- Heute hörten wir zwei Zeugen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
Frau Jaqueline Wagner und Herrn Michael Wolter. - Daniel Lücking über den Ausschusstag im Der Freitag – Community-Blog: „Reduktion durch Redundanz“
Schlagwort: Michael Wolter (Seite 1 von 1)
Die große Koalition kocht derzeit ein ganz eigenes Süppchen. Ein kleines Kochrezept für die Reduktion von Medienöffentlichkeit rund um das Attentat vom Breitscheidplatz.
Ein Sitzungstag ‒ so vorhersehbar in den Abläufen wie in seinem Endergebnis. Ohne die achtköpfige Reisegruppe aus Münster wäre die Besuchertribüne mit kaum mehr als zehn Menschen gefüllt gewesen. Darunter bereits zwei Saalpolizisten. Auch Medienvertreter sind bei der Vernehmung der LaGeSo-Zeugen kaum zu finden. Ein freier Hörfunkjournalist der ARD und ein Journalist vom Hausmedium des Bundestags: Stammgäste auf der Tribüne.
Bei anderen Medien scheitert der Ausschuss. Das müsste so nicht sein und ist wohl der Taktik der CDU/CSU zu verdanken, die von der SPD mitgetragen und von der Opposition kritisiert wird. Als sich in den Pressegesprächen bei Linksfraktion und Grünen abzeichnet, dass in dieser Woche nur Wunschzeugen der Koalition öffentlich vernommen werden, winkt Redaktion für Redaktion ab.
Das Thema sei ohnehin nur schwer im Programm zu platzieren, ist zu vernehmen. Ohne den Verfassungsschutzzeugen in öffentlicher Sitzung lohne sich der Tag nicht. Zwei große Zeitungen kommen noch zum Pressehintergrundgespräch bei den Grünen, sparen sich dann aber den Weg in den Ausschuss. Zu Recht.
Es passiert wenig. Wenn überhaupt etwas zu Tage gefördert wird ‒ so weiß man aus den vergangenen Sitzungen ‒ dann erst, nachdem die Zeugen der Koalition gehört wurden. Zeugen, an denen sich die Abgeordneten der CDU/CSU langwierig abarbeiten. Zeugen, die wiederholen, was bereits in Expertenanhörungen im Mai über die Aufnahme von Asylbewerbern gesagt wurde: 2015 war die Erfassung der Geflüchteten ineffektiv und fehlerträchtig. Fingerabdrücke wurden mit Tinte und Papier erfasst und erst so spät digitalisiert, dass eine deutschlandweite Abfrage gar nicht möglich war. Mehrfacherfassungen kamen vor, auch weil Sprachmittler eben keine ausgebildeten Dolmetscher sind und es keine einheitlichen Regeln für die Übersetzung vom arabischen ins lateinische Schriftbild gab.
Aktualität
Auch in dieser Sitzung erläutern Zeugin und Zeuge ihre Routineaufgaben im Jahr 2015. Alles problematisch. Alles bedauerlich. Alles kritikwürdig. Aber eben auch alles schon mehrfach durch Experten beschrieben und längst Teil des Allgemeinwissens. Nachzulesen in der Presse und in Ausschussakten und Gutachten der Landesausschüsse.
Zeuge Michael Wolter hat sich mit einem Rechtsbeistand aus Potsdam ausgestattet. Nötig wäre das nicht gewesen, denn seine Arbeit hat er unter den damals gegebenen Bedingungen vorbildlich erledigt. Ob des irregeleiteten Gesprächsbedarfs der CDU/CSU kann die Begleitung aber nicht schaden. Obleute der Regierungsfraktionen und der AfD fragen ungläubig, warum Sprachmittler nicht vermerken, wenn bei der Ersterfassung von Geflüchteten der gesprochene Dialekt Zweifel an der angegebenen Herkunft nahelegen.
Wolter beschreibt den Fragenden, unter denen sich Juristen und Verwaltungshochschuldozenten befinden, dass ein Sprachmittler, der in der Ersterfassung arbeitet, eben kein amtlich vereidigter Übersetzer ist, wie sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Einsatz kommen. Für eine rechtsverbindliche Aussage sind Sprachmittler nicht hinreichend qualifiziert.
Seine Kollegin Jacqueline Wagner beschreibt, dass sie zu viele Fälle pro Tag bearbeiten musste und hätte gerne die notwendigen zwanzig Minuten Bearbeitungszeit pro Fall gehabt. Doch es musste schnell gehen. Als Sachkundige waren beide zudem sehr bald dafür zuständig, Hilfskräfte bei den Erfassungsprozessen anzuleiten.
