Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Verfassungsschutz (Seite 1 von 2)

33. Sitzung am 19.12.2019 – Unangenehm

Behördenversagen trifft auf den Wunsch nach Beschaulichkeit. Während die Opposition kritisch Bilanz zieht, vermeiden die Regierungsparteien Kritik

Zur Halbzeit der Legislaturperiode zog die Bundesregierung im November 2019 mit großem Bahnhof eine Zwischenbilianz des Regierungshandelns. Um den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Attentat indes, blieb es still. Die Oppositionsparteien FDP, Bündnis90/Die Grünen und die Linke durchbrachen diese Stille und setzten rechtzeitig vor dem Jahrestag am Mittwoch eine einstündige Zwischenbilanz an, an der sich die Parteien der großen Koalition jedoch nicht beteiligten.

Der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler (CDU) hält das für zu früh, wie er in einem Interview im ZDF Morgenmagazin vorab rechtfertigt. Man sei mitten in der Arbeit. Ein Zwischenergebnis sei derzeit nicht angebracht, „weil man sich durch so ein Zwischenergebnis möglicherweise auch bestimmte Fragestellungen verschüttet.“

Eine Kritik, dass der Untersuchungsausschuss weiterhin auf Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz wartet, die längst vorliegen müssten, kommt Klaus-Dieter Gröhler nicht über die Lippen.

Timing

Pflichtschuldig meldet sich Fritz Felgentreu dann am Jahrestag des Attentats mit einer Pressemeldung zu Wort, als das Thema in den Redaktionen entweder schon produziert ist oder nur noch auf die aktuellen Bilder aus der Gedenkveranstaltung des Abends warten muss.

„Wir konnten entgegen früherer Verlautbarungen weitere Belege sammeln, dass Amri kein klassischer Einzeltäter und auch kein ‚reiner Polizeifall‘ war. Amri war in länderübergreifende islamistische Netzwerke eingebunden. Unsere Nachrichtendienste hatten Erkenntnisse über ihn“, formuliert Fritz Felgentreu, was in der Pressekonferenz von FDP, B90/Grüne und Linken deutlich als Versagen der Bundesbehörden dargestellt wurde.

Eine proaktive und zeitgerechte Pressearbeit – abseits von den obligatorischen Bekundungen von Anteilnahme zum Jahrestag – vermieden die Regierungspateien.

Versagen auf Bundesebene

Am Jahrestag des Anschlags ist es Polizeioberrat Youssef El-Saghir vom Landeskriminalamt Berlin, der zum Behördenversagen aussagen muss. Die Fragestellungen der Obleute kreisen vor allem um eine Personenenüberprüfung des späteren Attentäters am 18. Februar 2016. Zunächst rechtfertigt sich El-Saghir, das LKA Berlin habe zu spät davon erfahren, dass man den späteren Attentäter observieren, aber nicht direkt ansprechen solle. Eine explizite Order habe es erst knapp eine Stunde nach dem Zeitpunkt gegeben, als Berliner Polizeikräfte den späteren Attentäter am Zentralen Omnibusbahnhof ZOB bereits kontrolliert und sein Handy beschlagnahmt hatten.

Es ist das penibel geführte Einsatztagebuch des NRW-Beamten KHK M., aus dem die Obleute nun aber belegen konnten, dass die Information über die Gefährlichkeit des späteren Attentäters, sowie dessen Berlinpläne bereits am Vortag in der Sitzung des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ ein Thema waren. In einer Infoboard-Runde wurde darüber gesprochen, dass Observation, aber kein Zugriff erfolgen sollte.

El-Saghir entschuldigt den Zugriff nicht zuletzt auch damit, man habe nicht rechtzeitig Observationsteams bereitstellen können. Die mangelhafte und zu späte Weitergabe der Information durch den Beamten C. und den zuständigen Infoboard-Bearbeiter, kann er nicht erklären.

Klare Worte

„Der Tag am ZOB hat viel mehr Bedeutung bekommen, als der eigentlich verdient“, rechtfertigte El-Saghir noch zu einem frühen Zeitpunkt seiner Aussage. „Ich war durchgängig der Ansicht, dass der Willen einen Anschlag zu begehen keine Konstante darstellte“, erklärt er das abnehmende Interesse am späteren Attentäter im Laufe des Jahres 2016.

Im Mittlerweile dritten Untersuchungsausschuss fallen aber auch Worte, die immerhin nicht mehr zum Ziel haben, Fehler zu vertuschen: „Die Liste an Versäumnissen, wenn Sie die vorlesen würden, würde den heutigen Tag sprengen“, räumt El-Saghir schuldbewußt ein.

Trotzdem bleibt die Häufung von Fehleinschätzungen unerklärlich. Aus der Telefonüberwachung des späteren Attentäters geht hervor, dass sich dieser nach dem Zugriff am ZOB der polizeilichen Überwachung bewusst war. Als am 18. Februar 2016 das LKA NRW noch versuchte, genaueres zur Reiseroute des späteren Attentäters in Erfahrung zu bringen, musste die VP 01 ein Telefongespräch führen. Der wenig später erfolgende Polizeizugriff enttarnt die VP-01, die danach nicht mehr einsetzbar ist. „Das LKA hat auf mich gewartet in Berlin“, ist in den Protokollen der Telefonüberwachung zu finden. Der spätere Attentäter wechselte daraufhin seine Telefone und informiert seine Kontakte.

„Die Idee eine eigene VP ins Rennen zu bringen, die stand nicht zur Debatte, weil mehr als die VP-01 hätte niemand zu Tage bringen können“, gibt El-Saghir zu Protokoll. „Im Nachhinein betrachtet, wäre es eine sinnvolle Maßnahme gewesen.“

Youssef El-Saghir (Polizeioberrat | LKA Berlin)

Bundesverantwortung

So bereitwillig der Polizeioberrat El-Saghir die Versäumnisse einräumt, so deutlicher macht er, dass spätestens nach der Polizeiaktion vom 18. Feburar 2016 hätte klar sein müssen, dass der Fall späteren Attentäters zwischen den Länderpolizeien nicht effektiv gehandhabt werden kann. Die deutsche Quelle VP-01 war verbrannt. Der Nachrichtenmittler Anis Amri, der wohl am nächsten am IS-Statthalter Abu Walaa dran war, tauchte zumindest digital ab und änderte sein Verhalten, wie es das IS-Handbuch rät.

