Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Anis Amri (Seite 1 von 1)

20. Sitzung vom 04.04.2019 – Die Frage nach der Scharade

Das Bundeskriminalamt gibt sich mitwirkungsbereit und aufgeschlossen, offenbart aber blinde Flecken. Wie viel Arglosigkeit ist noch glaubhaft?

Mit einer aufgeschlossenen Mitarbeiterin punktet das Bundeskriminalamt BKA an diesem Sitzungstag zunächst beim Publikum und den Obleuten im Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz. Die Kriminalhauptkommissarin Karin van Elkan überzeugt. Dermaßen aufgeschlossenes Auftreten haben schon einige Zeugen anderer Behörden vermissen lassen. Zeugin van Elkan verfügt nicht nur über Detailkenntnisse, sondern referiert ohne Notizen und völlig frei zu den zeitlichen Abläufen.

Ihr Gedächtnis funktioniert assoziativ und die Zusammenhänge, die sie zwischen Ermittlungsgruppen, Personen und Ereignissen schildert, sind nahezu lückenlos und wirken nicht auswendig gelernt. Sie arbeitet mit, statt zu blockieren.

Karin van Elkan (BKA)

Gefahrenabwehrvorgang Lacrima

Im Visier der BKA-Ermittler stand zunächst der nach Syrien ausgereiste Denis Cuspert, der über soziale Medien für den Dschihad warb. In dessen Umfeld tauchte dann der Tunesier Sabou Saidani auf, dessen Verbindung zu Bilel ben Ammar und dem späteren Attentäter dann später im Ermittlungsverfahren Eisbär durch das BKA überwacht wurde. Ein abgehörtes Telefongespräch am 24. Dezember 2015 förderte eine Aliasidentität des späteren Attentäters zu Tage. Ab dem 11. Januar 2016 war Anis Amri im Ermittlungsverfahren Eisbär eindeutig zugeordnet, galt aber lediglich als Kontaktperson von Bilel Ben Ammar. Doch so viele Namen, Orte und Zusammenhänge die Zeugin van Elkan an diesem Sitzungstag auch liefert: neue Erkenntnisse sind nicht dabei.

Offen bleiben die Fragen von Benjamin Strasser (FDP) nach den Details der Kooperation mit dem US-Inlandsdienste FBI – einer Hybridorganisation, die sowohl die Aufgabenbereiche der Verfassungsschutz-, als auch der Kriminalämter in sich vereint. Auch auf die Fragen von Martina Renner (Die Linke), wie mit den Metadaten aus dem Androidtelefon des späteren Attentäters umgegangen wurde, kann Zeugin van Elkan nichts beisteuern. Metadaten und Social-Media-Vernetzungen, die möglicherweise die Grundlage für den im Januar 2017 durchgeführten US-Luftangriff in Libyen waren, der als Vergeltungsschlag für das Attentat vom Breitscheidplatz gilt.

Publikum unter Beobachtung

Auf der Regierungsbank zeigt sich das BKA maximalst kooperationsbereit. Auffällig ist an diesem Tag aber auch das Social-Media-Monitoring, das die Regierungsbank in Echtzeit betreibt. Unklar bleibt, mit welchen Accounts die Beobachter agieren. Während Presse, Obleute und Mitarbeiter des Untersuchungsausschusses immer wieder auch anonymen Attacken ausgesetzt sind, bei denen an Motivation und Reputation gekratzt, sowie der Sachverstand in Frage gestellt wird, bleibt die Regierungsbank gleichermaßen anonym. Was bleibt, ist das ungute Gefühl, das notfalls interveniert wird, falls sich eine Zeugenaussage zu aufklärerisch entwickelt und die Öffentlichkeit zu viel erfährt.

