Ein Tagesprogramm mit vier Zeugen war geplant. Namentliche Abstimmungen schrumpfen die Zeugenliste auf zwei Zeugen zusammen.
Obwohl der Sitzungsbeginn vorverlegt worden
war, konnte das angestrebte Tagesprogramm im
Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss nicht erfolgreich umgesetzt
werden. Die vierstündige Unterbrechung, bedingt durch namentliche
Abstimmungen, reduzierte dann auch die Öffentlichkeit auf der
Besuchertribüne merklich.
Zu Sitzungsbeginn sind immerhin gut
30 Menschen auf der Tribüne, darunter auch Medien des tagesaktuellen
ARD-Hörfunks und der Deutschen Welle. Als der Ausschuss am Abend
fortsetzt, sind unter den verbliebenen zehn Besucher_innen nur noch
freie Journalist_innen, eine dpa-Reporterin, Vertreter von Print- und
Onlinemedien und ein Überlebender des Anschlags.
Aus Marokko angereist
Offen und auskunftsfreudig tritt Robin O. Debie vor dem Ausschuss auf. Der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes BKA ist in Rabat eingesetzt und seit mehreren Jahren für Marokko und Mauretanien verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehört der vertrauensvolle Austausch mit den lokalen Polizeibehörden und Inlandsgeheimdiensten. Debie macht präzise Angaben zu seinem Job. Etwa 65 Prozent seiner Arbeit entfielen auf islamistischen Terrorismus und rund 20 Prozent auf Rauschgiftkriminalität. Hinzu kommen Zielfahndungen und Ausbildungsmaßnahmen, beschreibt der Beamte.
Debie genießt nach vier Jahren im Land das Vertrauen der marokkanischen Dienste. Das Land beschreibt er als relevanten Zulieferer von Sicherheitsinformationen. Im Gespräch mit Martina Renner (Linke) wird deutlich, dass es in den vergangenen Jahren ernstzunehmende Hinweise aus Marokko gab, die konkrete Maßnahmen in Deutschland nach sich zogen. Debie bejaht, als Martina Renner von der Räumung von Bahnhöfen oder anderen Verkehrspunkten spricht.
Hochwertige Hinweise
Debie
führte mit dem marokkanischen Inlandsgeheimdienst DGST ein persönliches
Gespräch zum späteren Attentäter vom Breitscheidplatz. Insgesamt vier
Vorgänge wurden zwischen Deutschland und Marokko bewegt. Laut Debie kein
08/15-Fall, aber auch noch nichts, was über den Standardaustausch zu
verdächtigen Personen hinausgehe. Der DGST hätte Facebook ausgewertet
und den deutschen Inlandsbehörden nicht nur Telefonnummern mitgeteilt,
sondern auch den bevorzugten Aufenthaltsort des späteren Attentäters in
Dortmund. Auf Debie wirkt das nicht ungewöhnlich, denn er weiß aus
seiner ehemaligen Tätigkeit in der Spionageabwehr um die
Agententätigkeiten ausländischer Dienste in Deutschland.
Wenig
interessiert an diesen Erkenntnissen gab sich das Bundesamt für
Verfassungsschutz. Martina Renner macht deutlich, dass sich
vorangegangene Zeugen despektierlich über den marokkanischen Dienst
geäußert und von Wichtigtuern gesprochen hatten, die sich nur anbiedern
wollen würden. Debie teilt diese Sicht nicht. Über seinen Tisch liefen
auch Informationen zu Bilel ben Ammar sowie libysche Telefonnummern, die
er im Januar 2017 nach Deutschland weiterleitete.
