chance nicht
ungenutzt, um das Narrativ der überforderten Verwaltung zu festigen, die
mit den Folgen der Kanzlerinnenentscheidung zu kämpfen hatte. Bové
lässt sich darauf ein und schildert, das im Kollegenkreis die Abläufe
der Erfassung kritisch gesehen wurden. Da man damals auf die sofortige
Erfassung von Fingerabdrücken und die Gegenprüfung im
Ausländerzentralregister verzichtet hätte, wäre ein Anschlag ja nur eine
Frage der Zeit gewesen.
Eine Logik, die zu kurz greift. Eine umfassende Überprüfung der Datenbanken und die Erfassung der Fingerabdrücke hätten den Sozialbetrug verhindern können. Als Kleinkrimineller jedoch, dessen dokumentierte Vergehen lediglich in unerlaubtem Drogenbesitz und einer Schlägerei bestanden, wäre er sicherlich deutlich früher vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden.
Aber das Radar funktionierte. Trotz seiner Mehrfachidentitäten war der spätere Attentäter schon nach wenigen Wochen im Land Thema bei den Sitzungen der Sicherheitsbehörden im GTAZ. Nach aktueller Zählung insgesamt 13 Mal. Zuletzt gingen im November 2016 Hinweise des marokkanischen Geheimdienstes zum späteren Attentäter ein. Doch die Gefahr eines Anschlags will keine Behörde wahrgenommen haben.