Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Lia Freimuth (Seite 1 von 1)

UAPOD.Berlin – Folge 009 vom 31.01.2019

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking

Daniels Artikel aus dem Blog von DerFreitag

15. Sitzung vom 31.01.2019 – Licht und Schatten

Licht und Schatten

Eine effektiv-effiziente Zeugenaussage mit einem bedrückenden Fazit und reichlich Befragungszeit ohne Ergebnis. Der Untersuchungsausschuss kommt nur schleppend voran

Besuch aus Nordrheinwestfalen füllt die Tribüne über dem Saal 4.900. Unten im Saal sitzen die Parlamentarier des Bundestages. Auf der Tribüne die Landtagsdelegation, die in Düsseldorf derzeit am gleichen Thema arbeitet. In beiden Parlamenten suchen sie nach einer Erklärung, warum der schwerste islamistische Anschlag, den das Land bisher erlebt hat, nicht verhindert werden konnte.

Zeugin Petra M. fördert zutage, dass das Verkleidungsbudget des Bundesamtes für Verfassungsschutz für weibliche Zeugen knapp bemessen ist. Sie erscheint im gleichen Stil wie vor einigen Monaten die Zeugin Lia Freimuth und trägt augenscheinlich auch die gleiche, wenn nicht gar die selbe Perücke.

Der Informationsgehalt ihrer vierstündigen Zeugenaussage hat leider keinerlei Ähnlichkeiten mit der Aussage von Lia Freimuth. Anders als Freimuth, die deutlich Stellung bezog, ist Petra M. als Zeugin offenkundig fehl am Platz. Obwohl sie als Verbindungsbeamtin im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ sowohl an den täglichen Lagebesprechungen als auch an den Sitzungen für den operativen Informationsaustausch teilnimmt, kann sie dem Ausschuss keine inhaltlichen Angaben machen. Ihre Aussage entwickelt realsatirische Züge, als sie den Obleuten auch nach mehreren Befragungsrunden immer noch kein Bild von ihrer Tätigkeit vermitteln kann.

„Sie saßen in dem Raum, in dem das Thema erörtert wurde. Sie haben Ohren. Sie haben gehört. Nur das sollen sie wiedergeben“, konkretisiert Irene Mihalic, Obfrau der Grünen, den Anspruch an die Zeugin, die sich auch nach mehrmaliger Nachfrage nicht an Themen und Anlässe für Sitzungen erinnern können will. Sicher aber ist sich Petra M., keine E-Mails mit Bezug zum späteren Attentäter erhalten zu haben. So richtig zusammen passt all das nicht.

Nach etwa dreieinhalb Stunden vergeblicher Versuche, substanzielle Inhalte zu erfragen, gesteht die Zeugin schließlich ein: „Ich glaub, da hab ich mich falsch ausgedrückt. Ich bin nicht die Person, die den inhaltlichen Überblick hat.“ In der Folge schildert Petra M. Aufgaben, die der einer Sekretärin nahekommen. Namensschilder habe sie gedruckt, E-Mails verschickt und „Überblick“ bezog sich lediglich darauf, dass sie wisse, wie man die Kommunikation der betroffenen Behörden in Gang bringe.

Keine Frage, die Organigramme von Verfassungsschutz, Kriminalämtern und Bundesnachrichtendienst, Zoll, Bundesamt für Migration- und Flüchtlinge , Generalbundesanwalt, Militärischen Abschirmdienst und Bundespolizei zu kennen und den Informationsfluss zu steuern, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Unklar aber bleibt, wie Petra M. ihrer Arbeit nachkommen will. Die Inhalte der täglichen Lagebesprechungen sind ihr nicht einmal aus den Tagen direkt nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz auch nur ansatzweise im Gedächtnis.

Kurz, knapp, präzise in den Fehlschluss

Zeugin Sabrina Bové markiert mit ihrer Aussage das andere Ende der Qualitätsskala. Sie erscheint mit einer gut sortierten Mappe und einem eigens angefertigten Zeitstrahl vor dem Ausschuss und kann präzise Angaben machen.

