Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

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UApod.berlin – Folge 026 vom 12.12.2019

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Daniel Lücking
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Stella Schiffczyk

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In dieser Folge berichten wir von einem Novum im Ausschuss: eine Gegenüberstellung. Drei Zeugen wurden zeitgleich gehört um Widersprüche aus dem Weg zu räumen. Philipp Klein, Erster Kriminalhauptkommissar beim BKA, Herr M., Leiter der EK Ventum / LKA NRW und den Generaslbundesanwalt Dieter Killmer vom Bundesgerichtshof. Im Raum stand die Frage nach dem Zwiegespräch zwischen Herrn Klein und Herrn M. Haben das BKA und das Innenministerium veranlasst, dass die VP01 aus dem Verkehr gebracht werden soll?

Im Anschluss folgen die Statements zur Sitzung von Fritz Felgentreu (SPD), Irene Mihalic (Grüne), Volger Ullrich (CDU) und Benjamin Strasser (FDP).

Artikel dazu von Daniel Lücking aus dem Blog „der Freitag“

Aussage gegen Aussage

Eiligst dementierte das Bundesinnenministerium die Aussage eines Landespolizisten. In der Gegenüberstellung litt jetzt die Glaubwürdigkeit des Bundeskriminalamtes.

„Bereits ein inhaltliches Vieraugengespräch hat es nicht gegeben.“ Die Worte von Ministeriumssprecher Steve Alter in der Regierungspressekonferenz vom 15.11.2019 wogen schwer. Nur wenige Stunden nach der Aussage von Kriminalhauptkommissar KHK M. vom Landeskriminalamt Nordrheinwestfalen dementierte das Bundesinnenministerium die Aussage des Polizisten. Stringent und überzeugend hatte er zu Protokoll gegeben, auf Geheiß „von ganz oben“ sei der Fall des späteren Attentäters nicht auf der Ebene der Bundesbehörden zu bearbeiten gewesen.

Vier Wochen später sitzt KHK M. erneut im Bundestag. Das es ein aufwühlendes Vieraugengespräch gegeben haben muss, bestätigt an diesem Tag Dieter Killmer von der Generalbundesanwaltschaft.

Herr M. (Kriminalhauptkommissar beim LKA NRW / Leiter der EK Ventum)

Am 23. Februar 2016 hatte KHK M. nicht nur mit Killmer über den Inhalt gesprochen. Auch Bundesanwältin Claudia Gorf wurde ins Vertrauen gezogen und riet KHK M sich auch an Bundesanwalt Horst Salzmann zu wenden, so heißt es. Die Aussagen von Killmer und KHK M. stehen im Widerspruch zur Regierungslinie. Doch welche Gründe sollten sie haben, sich selbst und weitere Kollegen unter Wahrheitspflicht so zu belasten?

Jungfrauen und Kinder

Im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ wird im Februar 2016 gestritten. Während das LKA NRW in mehreren Sitzungen das Bundeskriminalamt BKA ersucht hat, den Fall des späteren Attentäters zu übernehmen, mauert vor allem Philipp Klein von der Zentralstelle für Gefährdungsbewertung des BKA.

Klein wollte damals nicht glauben, dass eine Quelle des Landeskriminalamtes NRW – die VP-01 – mit den Anschlagswarnungen so richtig liegen könne. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik habe eine einzelne Quelle zu mehreren Anschlagsplanungen Informationen beschaffen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Quelle zwei Mal so dicht an Attentätern und deren Anschlagsplanungen dran sei, sei wie „zwei Sechser im Lotto in einer Woche“, gibt Klein mehrfach und wortreich zu Protokoll.