Dünne Quellenlage

Kriminaldirektor Dr. Dominik Glorius pflegt den offenen Stil, der den Ausschusstag trotz aller zeitlichen Verzögerungen positiv verlaufen lässt. Glorius kann vor allem zum Geschehen nach der Tat als Leiter der besonderen Aufbauorganisation BAO City aussagen. Ihn ärgert die Berichterstattung des Focus-Magazins, das im Februar Behauptungen eines angeblichen Insiders veröffentlichte, nach denen es ein weiteres Video geben würde, das Bilel ben Ammar am Breitscheidplatz zeigt. „Wir wären dankbar gewesen für ein Video, das zeigt, wie ben Ammar eine schwere Körperverletzung begeht, dann hätten wir einen Straftatverdacht gehabt ihn festhalten können.“ Weder dem Ausschuss, noch den verantwortlichen Redakteuren Alexander Rackow und Josef Hufelschulte liegt das Video vor. Die dünne Quellenlage macht die Focus-Berichterstattung auch mehrere Wochen nach der Veröffentlichung nicht glaubwürdiger.

Dr. Dominik Glorius (BKA)

In der Kritik

Die Obleute konfrontieren den Zeugen Glorius schnell mit den Dingen, die die BAO City nicht ausermittelt hat. Nur zwei der drei DNA-Spuren an der Pistole des Attentäters sind eindeutig zugeordnet. Die Pistole des Attentäters stammt aus der selben Produktionscharge, wie die Tatwaffe des rechtsradikalen NSU-Trios. Martina Renner (Die Linke) macht deutlich, dass die Identitäre Bewegung in Frankreich bereits Waffen an Dschihadisten verkauft hat und auch deutsche Rechtsextreme aus dem bosnischen Kriegsgebiet Waffen nach Deutschland geschmuggelt haben. Ermittlungsansätze, die beim BKA offenbar nur nachrangig behandelt werden.

Das BKA hält weiter an der Einzeltäterthese fest. Glorius kann nicht auflösen, warum er davon ausgeht, der Attentäter hätte keine Absicht gehabt, das Attentat zu überleben. Martina Renner macht klar, dass der Attentäter sich entweder mit der Pistole hätte umbringen können oder den Tod in einer Konfrontation mit der Polizei hätte suchen können. Für Irene Mihalic und Konstantin von Notz (beide B90/Die Grünen) ist vor allem die erfolgreiche Flucht ein Indiz dafür, dass es dem Attentäter nicht um ein Selbstmordattentat ging.

Der Fragenkatalog zur Fluchtroute ist lang. Dem BKA gelang die Rekonstruktion der dreitägigen Flucht des Attentäters von Berlin über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Italien. Insgesamt 33 Stunden zwischen Berlin und Kleve, sowie 16,5 Stunden zwischen Brüssel und Lyon können bisher heute nicht nachvollzogen werden. Fast zwei Tage in einem Zeitraum, in dem auch der Auffenthaltsort von Bilel ben Ammar nicht ermittelt werden konnte. Für die Obleute liegt nahe, ben Ammar könnte die Flucht des Attentäters maßgeblich unterstützt haben.

Seltsam unambitioniert

Zeuge Glorius gerät zusehends unter Druck. Auch aus Kreisen der CDU/CSU fragen Klaus-Dieter Gröhler und Detlef Seif mit Nachdruck zu den Pannen und Zeitverzögerungen bei der Spurensicherung nach dem Anschlag, die dafür sorgten, dass die Fahndung nach dem Attentäter erst mit wesentlicher Verspätung eingeleitet wurde.

Konstantin von Notz fragt zum LKW und den Ereignissen, bevor der Fahrer Łukasz U. durch den Attentäter erschossen wurde. Łukasz U. hatte eine Software auf seinem Smartphone installiert, die seine Telefongespräche am Tag vor dem Attentat aufgezeichnet hatte. Daraus geht hervor, dass es am Vorabend, noch vor Erreichen des Ladeortes in Berlin, Eindringversuche in die Fahrerkabine des LKW gab, die Łukasz U. abwehren konnte. Glorius ist dazu nichts bekannt und er sieht auch keine weiteren Ermittlungsansätze.

Die wohl größte Ungereimtheit, die die Obleute in den Abendstunden hinterfragen, ist die Vernehmung von Bilel ben Ammar. Das BKA führte insgesamt drei Vernehmungen durch, die zusammengenommen nur ca. dreieinhalb Stunden dauerten. In der ersten Vernehmung machte Bilel ben Ammar Angaben, die die Ermittler zunächst als glaubhaft einordneten. Seine Nervosität erklärten sie arglos mit der ungewohnten Situation einer Vernehmung.