Sie ist Beamtin des mittleren Dienstes und war 2015 in der Ausländerbehörde der Stadt Oberhausen tätig. Mit dem späteren Attentäter hatte sie zunächst unter einer seiner falschen Identitäten Kontakt, mit denen er Sozialbetrug begangen hatte. Als sich Hinweise darauf ergaben, weil Anfragen aus Berlin auf dem Tisch der Sachbearbeiterin landeten, forschte sie nach und konnte die Mehrfachidentitäten des späteren Attentäters zusammenführen. Beim nächsten Termin konfrontierte sie ihn mit ihrer Recherche im Ausländerzentralregister, verwies ihn an das zuständige Amt in Kleve und informierte das Sozialamt, das die unrechtmäßig erhaltenen Zahlungen daraufhin einstellte.

Nach dem Attentat erinnerten sich Bové sowie einer ihrer Vorgesetzten an den Fall. Gemeinsam stellten sie schnell fest, dass sie den Fall des späteren Attentäters bearbeitet hatten.

Zeugin Sabrina Bové (Beamtin aus der Ausländerbehörde Oberhausen)

Die Zeugin erscheint geradezu mustergültig in Berufsauffassung und Arbeitsethos, was sie selbst unter schwierigsten Bedingungen im Jahr 2015 unter Beweis stellte, als statt der regulären 350 Fälle plötzlich Fallzahlen von 1000 in Oberhausen landeten.

AfD-Obfrau Beatrix von Storch lässt die Chance nicht ungenutzt, um das Narrativ der überforderten Verwaltung zu festigen, die mit den Folgen der Kanzlerinnenentscheidung zu kämpfen hatte. Bové lässt sich darauf ein und schildert, das im Kollegenkreis die Abläufe der Erfassung kritisch gesehen wurden. Da man damals auf die sofortige Erfassung von Fingerabdrücken und die Gegenprüfung im Ausländerzentralregister verzichtet hätte, wäre ein Anschlag ja nur eine Frage der Zeit gewesen.

Eine Logik, die zu kurz greift. Eine umfassende Überprüfung der Datenbanken und die Erfassung der Fingerabdrücke hätten den Sozialbetrug verhindern können. Als Kleinkrimineller jedoch, dessen dokumentierte Vergehen lediglich in unerlaubtem Drogenbesitz und einer Schlägerei bestanden, wäre er sicherlich deutlich früher vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden.

Aber das Radar funktionierte. Trotz seiner Mehrfachidentitäten war der spätere Attentäter schon nach wenigen Wochen im Land Thema bei den Sitzungen der Sicherheitsbehörden im GTAZ. Nach aktueller Zählung insgesamt 13 Mal. Zuletzt gingen im November 2016 Hinweise des marokkanischen Geheimdienstes zum späteren Attentäter ein. Doch die Gefahr eines Anschlags will keine Behörde wahrgenommen haben.

UAPOD.Berlin – Folge 007 vom 13.12.2018

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking
Zeugen dieses Mal: Frau Kerstin Wendler, Staatsanwaltschaft, Berlin und Henrik Isselburg, BfV.

Zuvor gab es eine kleine Pressekonferenz. Diese hört ihr im Anschluss an die aktuelle Folge.
Geladen hatten Irene Mihalic (Bündnis `90 die Grünen), Martina Renner (Die Linke) und Benjamin Strasser (FDP).

13. Sitzung am 13.12.2018 – Wie Medien der CDU helfen

Im Amri-Untersuchungsausschuss lockt die Klage der Opposition TV-Journalisten. Über den Rest der Sitzung berichtet kaum jemand. Der Regierung spielt das in die Hände.

Journalist René Heilig macht an diesem Sitzungstag alles richtig. Sein Artikel im Neuen Deutschland bringt es schon im Vorspann in wenigen Worten auf den Punkt: „zum lahmen Amri-Untersuchungsausschuss und der Klage der Opposition“. Alles weitere versteckt sich leider hinter der Paywall beim ND (Neues Deutschland).

Kein Wunder. Der Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz ist ein Thema, das keinen Journalisten ernähren kann. Der Aufwand der Berichterstattung steht längst in keinem Verhältnis mehr zu Ertrag. „Aufklärung“ erwartet ohnehin niemand – schon gar nicht zur üblichen Arbeitszeit. Aber von vorne.