Ein rund anderhalbstündiges Eingangsstatement ist der Auftakt zu einer Zeugenaussage, die etwa sechs Stunden dauert. Sechs Stunden, in denen Philipp Klein semantische Pirouetten dreht und Wortklaubereien an den Tag legt. Man müsse deutlich zwischen der Glaubhaftigkeit von Informationen und der Glaubwürdigkeit einer Quelle unterscheiden, argumentiert Klein und ignoriert, dass eine Quelle, die keine glaubhaften Informationen liefert gemein hin auch nicht als glaubwürdig wahrgenommen wird. „Ich habe es vorhin schon gesagt, aber ich sage es gerne noch einmal“ wiederholt sich Klein schon im Eingangsstatement und auch später in der Aussage. Er strapaziert immer wieder mit ausweichenden Anworten die Geduld der Abgeordneten.

Philipp Klein (Erster Kriminalhauptkommissar beim BKA)

Opfer einer Intrige?

Der 39-jährige Klein schildert sein Dilemma. Die Behauptung es habe ein Vieraugengespräch gegeben, sowie die Inhalte daraus könne er schwerlich widerlegen. Klein nimmt damit indirekt vorweg dass er bereit ist, Aussage gegen Aussage stehen zu lassen. Doch schon als es um das Vieraugengespräch geht, muss er einschränken. Er kann nicht ausschließen, dass ein persönliches Gespräch zwischen KHK M. und ihm stattgefunden habe. Vielleicht auf dem Weg zur Toilette oder auf dem Weg die Treppe hinunter.

Definitiv aber könne er ausschließen, dass es um die Inhalte gegangen sei – eine Weisung von ganz oben – die KHK M. in seiner Aussage geschildert hat. In anderen Punkten seiner Aussage argumentiert sich Klein vordergründig unangreifbar und verstrickt sich später doch in Widersprüche und Seltsamkeiten. Klein beharrt darauf, dass es kein Übernahmeersuchen gegeben hat und muss im Laufe der Aussage wieder einschränken und präzisieren. Die Protokolle aus dem GTAZ belegen ein Übernahmeersuchen.

Ein solches Ersuchen ist für Klein erst dann relevant, wenn es schriftlich vorgebracht wird. Obfrau Irene Mihalic (B90/Grüne) lässt diese Ausrede nicht gelten. Mihalic macht klar, dass im Gesetz ein Übernahmeersuchen an das BKA an keine spezielle Form gebunden ist. Für Klein ist es das Signal nun deutlich zu machen, dass er ein Übernahmeersuchen nur dann akzeptiert, wenn es von der Behördenleitung vorgebracht wird und nicht von einem Sachbearbeiter im GTAZ.

Klein gleitet in seinen Rechtfertigung zusehends ab. Die Abgeordneten wollen wissen, warum sich die Bundesebene nicht eingeschaltet hat als ersichtlich wurde, dass der spätere Attentäter über die Grenzen von Bundesländern hinweg agierte. Klein meint, das LKA NRW sei kompetent genug gewesen, um den Fall in eigener Zuständigkeit zu bearbeiten.

„Mit ihrer Argumentation könnte man den Paragrafen 4a aus dem BKA-Gesetz streichen“, hält Irene Mihalic die Gesetzesgrundlage vor, die Klein hätte wählen müssen. Eine Zuständigkeit seiner Behörde will dieser jedoch nicht sehen. Er konstruiert, es müssten schon mehrere Bundesländer beteiligt sein damit das BKA überhaupt tätig werden könne.

Die Faktenlage spricht gegen Kleins Ansicht: Bis zum Februar 2016 waren es bereits drei Bundesländer, in denen sich der spätere Attentäter bewegt hatte: Nordrheinwestfalen, Berlin und Niedersachen .

Sachkundige Ausschusskreise wundern sich zudem über die steile Karriere des BKA-Mannes Klein, der seit Einstellung in den gehobenen Polizeidienst im Jahr 2001 nach jedem Beurteilungstermin befördert wurde. Eine solche Karriere sei „mindestens ungewöhnlich“ und sorgt für Verwunderung angesichts der von Klein getätigten Aussagen.