Verantwortung und AufklärungEl-Saghir bittet nach dem Ende der Sitzung eines der Opfer des Anschlags um Verzeihung. Auch der Behördenleiter zeigte sich vor dem Untersuchungsausschuss reumütig.
Zwei weitere Kollegen des LKA Berlin verweigern die Aussagen vor dem Untersuchungsauschuss, um sich nicht zu belasten. Sie fürchten die erneute Aufnahme von Ermittlungen wegen mutmaßlicher Aktenmanipulationen. Eine Woche zuvor sah mit dem Zeugen Philipp Klein ein Beamter des Bundeskriminalamtes keine Veranlassung für eine Ermittlungsgruppe auf Bundesebene. Die Bereitschaft sich zu einer Mitverantwortung zu bekennen variiert stark. Das fangen auch die Solidaritätsbekundungen aus Regierungsparteienkreisen anlässlich des dritten Jahrestages nicht auf.

29. Sitzung am 24.10.2019 – Lukrative Spitzeldienste

Zu später Stunde nutzt Martina Renner die Gelegenheit, einen V-Mann-Führer eindringlich zu befragen und zeigt Probleme beim V-Mann-Wesen auf.

Was ein Spitzel für Polizei und Verfassungsschutz so verdiene, weiß Martina Renner (Linke) eigentlich bereits aus ihrer Erfahrung rund um die NSU-Ausschüsse. „Also bei zwölf Treffen jeweils rund 200 Euro steuerfrei abgreifen?“ rechnet Renner vor. Zeuge VPF-2 ist Vertrauenspersonenführer bei der Polizei NRW und darf auf diese Fragen nach der nachrichtendienstlichen Methodik nicht antworten.

Die Reaktionen im Saal auf diese und andere Fragen sprechen Bände. David Diehl vom Bundeskanzleramt verkrampft sichtlich in seinem Stuhl, blickt angespannt herüber zu den Vertretern des Landes NRW, wenn diese eigentlich intervenieren müssten. Auf Seiten der Regierungsparteien ist es Volker Ullrich (CSU), der sich hörbar über die Fragen von Martina Renner echauffiert. Auch aus Reihen der SPD gibt es störendes, deutlich wahrnehmbares Gemurmel.

Martina Renner lässt sich nicht verunsichern. Wenn sich Herr Ullrich mal so intensiv mit dem Thema V-Mann-Wesen befasst hätte, wie sie das seit Jahren tue, dann wäre ihm klar, dass es keine haltlosen Spekulationen seien, mit denen sie an diesem Abend aneckt, gibt Renner zu Protokoll.

Ungeschwärztes

Martina Renner führt aus, was sich aus den Akten des OLG Celle zum Abu Walaa-Prozess schließen lässt. Akten, die offenbar nur wenig geschwärzte Anteile enthielten und offen legen, dass mindestens vier Vertrauenspersonen der Behörden in der Szene eingesetzt waren. Die zwölf Treffen der VP-01, an denen Informationen geliefert wurden, summieren sich nach Renners Erfahrungen auf 2400 Euro. Steuerfrei. Renner konfrontiert weiter.

Der Adressat ist dabei weniger die VPF-2, als die anwesenden Vertreter aus Regierungsbehörden. Sie stellt die Frage, wie bei einer derartigen Einnahmehöhen die Tätigkeit der Vertrauenspersonen noch in Einklang mit Vorschriften zu bringen ist, über die nur so viel bekannt ist, dass die Einnahmen nicht zum Haupterwerb der Spitzel werden dürfen.

Renner fragt, wie es sein kann, dass mit Geldern der Behörden eine Art Tarnfirma aufgebaut wurde, in der die Vertrauenspersonen beschäftigt waren. Antworten erhält sie nicht, aber die Fragestellungen verdeutlichen die Probleme, die das Spitzelwesen aufwerfen.

„All das sind Erfahrungswerte aus den letzten Jahren,“ macht Martina Renner deutlich. „Wenn es um V-Leute geht, gibt es immer wieder Anzeichen dafür, dass der angebotene Spitzellohn eine Nachfrage schafft. Das wirkt sich natürlich auf die Qualität der Informationen aus. Die dauerhafte Alimentierung ist prinzipiell untersagt. Wenn aber eine Quelle im Umfang liefert, wie die VP-01 und über zehn Jahre für die Behörden aktiv ist, dann muss das hinterfragt werden.“

Stelldichein der Vertrauenspersonen

Insgesamt vier Vertrauenspersonen hatten nach den Unterlagen des OLG Celle im Umfeld des späteren Attentäters zu tun. Lediglich jedoch die VP-01 lieferte Informationen. Für den V-Mann-Führer VPF-2 war das keine Auffälligkeit. Schließlich sei die VP-01 aufgrund der speziellen persönlichen Fähigkeiten zum Einsatz gebracht worden. Ursprünglich habe man mit VP-01 nur im Bereich der organisierten Kriminalität zusammengearbeitet.

Ein weiterer Verdacht steht an diesem Abend im Raum. Gab es eine Beteiligung eines Geheimdienstes – z.B. des Verfassungsschutzes – beim Einsatz der VP-01. Für den Vertrauenspersonenführer VPF-2 ist das undenkbar. VPF-2: Der Terminus drückt aus, dass eine Vertrauensperson immer mit mehreren Vertrauenspersonenführern zusammenarbeitet. Im Fall der VP-01 waren insgesamt 3 Vertrauenspersonenführer im Einsatz. Urlaubs- und krankheitsbedingt wechselte man sich ab. Für sein Kollegen legt VPF-2 seine Hand ins Feuer, das ein Kooperation mit Geheimdiensten nicht stattgefunden habe.

Ebenfalls habe es keine Doppelung des Mobiltelefons gegeben, dass die VP-01 zusammen mit dem späteren Attentäter beschafft hatte.

Entschlossen zur Tat

Schon Ende 2015, als der spätere Attentäter in dschihadistischen Kreisen in Deutschland auftauchte, fiel er der VP-01 ins Auge. Zunächst habe es eine Sprachbarriere gegeben, da die VP-01 nicht arabisch spräche, führt der VPF-2 aus. Die Absicht einen Anschlag zu begehen und die Radikalität im Auftreten seien aber sofort Anzeichen gewesen, dass man es mit einem relevanten Gefährder zu tun habe. Die VP-01 baute den Kontakt zum späteren Attentäter schnell aus.