Als ben Ammar in der zweiten Vernehmung dann eingesteht, in der ersten Vernehmung gelogen zu haben und eine neue Geschichte erzählt, gelangen die Ermittler zu dem Schluss, ben Ammar sei als Zeuge unbrauchbar. Die Obleute im Ausschuss können diese Begründung nicht nachvollziehen. Email-Verkehr, der den Obleuten vorliegt legt nahe, dass zum Zeitpunkt der Vernehmung hauptsächlich die schnelle Abschiebung ben Ammars im Vordergrund stand und nicht die Frage nach einer Tatbeteiligung.

Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster fragt nach dem Grund für das unerklärliche Verhalten des BKA. Schuster räumt ein, dass auch er zu den Politikern gehörte, die nach dem Attentat dafür plädiert haben, Deutschland solle mögliche Gefährder schnell abschieben. Tatverdächtige schloss diese Forderung nach Ansicht von Schuster jedoch nicht ein.

Abschiebung vor Aufklärung

Die Abschiebung von ben Ammar wurde nachweislich mit Hochdruck betrieben. Glorius streitet ab, dass es Druck aus Regierungskreisen gegeben habe. Doch noch bevor wesentliche Beweismittel, wie das Smartphone ausgewertet sind, wurde ben Ammar Anfang Februar 2017 abgeschoben.

Konstantin von Notz betont, dass man den Indizien für die Tatbeteiligung ohne Eile hätte nachgehen können. Ben Ammar wurden Straftaten zur Last gelegt, nach denen er zu mehreren Monaten Gefängnis hätte verurteilt werden können. Zeit, in der das BKA sorgfältig allen Indizien hätte nachgehen können. Glorius gibt sich weiterhin arglos. Die Fotos von zwei Sperrpollern am Breitscheidplatz vor der Tat hätten für die Amokfahrt des Attentäters keine weitere Bedeutung gehabt.

Unverständnis auch für das Handeln des BKA nach der Abschiebung. Eine Überwachung habe es nicht gegeben. Lediglich der Verbindungsbeamte habe mit den örtlichen Behörden gesprochen, sagt Glorius.

Nicht der letzte BKA-Zeuge

In den kommenden Sitzungen wird der Ausschuss weitere Mitarbeiter aus dem BKA befragen und nach einer Erklärung dafür suchen, warum die Abschiebung priorisiert und die Auswertung der Beweismittel hinten angestellt wurden. Glorius verneinte politische Einflussnahme und Druck. Ob der abgeschobene ben Ammar weiterhin Kontakte zur dschihadistischen Szene in Deutschland hat, lässt sich nicht feststellen. Sein Aufenthaltsort nach der Abschiebung ist nicht bekannt.

UAPOD.Berlin – Folge 012 vom 14.03.2019

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking

https://www.freitag.de/autoren/daniel-luecking/tatort-krefeld-der-anruf-des-herrn-elka

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In der 12. Folge sprechen wir über die Zeugen Wilhelm Berg (Flüchtlingsbetreuer in einer Unterkunft in Emmerich) sowie Kriminalhauptkommissar Wolfgang D. und Kriminalhauptkommissar K. aus Krefeld.
Der Zeuge Lokman D. über den wir in der letzten Folge sprachen hatte A. bei den Behörden als auffällig gemeldet. Die Zeugen in dieser Folge sind die Beamten, die mit dem späteren Attentäter beschäftigt waren.

Ein Jahr Untersuchungsausschuss – Zwischenbilanz und Einordnung

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Matthias Jakubowski

UAPOD.Berlin – Folge 008 vom 17.01.2019

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Daniel Lücking

Hier geht es zu Daniels Artikel zur Sitzung im Blog bei derFreitag

Wir hörten heute den Zeugen J., ein Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnehmeeinrichtung und Zeuge Schimanski aus Dortmund.