Gegenüberstellung

Es ist ein neues Format, das gegen 21 Uhr 30 im Saal 4.900 des Bundestags zur Anwendung kommt. Der Ausschuss entscheidet sich für eine Gegenüberstellung der drei Zeugen dieses Tages. Ein Vorteil: Widersprüche können zeitnah diskutiert werden.

Philipp Klein passt seine Sprache an. Neben den klaren und strukturiert gewählten Worten von KHK M und dem ebenso sachlich agierenden Killmer, ist kein Platz mehr für Ausschweifungen und Wiederholungen. Wohl aber für eine gespielt wirkende Empörung, mit der Klein auf die Ausführungen von KHK M. reagiert, der nun direkt neben ihm sitzt.

KHK M. trägt sachlich und selbstkritisch vor. Bundesanwalt Killmer räumt ein sich nicht mehr an die Inhalte, wohl aber an einen sehr emotionalen und aufgewühlten KHK M. erinnern zu können, der ihm von einem äußerst problematischen Vieraugengespräch berichtet hat. Klein gerät zusehends unter Druck.

Kurz vor der Sitzung hatte das Rechercheteam des WDR aus E-Mails zitiert, die Klein nun belasten. Mit seinen Vorgesetzten Sven Kurenbach und Martin Kurzhals hatte Philipp Klein hochgradig emotional diskutiert. Von einem „Schlupfloch“ das geschaffen werden müsse war die Rede. Die VP-01 konnte man offenbar nicht gänzlich unglaubwürdig schreiben. Klein ließ sich jedoch weiter ein und bezichtigte im gleichen Mailaustausch das LKA NRW der „Lüge“, warf „hochgradig unprofessionelles“ Verhalten vor und schrieb von „Trostlosigkeit“ der Fakten des LKA NRW.

Klein argumentiert seine seltsam verzweifelt wirkende Wortwahl in den Bereich eines Jargons, den Kollegen untereinander pflegen würden und der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Auf Benjamin Strasser (FDP) wirkt das dokumentierte Verhalten Kleins im GTAZ und in den E-Mails geradezu bockig. Es könne schlicht nicht sein, dass eine Quelle zu zwei Anschlagssachverhalten zuverlässig Informationen liefere, war damals Kleins Linie.

„Das ist auszuschließen, sagt die Jungfrau bevor sie schwanger ist! Einmal ist immer das erste Mal!“, sei die Reaktion von Bundesanwalt Horst Salzmann darauf gewesen, beschreibt KHK M.

Wem glauben?

„Wenn ich das hier vergleiche mit dem was uns schriftlich vorliegt, ergibt sich aus den Schilderungen von Herrn M. ein in sich ein geschlosses Bild, ein Bild, das man nachvollziehen kann. Warum sollte Herr M. gelogen haben?“ eröffnet Fritz Felgentreu (SPD) dem Zeugen Klein eine Möglichkeit, seine unter Wahrheitspflicht getroffenen Aussagen zu revidieren. Klein nimmt diese nicht an und belässt es beim Stand Aussage gegen Aussage.

Die Selbstverständlichkeit mit der die Bundesregierung auch nach dieser Sitzung hinter den Aussagen von Philipp Klein steht, gibt Rätsel auf. Aus ihrer Sicht hat die Sitzung keinen Grund geliefert, um von der getroffenen Einschätzung abzuweichen.

Gegenüberstellung: Herr M. (Kriminalhauptkommissar beim LKA NRW / Leiter der EK Ventum), Philipp Klein (Erster Kriminalhautkommissar beim BKA) und Dieter Killmer (Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof)

UAPOD.Berlin – Folge 006 vom 29.11.2018

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Daniel Lücking

12. Sitzung am 29.11.2018 – Nicht schlüssig

Nicht schlüssig

Irgendetwas wird im Internet-Referat E6 im Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht. Am Ende des Sitzungstags ist klar: Relevante islamistische Gefährder sind es nicht

Informationen zu 81 Namen fragte der Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Attentat bei der Bundesregierung an. 42 weitere Namen gab das Innenministerium hinzu, weil man sie dort für relevant hielt. Die Namensliste der 123 klingt wie das Who’s Who der Islamistenszene. Neben Propagandisten der radikal-islamistischen Szene wird gegen einige Personen bereits im Abu-Walaa-Prozess ermittelt. Personen, die nach allgemeinem Verständnis zum Umfeld des Attentäters vom Breitscheidplatz gehörten.