Nach der Pressekonferenz um 10 Uhr dauert es noch einmal bis etwa 12 Uhr 25 bis der öffentliche Sitzungsteil beginnt. Als Wunschzeugin der Regierungsparteien wird Staatsanwältin Kerstin Wendler von der Staatsanwaltschaft Berlin gehört. Schon in ihrem Eingangsstatement weist auch diese Zeugin darauf hin, keinen Kontakt zum späteren Attentäter gehabt zu haben, der über Papierarbeit hinaus ging. Eine Aliasidentität lag vor, die einen noch minderjährigen Ersttäter vermuten ließ. Er soll einen Sicherheitsbeamten am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin geschlagen haben. Keine weiteren Anhaltspunkte für andere Gewalttaten. Keine Überprüfung der Fingerabdrücke. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die beschuldigte Person nicht mehr auffindbar war.

Einzig interessanter Aspekt: kurz vor Einstellung des Verfahrens gab es wohl einen Hinweis der Polizeidirektion Konstanz, dass die Identität des späteren Attentäters falsch sein könnte. Auch nichts ungewöhnliches in den Jahren 2015 und 2016. Schreib- und Übersetzungsfehler waren Alltag und mehrere Identitäten gesichert einer Person zuordnen zu können, erfordert mehr Aufwand, als die Justiz und Behörden dieser Tage leisten konnten. „Was machen wir hier“, wirft Martina Renner in den Raum, als der AfD-Vertreter Seitz nach der Übermittlung der Fahndungseinstellung fragt und wissen will, ob die Meldung digital oder auf Papier abgesetzt wurde.

10 Stunden Ausschuss – minimalster Nachrichtenwert

Die Aussage der Zeugin endet um 19 Uhr. Zwischen 13:30 Uhr und etwa 18:45 Uhr wurde noch Zeuge K.M. vernommen, der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen aus dem Gefängnis zur Aussage in den Bundestag verbracht wurde. Um den Zeugen K.M. nicht einzuschüchtern – ein Straftäter und Kleinkrimineller, bei dem aber wohl Fluchtgefahr besteht – findet die Vernehmung nicht öffentlich statt. Im späteren Sitzungsteil gibt der Vorsitzende Armin Schuster (CDU) noch einen minimalen Einblick, als der in einer Frage bestätigt, es habe digitale Kommunikation des späteren Attentäters via Facebook mit Zeugen K.M. gegeben.

Als gegen 19:45 Uhr nun der Zeuge des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Henrik Isselburg zur Vernehmung antritt, sind gut 10 Stunden seit Beginn dieses Sitzungstages vergangen. Zum wiederholten – und mittlerweile gewohnten – Mal, beginnt der relevante Teil des Sitzungstages erst nach Redaktionsschluss der Printmedien. Unplanbar für Radio- und TV-Berichterstattung und nach hinten auf maximal vier Stunden begrenzt, denn der stenografische Dienst arbeitet bis maximal 24 Uhr.

Schulterzucken oder ein „geht nicht anders“ wäre das Maximum, was an Statements von Obleuten einzuholen ist. Faktisch ist es die Ausschussmehrheit, die den Tagesablauf verantwortet und festlegt, sowie ein überbetont neutral agierendes Ausschusssekretariat, das damit die Regierungsinteressen stützt, statt die parlamentarische Aufklärung und den Öffentlichkeitsgrundsatz in den Vordergrund zu stellen.

Eskalation zu später Stunde – reloaded

Als Zeuge Isselburg seine Aussage beginnt, sind noch eine Korrespondentin der Zeitung „Junge Welt“, ein freier ARD-Journalist, eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur dpa sowie der Kollege des Hausmediums „Heute im Bundestag“ auf der Tribüne. Ein Opfer des Anschlags sitzt auch dort. Auf seine Initiative hatte Armin Schuster zu Beginn dieser letzten Sitzung des Jahres eine Schweigeminute abgehalten. Zwei verirrt wirkende Herren verbringen einige Minuten auf der Besuchertribüne, eine themeninteressierte Frau und die Bundestagspolizei, die ohnehin nicht anders kann – mehr Öffentlichkeit bleibt dem Ausschuss nicht.