Eine direkte
Verbindung zu den Luftschlägen, die das US-Militär in der Nacht vom 18.
zum 19. Januar 2017 in Libyen durchführte, bei denen ein angeblicher
Kontaktmann des Breischeidplatz-Attentäters getötet wurde, stellt Debie
in öffentlicher Sitzung nicht her. Konstantin von Notz arbeitet in
seinen Fragerunden heraus, dass Debie nicht durch das
Bundesinnenministerium befragt wurde. Ende Februar 2019 beteuerte Horst
Seehofer nach einer taskforce-artigen Fleißarbeit für sein Ministerium,
alle Informationen zu Bilel ben Ammar zusammengetragen zu haben. Mit
einem umfangreichen Schriftsatz wurde die Presse informiert. Der
Untersuchungsausschuss wäre verantwortlich für die Ermittlungsarbeit,
die das Innenministerium in jeder Hinsicht unterstützen würde. Warum er
im Zuge dieser Fleißarbeit nicht befragt worden war, kann Debie in der
Sitzung nicht erklären.
Werbeblock GTAZ
Unter der Führung von CDU/CSU und SPD erhalten die Obleute im Ausschuss am Abend dann eine umfassende Einweisung in das gemeinsame Terrorabwehrzentrum GTAZ. Zeuge Martin Kurzhals schildert wortreich die Zusammenarbeit im GTAZ. Der Beamte des höheren Dienstes arbeitet hier als Verbindungsbeamter des BKA. Er beschreibt seine Aufgaben, zu denen auch die Moderation der Sitzungen des operativen Informationsaustausches zählt.
Anders als seine Kollegin des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die an denselben Sitzungen teilnahm, verfügt Kurzhals über Erinnerungsvermögen. Zeugin Petra M. hatte Ende Januar 2019 vor dem Ausschuss nahezu keine Erinnerung an die Namen und Vorgänge, die Kurzhals nun präzise beschreibt. Insgesamt sechs Sitzungen mit Bezug zum späteren Attentäter hätte er in seiner Zeit im GTAZ moderiert. Die Zusammenarbeit mit den anderen Behörden beschreibt er als ergebnisorientiert.
Widersprüche
In
Erklärungsnot gerät Kurzhals, als es um das Behördenzeugnis geht, das
für den späteren Attentäter durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
ausgestellt wurde. Kurzhals liefert keine schlüssige Erklärung dafür,
warum in einem „reinen Polizeifall“ plötzlich das Bundesamt für
Verfassungsschutz bereitwillig ein Behördenzeugnis formuliert. Mit einem Behördenzeugnis werden Quellen vor Strafverfolgung, aber auch vor dem Zugriff anderer Behörden geschützt.
Irene Mihalic (Grüne) ist irritiert: „Wenn
doch alle vertrauensvoll in der AG Operativer Informationsaustausch
zusammengearbeitet haben, warum dann ein Behördenzeugnis?“
Auch für Konstantin von Notz (Grüne) ist die Ausstellung des Behördenzeugnisses durch das Bundesamt für Verfassungsschutz im
Fall des späteren Attentäters nicht nachvollziehbar. „Der Präsident
schreibt von unbestätigten Hinweisen, wissend, wenn jetzt was passiert,
hängt er dafür aus dem Fenster“, schildert Notz und verlangt eine Erklärung, die Kurzhals nicht liefern kann. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU/CSU) versucht Kurzhals zu helfen und zieht gegenüber Konstantin von Notz die Rechtfertigungen heran, die der Verfassungsschutz dazu lieferte. Eine wirkliche Erklärung ist aber auch das nicht.
Personalrochade am späten Abend
Kurz vor Ende des öffentlichen Teils der Sitzung fordert der Obmann der FDP Benjamin Strasser eine Beratungssitzung ein. Erneut sei ein Vertreter der Bundesregierung, der an diesem Abend mit im Ausschusssaal sitzt, als möglicher Zeuge befangen und müsse deshalb den Saal verlassen, wie es aus SPD-Kreisen heißt. Offenbar war sein Name in den Unterlagen aufgetaucht, die Strasser vorliegen. Bereits im September 2018 war die Bundesregierung mit der Personalie Eva H. in gleicher Weise unangenehm aufgefallen.
Aus Zeitgründen muss auf den BND-Zeugen R.W. an diesem Abend verzichtet werden, der ohnehin nur nicht-öffentlich vor dem Ausschuss aussagen darf.