Fahrten mit dem Auto von NRW zum Besuch von Abu Walaa in Hildesheim und die Unterstützung beim Kauf eines Mobiltelefons sind dokumentiert. Spätestens aber wenn es um Dienste als Sprachmittler bei Behördengängen geht, wird die Rolle der VP-01 deutlich fragwürdig, denn das Engagement führte dazu, dass der spätere Attentäter zusätzliches Geld erhielt.

Auch muss es mehrere Straftaten gegeben haben, die die VP-01 begangen hat. Genaue Angaben dazu sind in öffentlicher Sitzung nicht möglich, denn sie würden die Enttarnung der VP-01 ermöglichen.

So ungeklärt, die die Frage nach der Henne und dem Ei bleibt auch die Frage, ob die VP-01 die Radikalisierung des Attentäters beobachtete oder beförderte. Der spätere Attentäter war zunehmend eingebettet in ein Umfeld dem er vertrauen konnte und vertrauen sollte. Ein Umfeld, das Straftaten begehen konnte, jedoch keine nennenswerten Strafen dafür erfuhr und stets mit Geld- und Transportmitteln ausgestattet war.

LKA Berlin


Der Ausschuss befragte an diesem Tag auch den Ermittler des LKA Berlin Kriminaloberkommissar G.K. zu seinen Wahrnehmungen entlang des Falles. G.K. war 2015 mit erstmals mit dem Fall des späteren Attentäters befasst und erkannte sogleich die Brisanz. Damals 25 Jahre alt, sollte G.K. erstmals einen Fall eigenverantwortlich bearbeiten und die Ermittlungen leiten. Dies lehnte G.K. jedoch ab und bat darum, nicht hauptverantwortlich zu sein. Seine Aussage verläuft kooperativ, aufgeschlossen und bemüht, die Fragen der Obleute bestmöglich zu beantworten.

Ähnlich gewissenhaft führte G.K. die Vernehmung von Bilel ben Ammar durch, als sich dieser im Februar 2016 für einen Handydiebstahl verantworten musste. Rund 23 Seiten Vernehmungsprotokoll entstanden laut Irene Mihalic (Grüne) geradezu vorbildlich: „Langsam komme ich zu dem Schluss, dass er die Leitung besser übernommen hätte. Denn so aufgeräumt und motiviert wie er waren seine Kollegen offenbar nicht“, twittert Mihalic.

Immer wieder Rechtsradikale

Irene Mihalic ist verwundert, wie das LKA Berlin beim durch ben Ammar gestohlenen Handy zwar eine Auswertung vorgenommen hat, jedoch nach der Auswertung nicht weitere Ermittlungsansätze verfolgte. Auf dem Handy fanden sich Bezüge zur rechtsradikalen Szene. Nachrichten, die mit „Sieg heilchen“ unterschrieben waren, sowie Bilder der Reichskriegsflagge zogen aber keine erkennbaren Ermittlungen nach sich.

Immer häufiger entwickeln sich rund um das Breitscheidplatzattentat Schnittmengen zwischen Rechtsradikalismus und Dschihadismus. Die augenfälligsten bereits am Tatabend, als der Straftäter, Rechtspopulist und Pegidainitiatior Lutz Bachmann von einem tunesischen Moslem erfahren haben wollte, seinen Tweet dazu aber recht bald wieder löschte. Auffällig ist auch, dass die Tatwaffe, mit der der Attentäter den LKW-Fahrer erschoss aus derselben Charge stammt, wie eine Waffe des NSU-Trios.

Auch Bezüge zu den Attentätern in Paris wurden durch die Protokolle aufgezeigt, mit denen die Obleute arbeiten konnten. Bekannt ist, dass in Frankreich ein Mitglied der Identitären Bewegung Waffen an Dschihadisten verkauft hat, die 2015 bei einem Anschlag verwendet wurden.

Team Demokratische Opposition

Die Fragen der Regierungsparteien sind beim Zeugen VPF-2 deutlich früher zu Ende, als das beim Berliner LKA-Zeugen der Fall gewesen ist. Konstantin von Notz (Grüne) wundert sich, wie es sein kann, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Behördenzeugnis ausstellte, aber die relevanten Vertrauenspersonenführer dazu weder befragte, noch beteiligte. Der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler greift harsch ein, mokkiert das Redezeitende und lässt das Fragerecht zur FDP wechseln. Nahtlos setzt Benjamin Strasser (FDP) fort und verhindert so, dass der aufgebaute Druck verpuffen kann.

Strasser will auch wissen, warum man im LKA NRW den späteren Attentäter eindeutig als Gefährder erkannte, das Bundeskriminalamt jedoch in Person des Kriminalhauptkommissars Rehkopf „erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit“ der Quelleninformationen hegte. VPF-2 führt das darauf zurück, dass Aktenstudium allein nicht ausreichend sei, um die Qualität der Quelleninformationen zu bewerten.

Der Vollständigkeit halber

Mit dem Zeugen Kriminalhauptkommissar K. aus dem LKA NRW befasst sich der Ausschuss nur rund sechzig Minuten. K. war im Rahmen der Wochenendbereitschaft im Einsatz, als sich der spätere Attentäter Ende Juli 2016 von Berlin auf den Weg zur deutsch-schweizerischen Grenze auf machte, um das Land zu verlassen. Da zu diesem Zeitpunkt die Bearbeitung des Falles zwischen LKA Berlin und LKA NRW wechselte, wurde aus Berlin die Telefonüberwachung des späteren Attentäters gesteuert.

Dort entschied sich dann auch ein Oberstaatsanwalt für zwei Szenarien. Eine Ausreise in das europäische Ausland könne problemlos erfolgen. Eine Ausreise in Richtung Türkei indes, bei der eine Weiterreise nach Syrien nahe gelegen hat, hätte verhindert werden sollen. Die Überwachungsprotokolle legen nahe, dass der spätere Attentäter nach Tunesien zurückkehren wollte.