14. Sitzung am 17.01.2019 – Kaum frischer Wind im neuen Jahr


Kaum frischer Wind im neuen Jahr

Mit einem relevanten Zeugen startet die erste Anhörung im neuen Jahr, um anschließend mit dem zweiten Zeugen wieder zur chronologischen Aufarbeitung zurückzukehren

Zeuge Mohammed J. sagt etwa zwei Stunden vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Attentat vom Breitscheidplatz aus. Im Jahr 2015 kam er gemeinsam mit dem späteren Attentäter in einer Geflüchtetenunterkunft in Emmerich in Nordrheinwestfalen an. Dort teilten beide für etwa einen Monat ein Zimmer.

Mohammed J. beschreibt den späteren Attentäter als aufbrausend, laut und sendungsbewusst. Immer wieder wies jener andere Muslime zurecht und sagte ihnen, was sie tun oder unterlassen sollten. Mohammed J. kannte dieses Verhalten bereits von IS-Anhängern aus seinem Heimatland Syrien, die auf ihn „wirkten, als hätten sie eine Gehirnwäsche erhalten“.

Im Team übersetzen zwei Dolmetscher die Worte des Mittzwanzigers, der ruhig, geradlinig und gefasst auf die Fragen der Obleute im Ausschuss antwortet. Präzise legt er dar, welche Informationen er schon in den ersten Wochen des Zusammenlebens an die Heimleitung weitergab. Videochats mit einem eher marrokanisch-algerisch-tunesischen Akzent bekam Mohammed J. ebenso beiläufig mit wie eine gezeichnete IS-Flagge im persönlichen Notizbuch des späteren Attentäters.

Zeuge J (Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnahmeeinrichtung in Emmerich)

Zwei Welten

Eine Freundschaft entstand nicht. Während Mohammed J. die Moschee nur zu Hochfesten wie dem Fastenbrechen aufsucht, war der spätere Attentäter täglich in der Moschee in Emmerich. „Beten kann ich auch allein für mich“, sagt Mohammed J. Er grenzte sich von den Forderungen seines Mitbewohners ab: nach Syrien gehen, kämpfen, keine Musik mehr hören und vorher möglichst viel Geld von den deutschen Behörden erschleichen. Was dazu nötig war, wusste der Tunesier offenbar sehr genau und drängte die Mitbewohner, es ihm gleich zu tun.

Einst war der spätere Attentäter selbst so wie seine Mitbewohner, rauchte und hörte Musik. Sein Leben aber hätte sich im italienischen Gefängnis geändert, als er auf Dschihadisten getroffen wäre und dann den richtigen Weg eingeschlagen hätte.

Mohammed J. berichtete der Heimleitung von den Vorkommnissen und Verhaltensweisen des Tunesiers. Auch die Zimmergenossen beschwerten sich über das Verhalten des Tunesiers. Ein Gespräch, das ein Betreuer auf Französisch mit dem späteren Attentäter geführt hatte, änderte nichts. Ein Betreuer, der die Muslime oft mit „Allahu akbar“-Grüßen provozierte. Keine Polizei, kein Verfassungsschutz – die Beobachtungen blieben ohne Reaktion der Sicherheitsbehörden.

Auch zur Jahresmitte 2016, als Mohammed J. während einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefragt wurde, ob er auf Dschihadisten oder Terroristen getroffen wäre, verwies er auf den späteren Attentäter. Doch wieder reagierten die Sicherheitsbehörden nicht.

Zu spät

Nach dem Anschlag am 19. Dezember 2016 war Mohammed J. auf das Fahndungsbild aufmerksam geworden und prüfte den Facebook-Kontakt, den er mit dem Tunesier im Jahr zuvor geschlossen habe. Er vermutete dort ein IS-typisches Bekennervideo. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Profil bereits deaktiviert. Nach dem Anschlag meldeten sich dann endlich Behördenvertreter, die sich als LKA-Beamte vorstellten, jedoch auf Mohammed J. nicht wirkten wie Polizisten in Zivil. In einem sehr kurzen Gespräch gab er nochmals zu Protokoll, was er über den Attentäter wusste. Erst jetzt in der Ausschusssitzung erfährt er, dass der Attentäter auf seiner Flucht nach dem Anschlag auch wieder durch Emmerich gekommen sein musste.