Auch das Hausmedium „Heute im Bundestag“ stützt mit seiner rein nachrichtlichen Berichterstattung und Zeugenzitaten die Linie der Regierungspartei und des Ausschusssekretariats. Einordnung findet kaum statt. Gegen 22 Uhr verlässt der Kollege die Tribüne und schreibt seinen Text. Er verpasst einiges. Nachrichtlich möglich wäre die Anmerkung, dass der Zeuge wiederholt von sieben Behandlungen des späteren Attentäters im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ spricht, statt von elf.
Korrekt wäre die Feststellung, dass bis dato kein Zeuge des BfV belegt hat, was auch Isselburg behauptet, nämlich das diese Häufung nicht ungewöhnlich sei. Den Parlamentariern liegen dafür aber bisher keine Belege vor.

Journalistisch korrekt könnte man wiedergeben, dass es weiterhin keine Erklärung dafür gibt, warum keine digitale Überwachung der internetaffinen Top-Islamisten im BfV stattfand und dass Zeuge Isselburg das eng mit dem späteren Attentäter verknüpfte Abu Wallah-Verfahren nicht erinnern kann. „Das ist erstaunlich. Das ist der Stellvertreter des IS in Deutschland!“ stellt Martina Renner fest und verweist darauf, dass der spätere Attentäter als Nachrichtenmittler für Abu Wallah tätig gewesen sein soll.
Berichtenswert wäre auch das Verhalten des sehr redefreudigen Zeugenbeistandes, der kein Rederecht hat, die Eskalation in eine erneute Beratungssitzung und die pikiert wirkenden Interventionen der Bundesregierung, als sich die Fragestellungen von FDP, Grünen und Linken nach mehreren Ansätzen endlich verdichten können.

Sie kommen zum Zug, weil AfD und CDU/CSU nicht mehr fragen wollen und die SPD noch noch kurz zur Ehrenrettung kritisiert, dass Zeuge Isselburg mit 21 Diensttagen im relevanten ersten Halbjahr 2016 bestenfalls tageweise sein Referat führte und „auf Anhieb“ nur drei der insgesamt unbekannten Zahl an Vertretern benennen kann. Seine Mitarbeiterin Lia Freimuth lobt Isselburg indes für ihre Selbständigkeit, was bei einem seiner Vertreter Gilbert Siebertz noch ganz anders klang.

Am Ende des Tages erscheint im Hausmedium des Parlaments ein Bericht, der keinen Hinweis mehr darauf gibt, dass der Ausschussvorsitzende Schuster die Opposition attackiert, die für seinen Geschmack die selbe Frage zu oft stellt. Auf Nachfrage von Konstantin von Notz (Grüne), kann Schuster dann aber nicht präzisieren, welche Frage das sein soll und eskaliert ein letztes Mal an diesem Tag in eine nicht-öffentliche Beratungssitzung mit der er am liebsten den Tag für die Öffentlichkeit gänzlich beendet hätte.

Durchsichtiges Spiel

Unterm Strich gewinnt an diesem Tag Kollege René Heilig, der sich ob seiner Erfahrung das unwürdige Spiel nicht bis zum Schluss angetan hat. Zielsicher sagte er vorher, was sich später bewahrheitete. Sowohl die Eskalationen des Anwalts, als auch die des Ausschussvorsitzenden sind ein erwartbares Spiel, dessen Ziel es ist, keine Aufklärung stattfinden zu lassen. Vielfach gesehen im NSA-Untersuchungsauschuss und nun ist sich auch im Fall des Breitscheidplatzattentats die Regierung nicht zu schade, parlamentarische Aufklärung ad absurdum zu führen. Zu Lasten der Opfer, Angehörigen und Hinterbliebenen. Der „lahme Amri-Untersuchungsausschuss“ stinkt. Und das vom Kopf her.

10. Sitzung am 18. Oktober 2018 – Schrödingers Verfassungsschutz

Schrödingers Verfassungsschutz

Berlin ist immer eine Reise wert. Das wissen jetzt auch zwei weitere Zeugen, die wenig Erhellendes beitragen, während der Verfassungsschutzzeuge mauert

Kaum 45 Minuten brauchen die sechs Bundestagsfraktionen, um ihre Fragen an die beiden Zeugen aus der Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete in Ellwangen zu richten, die nach Berlin eingeladen wurden. Beide haben keine Erinnerung an den Attentäter, weil sie in den Jahren 2015 und 2016 in einem Massenverfahren täglich über mehrere Stunden Geflüchtete erfassten und die Erstaufnahmestelle mehr als das Doppelte der vorgesehenen Kapazitäten aufnehmen musste.