Als er in Friedrichshafen aufgegriffen wurde, führte er zwei Sätze an italienischem Passpapiere mit sich. Der Gewahrsam dauerte jedoch nur kurz an. Zum Erstaunen der NRW-Beamten und des späteren Attentäters, der geradezu enthusiastisch die Polizeidienststelle verlassen habe.

28. Sitzung am 17.10.2019 – Hauptsache weg

Gefährder abgeschoben – Terrorgefahr gebannt? Im Innenministerium war man davon überzeugt und verzichtete auf die Strafverfolgung eines möglichen Mittäters.

Die Zeugen Dr. Günter Drange, Jens Koch und Dr. Emily Haber sagen zu ihrer Tätigkeit im Innenministerium im Januar 2017 nahezu übereinstimmend aus. Wenige Tage nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz war handeln angesagt. Der öffentliche Druck die insgesamt 360 ausreisepflichtigen dschihadistischen Gefährder schnellstmöglich abzuschieben, sei groß gewesen.

Strafverfolgung? Nein!

Einhellig berichten die drei Zeugen des Tages, dass sie von den nachlässig geführten Vernehmungen des möglichen Komplizen Bilel ben Ammar nichts gewusst und die Protokolle nicht gelesen hätten. „Wer bin ich denn, dass ich das überpüfe“, meint Jens Koch und erfährt von Irene Mihalic (Grüne): „Sie sind die zuständige Fachaufsicht“.

Jens Koch, BMI


Eiligst wurden Passersatzpapiere beschafft und auf die zuständigen Behörden eingewirkt Abschiebungen durchzuführen. „Ich vermute, dass sie konstruktiven Druck ausgeübt hat“ äußert die ehemalige Staatssekretärin Haber sich zum Verhalten einer Mitarbeiterin ihres Hauses.

Abschiebung vor Strafverfolgung – wie kurzsichtig diese strategische Entscheidung ist, führen im Laufe der Sitzung die Obleute von FDP, Grünen und Linke den weiterhin gänzlichen von sich überzeugten Zeugen vor Augen.

Während dem Untersuchungsausschuss ein rund dreißigseitiges Vernehmungsprotokoll ben Ammars vorliegt, in dem es um einen Handydiebstahl geht, der im Jahr vor dem Anschlag untersucht wurde, wirken die Vernehmungen nach dem Terroranschlag auf Martina Renner (Linke), als „wären sie von einem Polizisten aus einer mittleren Kleinstadt durchgeführt worden“.

Die wenigen Seiten an Vernehmungsprotokollen lassen darauf schließen , dass niemand im Bundeskriminalamt ernsthaft ermitteln sollte. Benjamin Strasser (FDP) arbeitet die zeitlichen Abläufe heraus, die nahelegen, dass schon nach der ersten Vernehmung kein Interesse mehr bestanden haben kann, den möglichen Komplizen ben Ammar vor Gericht zu bringen.

Provinzielle Perspektiven
Dem international agierenden Dschihadismus hatte das Innenministerium offenkundig wenig entgegen zu setzen. Die zeitlichen Abläufe wirken geradezu panisch. Auf Nachfragen der Obleute gestehen Drange und Koch ein, dass der Fall des möglichen Komplizen ben Ammar für sie mit der Abschiebung beendet war. Eine Koordinierung mit Tunesien, wie vor Ort mit dem Gefährder und möglichen Terroristen umgegangen wird, gab es nicht. Man wolle sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen und der Fall sei mit Abflug aus Deutschland quasi erledigt. Was aus ben Ammar nach der Abschiebung wurde, musste die Bundesregierung zu Anfang dieses Jahres erst wieder in Erfahrung bringen.

Dr. Drange, BMI

„Aus den Augen, aus dem Sinn? Und was machen Sie, wenn ein abgeschobener Gefährder dann in Djerba ein Attentat auf deutsche Touristen verübt?“ konfrontiert Martina Renner die sichtlich desinteressierten Beamten.

Kein Attentat mehr auf deutschem Boden, scheint die Devise gewesen zu sein. Perfide: mit der Abschiebung nach Tunesien oder in andere Herkunftsländer werden die abgeschobenen Gefährder möglicherweise zu wichtigen Multiplikatoren und können, mit Orts- und Strukturkenntnissen ausgestattet, die nächste Generation von Attentätern ausbilden.

Die überhastete Abschiebung wäre nicht nötig gewesen, wie Konstantin von Notz (Grüne) der ehemaligen Staatssekretärin (heute deutsche Botschafterin in den USA) vorhält. Nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft hätte ben Ammar für mindestens sechs Monate aufgrund der in seinem Fall vorhandenen Bewährungsstrafen in Haft genommen werden können. Zeit genug, um Asservate auszuwerten, die auf eine Mitwisserschaft und mögliche Beteiligung am Anschlag hindeuteten.

Dr. Emiliy Haber, BMI

Versäumnisse

Überzeugt trägt Emily Haber vor, alles getan zu haben, was nach damaligen Kenntnisstand möglich und sinnvoll gewesen sei. Die Arglosigkeit gegenüber dem Bundeskriminalamt BKA, das nach der ersten nachlässig geführten Vernehmung signalisierte, aus ben Ammar sei nichts heraus zu bekommen, beeindruckt.

Das blinde Vertrauen in den damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der Haber „konsistent dargestellt“ habe, keine V-Leute im Umfeld des Attentäters platziert zu haben, wird ihr an diesem Abend durch Konstantin von Notz genommen: „Wussten Sie, dass der Verfassungsschutz seit Oktober 2018 eine Quelle im Umfeld des Attentäters geführt hat?“ Haber verneint kleinlaut. Die mittlerweile haltlose Darstellung Maaßens, es habe sich um einen „reinen Polizeifall“ gehandelt, hatte Haber offenbar stets akzeptiert.

Informationsflüsse

Auch im Innenministerium in Berlin will man erst am späten Nachmittag des Folgetages von der Identität des Attentäters erfahren haben. In Köln scheint diese Information schon am frühen Morgen – „es war noch dunkel“ sagte Polizist E. vom Landeskriminalamt NRW aus – verfügbar gewesen zu sein. Die Rolle des dort ansässigen Bundesamt für Verfassungsschutz, sowie das Handeln des damaligen Behördenleiters Hans-Georg Maaßen wird mit jeder Ausschusssitzung fragwürdiger.