Nun sitzen Wagner und Wolter vor dem Ausschuss, weil ihre Computeraccounts von eben diesen Hilfskräften mitbenutzt worden waren. Hilfskräfte, die teilweise auch aus dem Wachbataillon der Bundeswehr kamen, während sich an anderer Stelle in Deutschland ein offenbar rechtsradikaler Soldat unter die Asylantragstellenden mischte und wohl das Ziel verfolgte, einen Anschlag zu begehen, der dann den Geflüchteten untergeschoben werden sollte. Filmstoff, den sich niemand ausdenken kann.
Dienste schützen um jeden Preis
Aus gesundheitlichen Gründen war Verfassungsschutzzeuge Eric Rehnsdorf eine öffentliche Vernehmung nicht zuzumuten, heißt es. Ohnehin lohne sich eine auf zwei Stunden limitierte öffentliche Vernehmung ob der zu erwartenden langatmigen, oft plump durchgeführten CDU/CSU-Verzögerungsspielchen nicht.
Hinter verschlossenen Türen hörte der Ausschuss dann erneut den Zeugen Gilbert Siebertz und hofft auf eine zeitnahe Genesung von Rehnsdorf. Nach der nächsten Sitzung am 29.11.2018 blicken die Parlamentarier auf neun Monate Ausschussarbeit zurück und können einige wenige Erkenntnisse aus den Befragungen von Oppositionszeuginnen verzeichnen, dafür aber reichlich haarklein sezierte und dokumentierte Routinevorgänge deutschen Verwaltungshandelns. Aufklärung geht anders.
Parteiinteressen versus Aufklärung
Derweil hofft die AfD-Fraktion darauf, wieder einmal Stimmung gegen Kanzlerin Merkel machen zu können. Zu spät hätte man sich um die Digitalisierung gekümmert, die es erst 2016 möglich machte, Finger- und Handabdrücke zu erfassen. Die immer wieder ausgelegten Einladungen der AfD, doch mal richtig auf die Kanzlerin und die Willkommenskultur zu schimpfen, ignorieren die Behördenmitarbeiter_innen überwiegend und bleiben neutral.
Ordentlich Jagdtrieb legen Linke, Grüne und auch die FDP an den Tag, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Niema Movassat fragt noch pflichtschuldig nach eventuellen Kontakten zu Nachrichtendiensten, was jedoch verneint wird. In anderen Sitzungen bringt es Movassat aber auch schon einmal schnell auf den Punkt: „Wir haben keine Fragen in öffentlicher Sitzung.“
Das ist kein Desinteresse. Zu oft schon hatten die Zeugen der Koalition bereits nach 15 Minuten erschöpfend Auskunft erteilt, um daraufhin weitere 15 Minuten paraphrasierte Fragen zu beantworten und sich in der restlichen Zeit sichtlich zu wundern, warum sie immer noch befragt wurden. Schließlich hatten sie doch ihre Aussage bereits vor den Landesuntersuchungsausschüssen in NRW oder Berlin gemacht.
Die Vertreter der SPD tragen die schlecht getarnte Verzögerungstaktik der CDU/CSU mit und verzichten fast gänzlich auf die Jagd. Ein bisschen Empörung ob des Verfassungsschutzpräsidenten – Pflichtprogramm als Sidekick für die Partei, die hier den Ton angibt.
Fehlgeleiteter Unions-Elan
So leidenschaftlich und hartnäckig sich die Unionsparteien mit den Routinevorgängen befassen, so still sind sie, wenn es darum geht, über ihre Ausschussarbeit zu sprechen.
Eine proaktive Pressearbeit findet rund um den Ausschuss seitens der ansonsten umtriebigen CDU/CSU nicht statt. Rund 700 Pressemeldungen pumpte die CDU/CSU im Jahr 2018 bisher in die Postfächer der Abonnenten. Pressemeldungen zum Untersuchungsausschuss sucht man vergebens, seit dieser im März 2018 angekündigt wurde. Im Kontext „Untersuchungsausschuss“ gibt es auf der Presseseite der Union zwar reichlich Treffer, jedoch eben nur in Bezug auf den geforderten Ausschuss zum BAMF, der sich mittlerweile als Luftnummer aus dem rechtskonservativen Lager herausstellte.
Auch auf den Twitteraccounts der ansonsten mitteilungsfreudigen Unionsabgeordneten ist kaum etwas zu finden. Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster nutzte das Thema im Oktober kurz, um dem mittlerweile Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen beizuspringen. Im September verteidigte Schuster den mittlerweile als Verschwörungstheorethiker enttarnten Maaßen noch anlässlich einer Untersuchungsausschusssitzung und forderte die anwesenden Journalist_innen zu „einem fairen Umgang“ auf.
Das Beharren auf der chronologischen Aufarbeitung aller Stationen des späteren Attentäters wird dafür sorgen, dass erst in einigen Monaten, vielleicht auch erst im Jahr 2020 das Geschehen am Anschlagstag im Ausschuss zum Thema wird. Ganz schön unfair, falls der immer wieder drohende Koalitionsbruch irgendwann zu Neuwahlen führt und damit der Untersuchungsausschuss enden würde.