Alles nicht neu

Sowohl die Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtungen als auch die Herausforderungen bei der Erfassung der ankommenden Geflüchteten zählen seit der Expertenanhörung in der ersten öffentlichen Sitzung zum Allgemeinwissen des Ausschusses. Die von den Regierungsfraktionen gewünschte chronologische Vorgehensweise in der Aufarbeitung wird auch in Zukunft dafür sorgen, dass Zeugen ihre Aussagen wiederholen müssen, die sie bereits vor anderen Untersuchungsausschüssen abgegeben haben. Dabei könnten deren Erkenntnisse, so denn wirklich gebraucht, auch durch Beiziehung von Protokollen in den Bundestagsausschuss einfließen.

Andrea Hilpert-Voigt + Harald Bohn (Regierungspräsidium Stuttgart), Thilo Bork (BfV) am 18.10.2018

Mit dem Zeugen Thilo Bork beginnt der relevante Teil des Ausschusstages. Zuständig für die Beschaffung von Informationen zählt Bork mit den Zeugen Freimuth, Siebertz und C. M. (in geheimer Sitzung vernommen) zu den Personen, die im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für islamistischen Terrorismus zuständig sind.

Show must go on

Bork trommelt fleißig für den Verfassungsschutz. Sein Eingangsstatement habe er selbst verfasst. Die Entscheidung dafür sei jedoch „ein Mix“ aus eigener Motivation und dem Zuraten seines Chefs und Borks Ehefrau gewesen. Was überwiegend klingt wie ein Wikipedia-Eintrag zum Verfassungsschutz und ganz auf der Linie vom designierten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ist, garniert Bork mit reichlich Street-Credibility.

Der angeblich 1970 geborene Bork sagt aus: „Ich habe angefangen in der Beschaffung, auch als Quellenführer. Das heißt, ich war auf der Straße. … Ich kann sagen, dass ich meine zu wissen, wovon ich spreche.“ Bork weiß um die Probleme, die sein Job mit sich bringt: „Selbst wenn man Leute kennenlernen will, schafft man es nicht immer, Leute auch kennenzulernen.“ Zeuge Bork ist sichtlich bemüht, die Erzählung aufrechtzuerhalten, der Verfassungsschutz habe mit dem Fall des Attentäters nichts zu tun gehabt.

In seinem Reden schwingt ein Unterton mit, dass ohnehin nur Verfassungsschützer wirklich verstehen, was Verfassungsschützer tun. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, warum Journalisten und Parlamentarier den Eindruck haben, es hätte rund um den Attentäter nur so von V-Leuten, Informanten und Quellen gewimmelt, die durch zahlreiche Behörden in die Fussilet-Moschee entsandt worden wären. Die Moschee ist einer von vielen „Hotspots“, die nach der Beschreibung von Bork immer wieder für einen kurzen Zeitraum in die Aufmerksamkeit von Behörden gerieten und dann wieder an Relevanz verlören.

Der Trommler vom Verfassungsschutz

Bork will die Definitionshoheit des BfV erhalten. „Wir haben eine andere Definition des nachrichtendienstlichen Umfeldbegriffs“, reizt Bork die Geduld des Grünenparlamentariers Konstantin von Notz. „Wahrscheinlich waren eben doch fünf Leute im direkten Umfeld von Amri in der Fussilet-Moschee. … aber Sie sagen jeden Tag in jede Kamera, es sei niemand dran gewesen“, kritisiert von Notz die Verfassungsschutzerzählung.

Dabei ist zunächst einmal nachvollziehbar, was Verfassungsschutzmann Bork beschreibt. Ein Attentäter, der im Geheimen vorgeht, wird nicht unbedingt viel Wert auf einen großen Freundeskreis legen und sich bereitwillig mit immer neuen Menschen treffen. Unglaubwürdig wird das Handeln des Verfassungsschutzes und anderer Behörden aber spätestens am 15. Juni 2016, als der spätere Attentäter aus der Observation genommen wurde und dennoch bis zum November 2016 immer wieder auf den Tagesordnungen des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ stand.