Zur Einsetzung der ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiterin Eva H., die zunächst die Rolle von Dr. Michael Vogel vom Bundesinnenministerium inne hatte, konnte an diesem Tag wenig Neues in Erfahrung gebracht werden. Wegen ihrer direkten Befassung mit dem Umfeld des Attentäters musste Eva H. nach rund sechsmonatiger Mitarbeit Anfang Oktober 2018 den Untersuchungsausschuss verlassen. In Zeugenanhörungen hatte Eva H. insbesondere bei Verfassungsschutzzeugin Lia Freimuth überdeutlich interveniert.

Blindes Vertrauen in das Bundesamt für Verfassungsschutz, das schon im Bereich des Rechtsterrorismus beim NSU demonstriert hat, terroristische Strukturen oft eher zu befördern, als zu verhindern, scheint beim Innenministerium weiterhin an der Tagesordnung zu sein.

Geheimdienstvideo

Am Rande beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss nun auch mit einem Drohvideo des Attentäters, das drei Wochen vor der Tat aufgenommen wurde und dem Verfassungsschutz, BND und BKA am 30.12.2016 vorlagen. Noch unklar ist, welcher ausländische Geheimdienst das Video übermittelt hat und auf welchem Wege man an das Video gelangte. Es handelt sich offenbar um ein Handyvideo, das mit einem noch unbekannten Gerät aufgenommen oder aus einem Internetstream mitgeschnitten geschnitten wurde.

Fakt ist, dass die Bundesregierung den Untersuchungsausschuss derzeit nicht dabei unterstützt in Erfahrung zu bringen, wann dieses Drohvideo vorgelegen hat. Man weigert sich, beim ausländischen Partnerdienst nachzufragen. Zur versprochenen Aufklärung taugt ein solches Verhalten nicht.

UApod.berlin – Folge 022 vom 17.10.2019

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Daniel Lücking
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Stella Schiffczyk

In dieser Folge geht es um drei ZeugInnen vom BMI. U.a. die Staatssekretärin Dr. Emiliy Haber wird über die mögliche Mittäterschaft Bilel Ben Ammars am Anschlag befragt.

In den Statements dieses Mal Irene Mihalic (Die Grünen) und Benjamin Strasser (FDP) über das kürzlich aufgetauchte Bekennervideo des Täters.

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19. Sitzung vom 21.03.2019 – Ambition trifft auf Realität

Ein Tagesprogramm mit vier Zeugen war geplant. Namentliche Abstimmungen schrumpfen die Zeugenliste auf zwei Zeugen zusammen.

Obwohl der Sitzungsbeginn vorverlegt worden war, konnte das angestrebte Tagesprogramm im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss nicht erfolgreich umgesetzt werden. Die vierstündige Unterbrechung, bedingt durch namentliche Abstimmungen, reduzierte dann auch die Öffentlichkeit auf der Besuchertribüne merklich.

Zu Sitzungsbeginn sind immerhin gut 30 Menschen auf der Tribüne, darunter auch Medien des tagesaktuellen ARD-Hörfunks und der Deutschen Welle. Als der Ausschuss am Abend fortsetzt, sind unter den verbliebenen zehn Besucher_innen nur noch freie Journalist_innen, eine dpa-Reporterin, Vertreter von Print- und Onlinemedien und ein Überlebender des Anschlags.

Aus Marokko angereist

Offen und auskunftsfreudig tritt Robin O. Debie vor dem Ausschuss auf. Der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes BKA ist in Rabat eingesetzt und seit mehreren Jahren für Marokko und Mauretanien verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehört der vertrauensvolle Austausch mit den lokalen Polizeibehörden und Inlandsgeheimdiensten. Debie macht präzise Angaben zu seinem Job. Etwa 65 Prozent seiner Arbeit entfielen auf islamistischen Terrorismus und rund 20 Prozent auf Rauschgiftkriminalität. Hinzu kommen Zielfahndungen und Ausbildungsmaßnahmen, beschreibt der Beamte.

Debie genießt nach vier Jahren im Land das Vertrauen der marokkanischen Dienste. Das Land beschreibt er als relevanten Zulieferer von Sicherheitsinformationen. Im Gespräch mit Martina Renner (Linke) wird deutlich, dass es in den vergangenen Jahren ernstzunehmende Hinweise aus Marokko gab, die konkrete Maßnahmen in Deutschland nach sich zogen. Debie bejaht, als Martina Renner von der Räumung von Bahnhöfen oder anderen Verkehrspunkten spricht.

Hochwertige Hinweise

Robin O. Debie (BKA Verbindungsbeamter in Rabat/Marokko)

Debie führte mit dem marokkanischen Inlandsgeheimdienst DGST ein persönliches Gespräch zum späteren Attentäter vom Breitscheidplatz. Insgesamt vier Vorgänge wurden zwischen Deutschland und Marokko bewegt. Laut Debie kein 08/15-Fall, aber auch noch nichts, was über den Standardaustausch zu verdächtigen Personen hinausgehe. Der DGST hätte Facebook ausgewertet und den deutschen Inlandsbehörden nicht nur Telefonnummern mitgeteilt, sondern auch den bevorzugten Aufenthaltsort des späteren Attentäters in Dortmund. Auf Debie wirkt das nicht ungewöhnlich, denn er weiß aus seiner ehemaligen Tätigkeit in der Spionageabwehr um die Agententätigkeiten ausländischer Dienste in Deutschland.

Wenig interessiert an diesen Erkenntnissen gab sich das Bundesamt für Verfassungsschutz. Martina Renner macht deutlich, dass sich vorangegangene Zeugen despektierlich über den marokkanischen Dienst geäußert und von Wichtigtuern gesprochen hatten, die sich nur anbiedern wollen würden. Debie teilt diese Sicht nicht. Über seinen Tisch liefen auch Informationen zu Bilel ben Ammar sowie libysche Telefonnummern, die er im Januar 2017 nach Deutschland weiterleitete.