„Fassungslos!“, twittert die Obfrau der Grünen Irene Mhalic. „Mitbewohner von #Amri in Emmerich gibt früh Hinweise auf dessen IS-Bezug und wird von den Sicherheitsbehörden ignoriert. Auch nach dem Anschlag fragt man ihn nicht nach Amris Fluchtweg über Emmerich. Dass Amri noch einmal dort war, erfährt er erst hier im #UA1BT.“ Mihalic bringt das Behördendilemma auf den Punkt.

Ein weiterer Mitbewohner aus der Emmericher Unterkunft ist für diesen Tag vorgeladen, erscheint aber nicht und hat sich auf die Ladung des Ausschusses nicht zurückgemeldet, wie es aus Kreisen der Obleute heißt. Dieser Zeuge hatte das auffällige Verhalten laut den Unterlagen des Ausschusses an einen anderen Mitarbeiter der Heimleitung berichtet, der daraufhin die Polizei verständigte. Eine Anhörung muss es nach dem Ausschussgeschehen zu urteilen wohl im November 2016 kurze Zeit vor dem Anschlag gegeben haben.

Auffälligkeiten

Nach der Sitzung ist klar, dass schon in der Unterkunft in Emmerich viel übersehen wurde. So wurde der Tunesier unter einem anderen Namen geführt, während er sich seinen Mitbewohnern bereits als Anis Amri zu erkennen gab. Ein Name, der auch auf Türschildern verwendet wurde. Eine Erklärung, warum ernstzunehmende Hinweise des Zeugen an die Heimleitung gingen, aber nicht zur Anzeige gebracht wurden, suchten die Obleute vergebens.

Zeuge Schimanski

Die Befragung des Zeugen Mark Schimanski kommt schon nach den ersten Sätzen zum gleichen Ergebnis wie so häufig in den vergangenen Monaten des Ausschusses: „Ich habe in der zentralen Ausländerbehörde als Registrierer in der Ersterfassung gearbeitet und kann mich an ihn [den späteren Attentäter] nicht erinnern.“

Das Befragungsprozedere der CDU/CSU-Fraktion, die auch 2019 mit der chronologischen Aufarbeitungstaktik vielen Sachbearbeitern eine Kurzreise nach Berlin ermöglicht, dehnt die Befragung dann immerhin auf knapp 40 Minuten aus.

Nicht öffentlich

Relevante Informationen darf der dritte Zeuge des Tages – Tarnname: Carlo Macri, ein Beamter aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz – dann nur noch in nicht-öffentlicher Sitzung präsentieren. Seine operative Tätigkeit verbietet eine öffentliche Aussage. Sowohl sein Anblick als auch seine Stimme sind für Gäste und Journalisten tabu. Deshalb wird die Vernehmung auch nicht in einen Nachbarsaal übertragen. Die Öffentlichkeit kann nur darauf hoffen, dass die nicht-öffentliche Aussage in Kürze als Protokoll verfügbar gemacht wird.

Die einfachste Lösung, um dem Öffentlichkeitsgrundsatz des Ausschusses gerecht zu werden, ist die technische Stimmenverfremdung. Hier mangelt es der Ausschussleitung aber wohl eher am Willen als am Budget.


UAPOD.Berlin – Folge 007 vom 13.12.2018

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Daniel Lücking
Zeugen dieses Mal: Frau Kerstin Wendler, Staatsanwaltschaft, Berlin und Henrik Isselburg, BfV.

Zuvor gab es eine kleine Pressekonferenz. Diese hört ihr im Anschluss an die aktuelle Folge.
Geladen hatten Irene Mihalic (Bündnis `90 die Grünen), Martina Renner (Die Linke) und Benjamin Strasser (FDP).

13. Sitzung am 13.12.2018 – Wie Medien der CDU helfen

Im Amri-Untersuchungsausschuss lockt die Klage der Opposition TV-Journalisten. Über den Rest der Sitzung berichtet kaum jemand. Der Regierung spielt das in die Hände.

Journalist René Heilig macht an diesem Sitzungstag alles richtig. Sein Artikel im Neuen Deutschland bringt es schon im Vorspann in wenigen Worten auf den Punkt: „zum lahmen Amri-Untersuchungsausschuss und der Klage der Opposition“. Alles weitere versteckt sich leider hinter der Paywall beim ND (Neues Deutschland).