Das Referat E 6 der Zeugin Cordula Hallmann kann nichts vorweisen. 123 Mal keine Erkenntnisse. 123 Mal keine Sammlung von Informationen in Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Nicht aus offenen Quellen wie der Kommunikation in Gruppen. Nicht aus Chats und anderem Nachrichtenfluss.

Zu den genannten Personen gab es in anderen Referaten des Verfassungsschutzes allerdings Personenakten, teilweise auch Verdachtsmomente. Oder es wurde mit klassischen nachrichtendienstlichen Mitteln an den Personen gearbeitet. Der spätere Attentäter selbst war elf Mal Thema im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ, doch offenbar erteilte niemand den Auftrag, Erkenntnisse zur Person im Internet zu sammeln.

„Maximal unglaubwürdig“, twittert die Obfrau der Linken Martina Renner. „Auf der Liste standen der IS-Prediger Abu Waala, der mutmaßliche Mittäter Bilel Ben Ammar, Kontaktpersonen aus der Fussilet-Moschee und viele andere mehr. Und zu denen will das BfV keine Erkenntnisse im Internet erhoben haben?“

Auch der Ausschussvorsitzende Armin Schuster ist irritiert, dass weder Facebook- noch WhatsApp-Accounts des Attentäters überwacht wurden. „Ich war sehr überrascht, dass das nicht zum Standardrepertoire gehört im Fall eines islamistischen Gefährders, der zwar einer von vielen war, trotzdem aber vom BfV selbst auch als herausgehoben bewertet wurde“, sagte Armin Schuster (CDU/CSU) nach der Sitzung. „Es wurde ja einiges unternommen wie die Vorlage von Lichtbildern. Und gerade weil diese Lichtbildvorlagen gescheitert sind, hätte ich mir bei so vielen Fragezeichen vorgestellt, dass man seine Kommunikation und Aktivitäten in sozialen Medien anschaut. Das hat mich sehr überrascht.“

Maximal unglaubwürdig

Nicht nur die prominenten Namen auf der Liste der 123 machen stutzig. Selbst der spätere Attentäter hatte bereits eine Gefängnisstrafe in Italien verbüßt und dort einen Eintrag in das Schengener Informationssystem erhalten. In Deutschland hatte er Kontakt zu Abu Walaa, der via Facebook, Youtube und Telegram predigt und schon deshalb ein Fall für den Arbeitsbereich der Zeugin Hallmann hätte sein müssen.

Darüber hinaus gab es Hinweise ausländischer Nachrichtendienste in Richtung der deutschen Behörden. Eigentlich genug Anlass, um alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle des späteren Attentäters zu überwachen sowie das sichtbare digitale Kontaktumfeld zu prüfen. Doch nach Aussage von Zeugin Hallmann passierte nichts dergleichen.

Weder per Hand noch automatisiert wurden die digitalen Kanäle überprüft, obgleich die Sicherheitsbehörden in Deutschland eine Reihe an Programmen zur Analyse digitaler Vernetzungen und Kommunikationskanäle nutzen. Darunter auch XKEYSCORE, das beim Verfassungsschutz angeblich nur in einem Testbetrieb lief, aber in den Jahren vor dem Attentat mit Daten aus dem Bereich des islamistischen Extremismus gespeist wurde, wie Martina Renner hervorhob.

Sichtlich ins Stocken geriet Zeugin Cordula Hallmann, als sie nach den Übersetzungskapazitäten ihres Referates bei den Sprachen Arabisch und Türkisch gefragt wurde. „Sie haben scheinbar nicht die Kapazitäten, die Top-50-Gefährder und Verdächtige mitzuplotten und zu schauen, was treiben die eigentlich?“, schließt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster. Als andere Erklärung bliebe nur die Annahme, dass die Online-Aktivitäten von islamistischen Gefährdern gar nicht beim Verfassungsschutz ausgewertet werden. Aber wo dann?

(Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zu Beginn des Sitzungsgeschehens der ehemalige Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja dem Ausschuss die Zustände im Landesamt für Gesundheit und Soziales im Jahr 2015 und 2016 erörterte und der angekündigte zweite Zeuge des Bundesamtes für Verfassungsschutz Carlo Macri nur in geheimer Sitzung vernommen werden soll.)

UAPOD.Berlin – Folge 005 vom 08.11.2018 – LAGeSo…lala

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking

  • Heute hörten wir zwei Zeugen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
    Frau Jaqueline Wagner und Herrn Michael Wolter.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Reduktion durch Redundanz“

11. Sitzung am 08.11.2018 – Reduktion durch Redundanz

Die große Koalition kocht derzeit ein ganz eigenes Süppchen. Ein kleines Kochrezept für die Reduktion von Medienöffentlichkeit rund um das Attentat vom Breitscheidplatz.

Ein Sitzungstag ‒ so vorhersehbar in den Abläufen wie in seinem Endergebnis. Ohne die achtköpfige Reisegruppe aus Münster wäre die Besuchertribüne mit kaum mehr als zehn Menschen gefüllt gewesen. Darunter bereits zwei Saalpolizisten. Auch Medienvertreter sind bei der Vernehmung der LaGeSo-Zeugen kaum zu finden. Ein freier Hörfunkjournalist der ARD und ein Journalist vom Hausmedium des Bundestags: Stammgäste auf der Tribüne.

Bei anderen Medien scheitert der Ausschuss. Das müsste so nicht sein und ist wohl der Taktik der CDU/CSU zu verdanken, die von der SPD mitgetragen und von der Opposition kritisiert wird. Als sich in den Pressegesprächen bei Linksfraktion und Grünen abzeichnet, dass in dieser Woche nur Wunschzeugen der Koalition öffentlich vernommen werden, winkt Redaktion für Redaktion ab.

Das Thema sei ohnehin nur schwer im Programm zu platzieren, ist zu vernehmen. Ohne den Verfassungsschutzzeugen in öffentlicher Sitzung lohne sich der Tag nicht. Zwei große Zeitungen kommen noch zum Pressehintergrundgespräch bei den Grünen, sparen sich dann aber den Weg in den Ausschuss. Zu Recht.

Es passiert wenig. Wenn überhaupt etwas zu Tage gefördert wird ‒ so weiß man aus den vergangenen Sitzungen ‒ dann erst, nachdem die Zeugen der Koalition gehört wurden. Zeugen, an denen sich die Abgeordneten der CDU/CSU langwierig abarbeiten. Zeugen, die wiederholen, was bereits in Expertenanhörungen im Mai über die Aufnahme von Asylbewerbern gesagt wurde: 2015 war die Erfassung der Geflüchteten ineffektiv und fehlerträchtig. Fingerabdrücke wurden mit Tinte und Papier erfasst und erst so spät digitalisiert, dass eine deutschlandweite Abfrage gar nicht möglich war. Mehrfacherfassungen kamen vor, auch weil Sprachmittler eben keine ausgebildeten Dolmetscher sind und es keine einheitlichen Regeln für die Übersetzung vom arabischen ins lateinische Schriftbild gab.

Aktualität

Auch in dieser Sitzung erläutern Zeugin und Zeuge ihre Routineaufgaben im Jahr 2015. Alles problematisch. Alles bedauerlich. Alles kritikwürdig. Aber eben auch alles schon mehrfach durch Experten beschrieben und längst Teil des Allgemeinwissens. Nachzulesen in der Presse und in Ausschussakten und Gutachten der Landesausschüsse.