Eine direkte Verbindung zu den Luftschlägen, die das US-Militär in der Nacht vom 18. zum 19. Januar 2017 in Libyen durchführte, bei denen ein angeblicher Kontaktmann des Breischeidplatz-Attentäters getötet wurde, stellt Debie in öffentlicher Sitzung nicht her. Konstantin von Notz arbeitet in seinen Fragerunden heraus, dass Debie nicht durch das Bundesinnenministerium befragt wurde. Ende Februar 2019 beteuerte Horst Seehofer nach einer taskforce-artigen Fleißarbeit für sein Ministerium, alle Informationen zu Bilel ben Ammar zusammengetragen zu haben. Mit einem umfangreichen Schriftsatz wurde die Presse informiert. Der Untersuchungsausschuss wäre verantwortlich für die Ermittlungsarbeit, die das Innenministerium in jeder Hinsicht unterstützen würde. Warum er im Zuge dieser Fleißarbeit nicht befragt worden war, kann Debie in der Sitzung nicht erklären.


Werbeblock GTAZ

Unter der Führung von CDU/CSU und SPD erhalten die Obleute im Ausschuss am Abend dann eine umfassende Einweisung in das gemeinsame Terrorabwehrzentrum GTAZ. Zeuge Martin Kurzhals schildert wortreich die Zusammenarbeit im GTAZ. Der Beamte des höheren Dienstes arbeitet hier als Verbindungsbeamter des BKA. Er beschreibt seine Aufgaben, zu denen auch die Moderation der Sitzungen des operativen Informationsaustausches zählt.

Anders als seine Kollegin des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die an denselben Sitzungen teilnahm, verfügt Kurzhals über Erinnerungsvermögen. Zeugin Petra M. hatte Ende Januar 2019 vor dem Ausschuss nahezu keine Erinnerung an die Namen und Vorgänge, die Kurzhals nun präzise beschreibt. Insgesamt sechs Sitzungen mit Bezug zum späteren Attentäter hätte er in seiner Zeit im GTAZ moderiert. Die Zusammenarbeit mit den anderen Behörden beschreibt er als ergebnisorientiert.

Widersprüche

Martin Kurzhals (BKA-Beamter im GTAZ)

In Erklärungsnot gerät Kurzhals, als es um das Behördenzeugnis geht, das für den späteren Attentäter durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ausgestellt wurde. Kurzhals liefert keine schlüssige Erklärung dafür, warum in einem „reinen Polizeifall“ plötzlich das Bundesamt für Verfassungsschutz bereitwillig ein Behördenzeugnis formuliert. Mit einem Behördenzeugnis werden Quellen vor Strafverfolgung, aber auch vor dem Zugriff anderer Behörden geschützt.

Irene Mihalic (Grüne) ist irritiert: „Wenn doch alle vertrauensvoll in der AG Operativer Informationsaustausch zusammengearbeitet haben, warum dann ein Behördenzeugnis?“

Auch für Konstantin von Notz (Grüne) ist die Ausstellung des Behördenzeugnisses durch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Fall des späteren Attentäters nicht nachvollziehbar. „Der Präsident schreibt von unbestätigten Hinweisen, wissend, wenn jetzt was passiert, hängt er dafür aus dem Fenster“, schildert Notz und verlangt eine Erklärung, die Kurzhals nicht liefern kann. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) versucht Kurzhals zu helfen und zieht gegenüber Konstantin von Notz die Rechtfertigungen heran, die der Verfassungsschutz dazu lieferte. Eine wirkliche Erklärung ist aber auch das nicht.

Personalrochade am späten Abend

Kurz vor Ende des öffentlichen Teils der Sitzung fordert der Obmann der FDP Benjamin Strasser eine Beratungssitzung ein. Erneut sei ein Vertreter der Bundesregierung, der an diesem Abend mit im Ausschusssaal sitzt, als möglicher Zeuge befangen und müsse deshalb den Saal verlassen, wie es aus SPD-Kreisen heißt. Offenbar war sein Name in den Unterlagen aufgetaucht, die Strasser vorliegen. Bereits im September 2018 war die Bundesregierung mit der Personalie Eva H. in gleicher Weise unangenehm aufgefallen.

Aus Zeitgründen muss auf den BND-Zeugen R.W. an diesem Abend verzichtet werden, der ohnehin nur nicht-öffentlich vor dem Ausschuss aussagen darf.

18. Sitzung vom 14.03.2019 – Tatort Krefeld: Der Anruf des Herrn Elka

Die Zeugenaussage eines Krefelder Kriminalkommissars fördert einen künftigen Zeugen zu Tage. Beifang an einem ereignisarmen Tag.

Zeuge Wolfgang D. wäre die Idealbesetzung, sollte die ARD irgendwann einmal einen Tatort in Krefeld drehen. Jargon, Auftreten und nicht zuletzt die schwarze Lederjacke suggerieren einen Ermittler, bei dem sich Kriminelle ordentlich Ärger einfangen können.

Im Fall des späteren Attentäters begann Wolfgang D. zunächst eine verdeckte Ermittlung und ging den Hinweisen des Heimbewohners Lokmann D. nach. Unter einem Vorwand lud er ihn in die Ausländerbehörde ein. Die Hinweise deuteten darauf hin, dass der spätere Breitscheidplatz-Attentäter nicht nur als Sozialbetrüger unterwegs war, sondern auch mit dem IS sympathisierte.

Wolfgang D., KHK Krefeld

Doch schon kurz nach dem Gespräch im Oktober 2015 meldete sich im November 2015 das LKA aus Nordrhein-Westfalen und pfiff Wolfgang D. zurück. Am Telefon äußerte Herr Elka, er sei aus der Ermittlungskommission Ventum. Man hätte die Zielperson, die Wolfgang D. untersuchte, ebenfalls im Blick, und seine Ermittlungen würden die der EK Ventum gefährden. „In jedem zweiten Tatort gibt es so einen Fall“, sagt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU) und hakt nach: „In jedem zweiten Tatort macht der Kommissar dann aber weiter. Wie war das bei ihnen?“

Doch schon kurz nach dem Gespräch im Oktober 2015 meldete sich im November 2015 das LKA aus Nordrhein-Westfalen und pfiff Wolfgang D. zurück. Am Telefon äußerte Herr Elka, er sei aus der Ermittlungskommission Ventum. Man hätte die Zielperson, die Wolfgang D. untersuchte, ebenfalls im Blick, und seine Ermittlungen würden die der EK Ventum gefährden. „In jedem zweiten Tatort gibt es so einen Fall“, sagt der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU) und hakt nach: „In jedem zweiten Tatort macht der Kommissar dann aber weiter. Wie war das bei ihnen?“