Behördenübergreifend war der Attentäter insgesamt elf Mal auf den Tagesordnungen. Wo die Fakten stören, braucht es eine neue Sprache. „Im Umfeld von Amri waren wir nicht vertreten“, sagt Zeuge Bork aus und meint wohl das nachrichtendienstliche Umfeld. Im allgemeinsprachlichen Verständnis von „Umfeld“, das Parlamentarier und Öffentlichkeit pflegen, gab es mindestens Kontakte zu einer Mitfahrgelegenheit und einem Wohnungsgeber. Es gab Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten zur Person des späteren Attentäters. Und es darf davon ausgegangen werden, dass Quellen des Verfassungsschutzes und der Polizeien, die den Attentäter später auf Lichtbildvorlagen erkannten, auch in den Moscheen zugegen waren, in denen der Attentäter ein und aus ging.

Ziemlich viel, was auf der Umfeldliste zusammenkommt. Und da hilft der Begriff des „nachrichtendienstlichen Umfeldes“ schon sehr, wenn das Adjektiv „nachrichtendienstlich“ die Bedeutung des Wortes „Umfeld“ nötigenfalls ins Gegenteil verkehren kann. Ein Paradoxon, das von der Beteiligung des Verfassungsschutzes ablenken soll, der unter keinen Umständen verantwortlich dafür sein will, dass es trotz aller Beobachtungs- und Analysemaßnahmen immer ein Restrisiko gibt, dass ein Attentäter so geheim agiert, dass er den Behörden entgeht.

Verheerendes Bild

Einen Fehler einzugestehen, scheint unmöglich. Doch statt sich nun bedeckt zu halten, lässt Zeuge Bork keine Gelegenheit ungenutzt, Angst zu verbreiten. Man hätte es damals mit einer mittleren dreistelligen Zahl an Gefährdern zu tun gehabt, die ähnlich problematisch gewesen wären wie der Attentäter. Während sich die Zuhörenden unweigerlich ausmalen, was der Effekt wäre, würden alle diese potentiellen Attentäter so handeln, wie es am Breitscheidplatz geschah, schrumpft die im Raum stehende Zahl.

Als Obleute nachhaken, wie viele der Gefährder denn potentielle Attentäter seien, spricht Zeuge Bork von einem zweistelligen Bereich bis hin zu dem Eingeständnis, eigentlich keine genaue Zahl nennen zu können. „Ein verheerendes Bild, das vom Verfassungsschutz dadurch in der Öffentlichkeit entsteht“, resümiert Konstantin von Notz.

UAPOD.Berlin – Folge 002 vom 27.09.2018

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Daniel Lücking
Hinweis und Triggerwarnung:
In der heutigen Folge des UAPod.Berlin kommen mit Astrid und Andreas eine Angehörige und ein Opfer des Attentats zu Wort. Wir finden, es ist wichtig diese Perspektive abzubilden. Wir möchten aber vermeiden durch zu häufige Interviews den Prozess der psychologischen Aufarbeitung zu beeinträchtigen. Sowohl bei den Interviewten, als auch bei unsereren Hörenden. Die Beschreibungen können verstörend und belastend wirken. Wer das vermeiden möchte, sollte auf den letzten Teil des Podcasts verzichten . Wir bedanken uns bei Astrid und Andreas für ihre Bereitschaft, sich in der heutigen Folge zu äußern und sind jederzeit dafür offen, euch erneut Raum zu geben.


		

8. Sitzung am 27. September 2018 – Semantisches Schmierentheater

Semantisches Schmierentheater

Untersuchungsausschuss Heute hüh, morgen hott! Was zunächst als offener Widerspruch gegenüber Hans-Georg Maaßen galt, wird nun revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück

Gilbert Sibertz vom Bundesamt für Verfassungsschutz

Heute hüh, morgen hott … Was in der vergangenen Sitzung noch als offener Widerspruch gegenüber dem Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen galt, wurde in der Sitzung vom 27. September 2018 durch einen Vorgesetzten revidiert. Der Verfassungsschutz rudert zurück.

Das vom Verfassungsschutz für seine Mitarbeiterin gewählte Pseudonym „Freimuth“ ordnet Wikipedia als bei Schriftstellern beliebt ein, „die damit signalisierten, dass der Inhalt ihrer Veröffentlichung um seiner Offenheit willen nur unter Pseudonym veröffentlicht werden könne.“

Während der Aussage von Lia Freimuth wurde klar, dass sie im offenen Widerspruch zu jenem Narrativ steht, das vom Noch-Behördenleiter Hans-Georg Maaßen so sorgsam verbreitet wurde.