Kein Wunder. Der Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz ist ein Thema, das keinen Journalisten ernähren kann. Der Aufwand der Berichterstattung steht längst in keinem Verhältnis mehr zu Ertrag. „Aufklärung“ erwartet ohnehin niemand – schon gar nicht zur üblichen Arbeitszeit. Aber von vorne.

Nach der Pressekonferenz um 10 Uhr dauert es noch einmal bis etwa 12 Uhr 25 bis der öffentliche Sitzungsteil beginnt. Als Wunschzeugin der Regierungsparteien wird Staatsanwältin Kerstin Wendler von der Staatsanwaltschaft Berlin gehört. Schon in ihrem Eingangsstatement weist auch diese Zeugin darauf hin, keinen Kontakt zum späteren Attentäter gehabt zu haben, der über Papierarbeit hinaus ging. Eine Aliasidentität lag vor, die einen noch minderjährigen Ersttäter vermuten ließ. Er soll einen Sicherheitsbeamten am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin geschlagen haben. Keine weiteren Anhaltspunkte für andere Gewalttaten. Keine Überprüfung der Fingerabdrücke. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die beschuldigte Person nicht mehr auffindbar war.

Einzig interessanter Aspekt: kurz vor Einstellung des Verfahrens gab es wohl einen Hinweis der Polizeidirektion Konstanz, dass die Identität des späteren Attentäters falsch sein könnte. Auch nichts ungewöhnliches in den Jahren 2015 und 2016. Schreib- und Übersetzungsfehler waren Alltag und mehrere Identitäten gesichert einer Person zuordnen zu können, erfordert mehr Aufwand, als die Justiz und Behörden dieser Tage leisten konnten. „Was machen wir hier“, wirft Martina Renner in den Raum, als der AfD-Vertreter Seitz nach der Übermittlung der Fahndungseinstellung fragt und wissen will, ob die Meldung digital oder auf Papier abgesetzt wurde.

10 Stunden Ausschuss – minimalster Nachrichtenwert

Die Aussage der Zeugin endet um 19 Uhr. Zwischen 13:30 Uhr und etwa 18:45 Uhr wurde noch Zeuge K.M. vernommen, der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen aus dem Gefängnis zur Aussage in den Bundestag verbracht wurde. Um den Zeugen K.M. nicht einzuschüchtern – ein Straftäter und Kleinkrimineller, bei dem aber wohl Fluchtgefahr besteht – findet die Vernehmung nicht öffentlich statt. Im späteren Sitzungsteil gibt der Vorsitzende Armin Schuster (CDU) noch einen minimalen Einblick, als der in einer Frage bestätigt, es habe digitale Kommunikation des späteren Attentäters via Facebook mit Zeugen K.M. gegeben.

Als gegen 19:45 Uhr nun der Zeuge des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Henrik Isselburg zur Vernehmung antritt, sind gut 10 Stunden seit Beginn dieses Sitzungstages vergangen. Zum wiederholten – und mittlerweile gewohnten – Mal, beginnt der relevante Teil des Sitzungstages erst nach Redaktionsschluss der Printmedien. Unplanbar für Radio- und TV-Berichterstattung und nach hinten auf maximal vier Stunden begrenzt, denn der stenografische Dienst arbeitet bis maximal 24 Uhr.

Schulterzucken oder ein „geht nicht anders“ wäre das Maximum, was an Statements von Obleuten einzuholen ist. Faktisch ist es die Ausschussmehrheit, die den Tagesablauf verantwortet und festlegt, sowie ein überbetont neutral agierendes Ausschusssekretariat, das damit die Regierungsinteressen stützt, statt die parlamentarische Aufklärung und den Öffentlichkeitsgrundsatz in den Vordergrund zu stellen.

Eskalation zu später Stunde – reloaded

Als Zeuge Isselburg seine Aussage beginnt, sind noch eine Korrespondentin der Zeitung „Junge Welt“, ein freier ARD-Journalist, eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur dpa sowie der Kollege des Hausmediums „Heute im Bundestag“ auf der Tribüne. Ein Opfer des Anschlags sitzt auch dort. Auf seine Initiative hatte Armin Schuster zu Beginn dieser letzten Sitzung des Jahres eine Schweigeminute abgehalten. Zwei verirrt wirkende Herren verbringen einige Minuten auf der Besuchertribüne, eine themeninteressierte Frau und die Bundestagspolizei, die ohnehin nicht anders kann – mehr Öffentlichkeit bleibt dem Ausschuss nicht.