Zeuge Michael Wolter hat sich mit einem Rechtsbeistand aus Potsdam ausgestattet. Nötig wäre das nicht gewesen, denn seine Arbeit hat er unter den damals gegebenen Bedingungen vorbildlich erledigt. Ob des irregeleiteten Gesprächsbedarfs der CDU/CSU kann die Begleitung aber nicht schaden. Obleute der Regierungsfraktionen und der AfD fragen ungläubig, warum Sprachmittler nicht vermerken, wenn bei der Ersterfassung von Geflüchteten der gesprochene Dialekt Zweifel an der angegebenen Herkunft nahelegen.

Wolter beschreibt den Fragenden, unter denen sich Juristen und Verwaltungshochschuldozenten befinden, dass ein Sprachmittler, der in der Ersterfassung arbeitet, eben kein amtlich vereidigter Übersetzer ist, wie sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Einsatz kommen. Für eine rechtsverbindliche Aussage sind Sprachmittler nicht hinreichend qualifiziert.

Seine Kollegin Jacqueline Wagner beschreibt, dass sie zu viele Fälle pro Tag bearbeiten musste und hätte gerne die notwendigen zwanzig Minuten Bearbeitungszeit pro Fall gehabt. Doch es musste schnell gehen. Als Sachkundige waren beide zudem sehr bald dafür zuständig, Hilfskräfte bei den Erfassungsprozessen anzuleiten.

Nun sitzen Wagner und Wolter vor dem Ausschuss, weil ihre Computeraccounts von eben diesen Hilfskräften mitbenutzt worden waren. Hilfskräfte, die teilweise auch aus dem Wachbataillon der Bundeswehr kamen, während sich an anderer Stelle in Deutschland ein offenbar rechtsradikaler Soldat unter die Asylantragstellenden mischte und wohl das Ziel verfolgte, einen Anschlag zu begehen, der dann den Geflüchteten untergeschoben werden sollte. Filmstoff, den sich niemand ausdenken kann.

Dienste schützen um jeden Preis

Aus gesundheitlichen Gründen war Verfassungsschutzzeuge Eric Rehnsdorf eine öffentliche Vernehmung nicht zuzumuten, heißt es. Ohnehin lohne sich eine auf zwei Stunden limitierte öffentliche Vernehmung ob der zu erwartenden langatmigen, oft plump durchgeführten CDU/CSU-Verzögerungsspielchen nicht.

Hinter verschlossenen Türen hörte der Ausschuss dann erneut den Zeugen Gilbert Siebertz und hofft auf eine zeitnahe Genesung von Rehnsdorf. Nach der nächsten Sitzung am 29.11.2018 blicken die Parlamentarier auf neun Monate Ausschussarbeit zurück und können einige wenige Erkenntnisse aus den Befragungen von Oppositionszeuginnen verzeichnen, dafür aber reichlich haarklein sezierte und dokumentierte Routinevorgänge deutschen Verwaltungshandelns. Aufklärung geht anders.

Parteiinteressen versus Aufklärung

Derweil hofft die AfD-Fraktion darauf, wieder einmal Stimmung gegen Kanzlerin Merkel machen zu können. Zu spät hätte man sich um die Digitalisierung gekümmert, die es erst 2016 möglich machte, Finger- und Handabdrücke zu erfassen. Die immer wieder ausgelegten Einladungen der AfD, doch mal richtig auf die Kanzlerin und die Willkommenskultur zu schimpfen, ignorieren die Behördenmitarbeiter_innen überwiegend und bleiben neutral.

Ordentlich Jagdtrieb legen Linke, Grüne und auch die FDP an den Tag, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Niema Movassat fragt noch pflichtschuldig nach eventuellen Kontakten zu Nachrichtendiensten, was jedoch verneint wird. In anderen Sitzungen bringt es Movassat aber auch schon einmal schnell auf den Punkt: „Wir haben keine Fragen in öffentlicher Sitzung.“

Das ist kein Desinteresse. Zu oft schon hatten die Zeugen der Koalition bereits nach 15 Minuten erschöpfend Auskunft erteilt, um daraufhin weitere 15 Minuten paraphrasierte Fragen zu beantworten und sich in der restlichen Zeit sichtlich zu wundern, warum sie immer noch befragt wurden. Schließlich hatten sie doch ihre Aussage bereits vor den Landesuntersuchungsausschüssen in NRW oder Berlin gemacht.