Zwei Wochen später steht ihre Aussage im Widerspruch zu einem weiteren Vorgesetzten: Zeuge Gilbert Siebertz ist Islamwissenschaftler und leitender Regierungsdirektor. Sein Dienstposten ist zwei Verantwortungsebenen höher angesiedelt als der von Lia Freimuth. Getreu dem vertrauten Motto einer jeden Hierarchie – „Ober sticht Unter“ – rückt Siebertz die Aussage seiner Mitarbeiterin nun ins rechte Licht.

 

Fachkompetenz im Arbeitsbereich

Wie nah er noch an konkreten Themen rund um den Islamismus arbeitet, lässt sich angesichts seiner Führungsverantwortung für fünf Referate mit untergeordneten Referatsleitern und Referentinnen wie Lia Freimuth nur schwierig herausfinden. In seiner Funktion war Siebertz zwar an der Beantwortung mehrerer kleiner Anfragen des Bundestages rund um den Themenkomplex beteiligt, schaffte es aber in keine der elf Sitzungen im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ), in denen der Attentäter im Jahr 2016 vor dem Anschlag ein Thema war.

Obgleich seine Mitarbeiterin beschrieb, dass es eine Personenakte zum Attentäter gegeben hätte, dieser auch in mehreren Sachakten vorgekommen und mehrfach im Beisein der Kriminalämter und der Verfassungsschützer ein Thema im GTAZ gewesen wäre, äußert Siebertz gegenüber dem Ausschussvorsitzenden Armin Schuster (CDU/CSU):

Siebertz: „Nein, wir haben ihn nicht nachrichtendienstlich überwacht.“
Schuster: „Haben Sie nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt?“
Siebertz: „Das kommt auf die Definition an. … Wir haben V-Leute in Betracht gezogen.“

Im vermeintlichen Umfeld des späteren Attentäters wurden im Februar und März 2016 sogenannte Lichtbildvorlagen gezeigt. Ein Vorhalt ohne Nennung eines Namens oder eines konkreten Verdachts. Jedenfalls formal, wenn man davon absieht, dass es sich bei den fragenden Personen um Verfassungsschützer und bei den gefragten um Menschen muslimischen Glaubens handelt. Die so angesprochenen Quellen vermochten sich erst nach dem Attentat an die Person des Attentäters zu erinnern.

Für Zeuge Siebertz sind all diese Maßnahmen aber kein Grund, an der Aussage seines Amtschefs zu rütteln, und auch er gibt an, der Attentäter wäre ein „reiner Polizeifall“ gewesen und die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden im GTAZ sei gut.

 

Semantische Haarspaltereien

Dass in der Öffentlichkeit durch den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der Eindruck entstanden sei, es hätte sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, bezeichnet er als missverständlich formuliert. Schließlich kämen bei einer nachrichtendienstlichen Beobachtung nicht zwingend auch ,nachrichtendienstliche Mittel“ zum Einsatz.

„Missverständlich, aber nicht falsch“ wären auch wohl die Antworten auf kleine Anfragen gewesen, gibt der Beamte zu Protokoll, während im Saal die Lust auf semantische Haarspaltereien längst vergangen ist. Auf die direkte Frage „Wie viele V-Leute hatten Sie in der Fussilet-Moschee, die nicht mit dem Auftrag da rein sind, aber mit dem Attentäter Kontakt hatten?“ erhält der Ausschussvorsitzende Armin Schuster den Platzverweis vom Innenministerium: „Nur in geheimer Sitzung.“

Für die Zuschauenden bleibt die Frage, wann die Behördenleitung des BfV Sprach- und Semantikkurse erhält, damit ihre Antworten und Meldungen nicht wiederholt so „missverständlich, aber nicht falsch“ in die Öffentlichkeit gelangen.

Für weitere Erläuterungen ihrer Zeugenaussage hoffen die Ausschussmitglieder der Grünen und der Linksfraktion nun auf eine baldige Genesung der Zeugin Lia Freimuth, die aus gesundheitlichen Gründen heute nicht erneut befragt werden konnte.

Neben Siebertz wurde an diesem Tag erneut in geheimer Sitzung der Sonderbeauftragte des Landes Berlin Bruno Jost gehört, sowie ein weiterer Zeuge des BfV, der als V-Mann-Führer eingesetzt war.