Auch das Hausmedium „Heute im Bundestag“ stützt mit seiner rein nachrichtlichen Berichterstattung und Zeugenzitaten die Linie der Regierungspartei und des Ausschusssekretariats. Einordnung findet kaum statt. Gegen 22 Uhr verlässt der Kollege die Tribüne und schreibt seinen Text. Er verpasst einiges. Nachrichtlich möglich wäre die Anmerkung, dass der Zeuge wiederholt von sieben Behandlungen des späteren Attentäters im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ spricht, statt von elf.
Korrekt wäre die Feststellung, dass bis dato kein Zeuge des BfV belegt hat, was auch Isselburg behauptet, nämlich das diese Häufung nicht ungewöhnlich sei. Den Parlamentariern liegen dafür aber bisher keine Belege vor.

Journalistisch korrekt könnte man wiedergeben, dass es weiterhin keine Erklärung dafür gibt, warum keine digitale Überwachung der internetaffinen Top-Islamisten im BfV stattfand und dass Zeuge Isselburg das eng mit dem späteren Attentäter verknüpfte Abu Wallah-Verfahren nicht erinnern kann. „Das ist erstaunlich. Das ist der Stellvertreter des IS in Deutschland!“ stellt Martina Renner fest und verweist darauf, dass der spätere Attentäter als Nachrichtenmittler für Abu Wallah tätig gewesen sein soll.
Berichtenswert wäre auch das Verhalten des sehr redefreudigen Zeugenbeistandes, der kein Rederecht hat, die Eskalation in eine erneute Beratungssitzung und die pikiert wirkenden Interventionen der Bundesregierung, als sich die Fragestellungen von FDP, Grünen und Linken nach mehreren Ansätzen endlich verdichten können.

Sie kommen zum Zug, weil AfD und CDU/CSU nicht mehr fragen wollen und die SPD noch noch kurz zur Ehrenrettung kritisiert, dass Zeuge Isselburg mit 21 Diensttagen im relevanten ersten Halbjahr 2016 bestenfalls tageweise sein Referat führte und „auf Anhieb“ nur drei der insgesamt unbekannten Zahl an Vertretern benennen kann. Seine Mitarbeiterin Lia Freimuth lobt Isselburg indes für ihre Selbständigkeit, was bei einem seiner Vertreter Gilbert Siebertz noch ganz anders klang.

Am Ende des Tages erscheint im Hausmedium des Parlaments ein Bericht, der keinen Hinweis mehr darauf gibt, dass der Ausschussvorsitzende Schuster die Opposition attackiert, die für seinen Geschmack die selbe Frage zu oft stellt. Auf Nachfrage von Konstantin von Notz (Grüne), kann Schuster dann aber nicht präzisieren, welche Frage das sein soll und eskaliert ein letztes Mal an diesem Tag in eine nicht-öffentliche Beratungssitzung mit der er am liebsten den Tag für die Öffentlichkeit gänzlich beendet hätte.

Durchsichtiges Spiel

Unterm Strich gewinnt an diesem Tag Kollege René Heilig, der sich ob seiner Erfahrung das unwürdige Spiel nicht bis zum Schluss angetan hat. Zielsicher sagte er vorher, was sich später bewahrheitete. Sowohl die Eskalationen des Anwalts, als auch die des Ausschussvorsitzenden sind ein erwartbares Spiel, dessen Ziel es ist, keine Aufklärung stattfinden zu lassen. Vielfach gesehen im NSA-Untersuchungsauschuss und nun ist sich auch im Fall des Breitscheidplatzattentats die Regierung nicht zu schade, parlamentarische Aufklärung ad absurdum zu führen. Zu Lasten der Opfer, Angehörigen und Hinterbliebenen. Der „lahme Amri-Untersuchungsausschuss“ stinkt. Und das vom Kopf her.