Die Vertreter der SPD tragen die schlecht getarnte Verzögerungstaktik der CDU/CSU mit und verzichten fast gänzlich auf die Jagd. Ein bisschen Empörung ob des Verfassungsschutzpräsidenten – Pflichtprogramm als Sidekick für die Partei, die hier den Ton angibt.

Fehlgeleiteter Unions-Elan

So leidenschaftlich und hartnäckig sich die Unionsparteien mit den Routinevorgängen befassen, so still sind sie, wenn es darum geht, über ihre Ausschussarbeit zu sprechen.

Eine proaktive Pressearbeit findet rund um den Ausschuss seitens der ansonsten umtriebigen CDU/CSU nicht statt. Rund 700 Pressemeldungen pumpte die CDU/CSU im Jahr 2018 bisher in die Postfächer der Abonnenten. Pressemeldungen zum Untersuchungsausschuss sucht man vergebens, seit dieser im März 2018 angekündigt wurde. Im Kontext „Untersuchungsausschuss“ gibt es auf der Presseseite der Union zwar reichlich Treffer, jedoch eben nur in Bezug auf den geforderten Ausschuss zum BAMF, der sich mittlerweile als Luftnummer aus dem rechtskonservativen Lager herausstellte.

Auch auf den Twitteraccounts der ansonsten mitteilungsfreudigen Unionsabgeordneten ist kaum etwas zu finden. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster nutzte das Thema im Oktober kurz, um dem mittlerweile Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen beizuspringen. Im September verteidigte Schuster den mittlerweile als Verschwörungstheorethiker enttarnten Maaßen noch anlässlich einer Untersuchungsausschusssitzung und forderte die anwesenden Journalist_innen zu „einem fairen Umgang“ auf.

Das Beharren auf der chronologischen Aufarbeitung aller Stationen des späteren Attentäters wird dafür sorgen, dass erst in einigen Monaten, vielleicht auch erst im Jahr 2020 das Geschehen am Anschlagstag im Ausschuss zum Thema wird. Ganz schön unfair, falls der immer wieder drohende Koalitionsbruch irgendwann zu Neuwahlen führt und damit der Untersuchungsausschuss enden würde.

 

UAPOD.Berlin – Folge 004 vom 18.10.2018 – Mitarbeiter des Monats

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Daniel Lücking

  • Wir hörten dieses mal die Zeugen Andrea Hilpert-Voigt und Harald Bohn aus dem Regierungspräsidium Stuttgart und Thilo Bork vom Bundesamt für Verfassungsschutz.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Schrödingers Verfassungsschutz“

[Episode NULL] UAPOD.Berlin – Hallo aus dem Bundestag

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Daniel Lücking
Links zur Sendung:

  • Bundestag – 1. Untersuchungsausschuss
    Ein Service des Deutschen Bundestags. Hier findet ihr Tagesordnungen, Gutachten, sowie Informationen über die Obleute und Abgeordneten. Die Abteilung Presse und Kommunikation stellt Kurzartikel zum Sitzungsgeschehen zur Verfügung.
  • Expertenanhörung „Vollzug des Aufenthalts- und Asylrechts im föderalen Gefüge“, Aufzeichnung vom 19.04.2018
  • Expertenanhörung „Gewaltbereiter Islamismus und Radikalisierungsprozesse“, Aufzeichnung vom 26.04.2018
  • Expertenanhörung „Förderale Sicherheitsarchitektur“ , Aufzeichnung vom 17.05.2018
  • Anmeldung zur Sitzungsteilnahme als Zuschauer_in unter 1.untersuchungsausschuss@bundestag.de