Standard-Drehbuch

Auch Wolfgang D. ermittelte weiter. Nicht ganz so spektakulär, wie es die Drehbuchautoren für einen Tatort ersinnen würden. Doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass der Fall nochmal relevant werden würde. Eine Kopie der dünnen Akte blieb auf seinem Tisch und wurde gut zehn Monate später im August 2016 wieder zum Thema. Nach einer Razzia in einem Reisebüro in Duisburg wurde der spätere Attentäter als einer der Schüler des Hasspredigers Abu Walaa identifiziert. Wolfgang D. gab den Fall als Prüffall Islamismus an den zuständigen Bearbeiter ab. Für das Bauchgefühl des Ermittlers interessierte sich danach aber niemand mehr. Weder Wolfgang D. noch sein Kollege, Kriminalhauptkommissar K., wurden von der BAO City befragt, der Ermittlergruppe, die nach dem Anschlag im Dezember 2016 die Hinweise zum Attentäter zurückverfolgen sollte.

Im Blick der Behörden

Die Zahl der Behörden, unter deren Augen der spätere Attentäter weitestgehend ungehindert agieren konnte, wächst von Sitzung zu Sitzung. Bedauerlich nur, dass Zeugen mitunter nicht genau erläutern können, mit welchen Behörden sie in Kontakt waren. So beschreibt der Asylbetreuer Wilhelm Berg, fleißig weitergemeldet zu haben, was ihm ungewöhnlich vorkam. Schließlich hätte es sich um eine Weisung seiner Vorgesetzten gehandelt, die ihn schon im September 2015 auf eine Problematik mit dem späteren Attentäter hingewiesen und ihn dazu angehalten hätten zu beobachten, zu melden, aber nichts darüber hinaus zu unternehmen.

Wilhelm Berg, Flüchtlingsunterkunft Emmerich

Im späteren Kontakt mit Ermittlern reichte dem Zeugen Berg die grobe Einordnung „Staatsschutz“. Er fragte nicht näher nach, ob es sich um Verfassungsschutz, Polizei oder eine andere Organisation handelte. Vorgestellt hatten sich die ermittelnden Herren schließlich bei seinem Vorgesetzten. Für Berg reichte das.

Herr K., KHK Krefeld

Auch Kriminalhauptkommissar K. äußert Verständnis für Geheimhaltung. Seiner Ansicht nach ist diese unerlässlich. Er erlebte im Fall des Attentäters, dass interne Dokumente, wie zum Beispiel Personagramme des späteren Attentäters, sehr schnell an die Presse gelangt waren. Eines dieser Personagramme wurde wenige Tage vor dem Anschlag mit dem Hinweis „nachrichtendienstliche Beobachtung“ ergänzt. Von wem diese Ergänzung vorgenommen wurde, weiß K. jedoch nicht. Es ist auch kurz vom Bundesnachrichtendienst die Rede, aber eher auf einer unpräzisen Ebene, weil ein Polizeikollege eine Andeutung gemacht hätte, dessen Einschätzung eigentlich immer gut sei.

Abschirmung

So langwierig und redundant die Befassung mit manchen Zeugen im Untersuchungsausschuss mitunter ist, so sehr zementieren Aussagen wie die der Mitbewohner, Betreuer und ermittelnden Polizeibeamten, dass die Gefährlichkeit des späteren Attentäters nicht zu übersehen war.

Kopfschütteln und Unverständnis zeigen auch die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden des Anschlags angesichts der Ermittlungstaktik, die von Landeskriminal- und Verfassungsschutzämtern an den Tag gelegt wurde: Gewähren lassen. Geheim halten. Nicht einschreiten.

UAPOD.Berlin – Folge 012 vom 14.03.2019

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Daniel Lücking

https://www.freitag.de/autoren/daniel-luecking/tatort-krefeld-der-anruf-des-herrn-elka

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In der 12. Folge sprechen wir über die Zeugen Wilhelm Berg (Flüchtlingsbetreuer in einer Unterkunft in Emmerich) sowie Kriminalhauptkommissar Wolfgang D. und Kriminalhauptkommissar K. aus Krefeld.
Der Zeuge Lokman D. über den wir in der letzten Folge sprachen hatte A. bei den Behörden als auffällig gemeldet. Die Zeugen in dieser Folge sind die Beamten, die mit dem späteren Attentäter beschäftigt waren.

UAPOD.Berlin – Folge 005 vom 08.11.2018 – LAGeSo…lala

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Daniel Lücking

  • Heute hörten wir zwei Zeugen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
    Frau Jaqueline Wagner und Herrn Michael Wolter.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Reduktion durch Redundanz“

UAPOD.Berlin – Folge 004 vom 18.10.2018 – Mitarbeiter des Monats

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Daniel Lücking

  • Wir hörten dieses mal die Zeugen Andrea Hilpert-Voigt und Harald Bohn aus dem Regierungspräsidium Stuttgart und Thilo Bork vom Bundesamt für Verfassungsschutz.
  • Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Schrödingers Verfassungsschutz“

10. Sitzung am 18. Oktober 2018 – Schrödingers Verfassungsschutz

Schrödingers Verfassungsschutz

Berlin ist immer eine Reise wert. Das wissen jetzt auch zwei weitere Zeugen, die wenig Erhellendes beitragen, während der Verfassungsschutzzeuge mauert

Kaum 45 Minuten brauchen die sechs Bundestagsfraktionen, um ihre Fragen an die beiden Zeugen aus der Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete in Ellwangen zu richten, die nach Berlin eingeladen wurden. Beide haben keine Erinnerung an den Attentäter, weil sie in den Jahren 2015 und 2016 in einem Massenverfahren täglich über mehrere Stunden Geflüchtete erfassten und die Erstaufnahmestelle mehr als das Doppelte der vorgesehenen Kapazitäten aufnehmen musste.

Alles nicht neu

Sowohl die Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtungen als auch die Herausforderungen bei der Erfassung der ankommenden Geflüchteten zählen seit der Expertenanhörung in der ersten öffentlichen Sitzung zum Allgemeinwissen des Ausschusses. Die von den Regierungsfraktionen gewünschte chronologische Vorgehensweise in der Aufarbeitung wird auch in Zukunft dafür sorgen, dass Zeugen ihre Aussagen wiederholen müssen, die sie bereits vor anderen Untersuchungsausschüssen abgegeben haben. Dabei könnten deren Erkenntnisse, so denn wirklich gebraucht, auch durch Beiziehung von Protokollen in den Bundestagsausschuss einfließen.

Andrea Hilpert-Voigt + Harald Bohn (Regierungspräsidium Stuttgart), Thilo Bork (BfV) am 18.10.2018

Mit dem Zeugen Thilo Bork beginnt der relevante Teil des Ausschusstages. Zuständig für die Beschaffung von Informationen zählt Bork mit den Zeugen Freimuth, Siebertz und C. M. (in geheimer Sitzung vernommen) zu den Personen, die im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für islamistischen Terrorismus zuständig sind.

Show must go on

Bork trommelt fleißig für den Verfassungsschutz. Sein Eingangsstatement habe er selbst verfasst. Die Entscheidung dafür sei jedoch „ein Mix“ aus eigener Motivation und dem Zuraten seines Chefs und Borks Ehefrau gewesen. Was überwiegend klingt wie ein Wikipedia-Eintrag zum Verfassungsschutz und ganz auf der Linie vom designierten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ist, garniert Bork mit reichlich Street-Credibility.

Der angeblich 1970 geborene Bork sagt aus: „Ich habe angefangen in der Beschaffung, auch als Quellenführer. Das heißt, ich war auf der Straße. … Ich kann sagen, dass ich meine zu wissen, wovon ich spreche.“ Bork weiß um die Probleme, die sein Job mit sich bringt: „Selbst wenn man Leute kennenlernen will, schafft man es nicht immer, Leute auch kennenzulernen.“ Zeuge Bork ist sichtlich bemüht, die Erzählung aufrechtzuerhalten, der Verfassungsschutz habe mit dem Fall des Attentäters nichts zu tun gehabt.

In seinem Reden schwingt ein Unterton mit, dass ohnehin nur Verfassungsschützer wirklich verstehen, was Verfassungsschützer tun. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, warum Journalisten und Parlamentarier den Eindruck haben, es hätte rund um den Attentäter nur so von V-Leuten, Informanten und Quellen gewimmelt, die durch zahlreiche Behörden in die Fussilet-Moschee entsandt worden wären. Die Moschee ist einer von vielen „Hotspots“, die nach der Beschreibung von Bork immer wieder für einen kurzen Zeitraum in die Aufmerksamkeit von Behörden gerieten und dann wieder an Relevanz verlören.

Der Trommler vom Verfassungsschutz

Bork will die Definitionshoheit des BfV erhalten. „Wir haben eine andere Definition des nachrichtendienstlichen Umfeldbegriffs“, reizt Bork die Geduld des Grünenparlamentariers Konstantin von Notz. „Wahrscheinlich waren eben doch fünf Leute im direkten Umfeld von Amri in der Fussilet-Moschee. … aber Sie sagen jeden Tag in jede Kamera, es sei niemand dran gewesen“, kritisiert von Notz die Verfassungsschutzerzählung.

Dabei ist zunächst einmal nachvollziehbar, was Verfassungsschutzmann Bork beschreibt. Ein Attentäter, der im Geheimen vorgeht, wird nicht unbedingt viel Wert auf einen großen Freundeskreis legen und sich bereitwillig mit immer neuen Menschen treffen. Unglaubwürdig wird das Handeln des Verfassungsschutzes und anderer Behörden aber spätestens am 15. Juni 2016, als der spätere Attentäter aus der Observation genommen wurde und dennoch bis zum November 2016 immer wieder auf den Tagesordnungen des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ stand.

Behördenübergreifend war der Attentäter insgesamt elf Mal auf den Tagesordnungen. Wo die Fakten stören, braucht es eine neue Sprache. „Im Umfeld von Amri waren wir nicht vertreten“, sagt Zeuge Bork aus und meint wohl das nachrichtendienstliche Umfeld. Im allgemeinsprachlichen Verständnis von „Umfeld“, das Parlamentarier und Öffentlichkeit pflegen, gab es mindestens Kontakte zu einer Mitfahrgelegenheit und einem Wohnungsgeber. Es gab Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten zur Person des späteren Attentäters. Und es darf davon ausgegangen werden, dass Quellen des Verfassungsschutzes und der Polizeien, die den Attentäter später auf Lichtbildvorlagen erkannten, auch in den Moscheen zugegen waren, in denen der Attentäter ein und aus ging.

Ziemlich viel, was auf der Umfeldliste zusammenkommt. Und da hilft der Begriff des „nachrichtendienstlichen Umfeldes“ schon sehr, wenn das Adjektiv „nachrichtendienstlich“ die Bedeutung des Wortes „Umfeld“ nötigenfalls ins Gegenteil verkehren kann. Ein Paradoxon, das von der Beteiligung des Verfassungsschutzes ablenken soll, der unter keinen Umständen verantwortlich dafür sein will, dass es trotz aller Beobachtungs- und Analysemaßnahmen immer ein Restrisiko gibt, dass ein Attentäter so geheim agiert, dass er den Behörden entgeht.

Verheerendes Bild

Einen Fehler einzugestehen, scheint unmöglich. Doch statt sich nun bedeckt zu halten, lässt Zeuge Bork keine Gelegenheit ungenutzt, Angst zu verbreiten. Man hätte es damals mit einer mittleren dreistelligen Zahl an Gefährdern zu tun gehabt, die ähnlich problematisch gewesen wären wie der Attentäter. Während sich die Zuhörenden unweigerlich ausmalen, was der Effekt wäre, würden alle diese potentiellen Attentäter so handeln, wie es am Breitscheidplatz geschah, schrumpft die im Raum stehende Zahl.

Als Obleute nachhaken, wie viele der Gefährder denn potentielle Attentäter seien, spricht Zeuge Bork von einem zweistelligen Bereich bis hin zu dem Eingeständnis, eigentlich keine genaue Zahl nennen zu können. „Ein verheerendes Bild, das vom Verfassungsschutz dadurch in der Öffentlichkeit entsteht“, resümiert Konstantin von Notz.