Podcast zum 1. Untersuchungsausschuss

Schlagwort: Mark Schimanski (Seite 1 von 1)

UAPOD.Berlin – Folge 008 vom 17.01.2019

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Stella Schiffczyk
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Daniel Lücking

Hier geht es zu Daniels Artikel zur Sitzung im Blog bei derFreitag

Wir hörten heute den Zeugen J., ein Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnehmeeinrichtung und Zeuge Schimanski aus Dortmund.

14. Sitzung am 17.01.2019 – Kaum frischer Wind im neuen Jahr


Kaum frischer Wind im neuen Jahr

Mit einem relevanten Zeugen startet die erste Anhörung im neuen Jahr, um anschließend mit dem zweiten Zeugen wieder zur chronologischen Aufarbeitung zurückzukehren

Zeuge Mohammed J. sagt etwa zwei Stunden vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Attentat vom Breitscheidplatz aus. Im Jahr 2015 kam er gemeinsam mit dem späteren Attentäter in einer Geflüchtetenunterkunft in Emmerich in Nordrheinwestfalen an. Dort teilten beide für etwa einen Monat ein Zimmer.

Mohammed J. beschreibt den späteren Attentäter als aufbrausend, laut und sendungsbewusst. Immer wieder wies jener andere Muslime zurecht und sagte ihnen, was sie tun oder unterlassen sollten. Mohammed J. kannte dieses Verhalten bereits von IS-Anhängern aus seinem Heimatland Syrien, die auf ihn „wirkten, als hätten sie eine Gehirnwäsche erhalten“.

Im Team übersetzen zwei Dolmetscher die Worte des Mittzwanzigers, der ruhig, geradlinig und gefasst auf die Fragen der Obleute im Ausschuss antwortet. Präzise legt er dar, welche Informationen er schon in den ersten Wochen des Zusammenlebens an die Heimleitung weitergab. Videochats mit einem eher marrokanisch-algerisch-tunesischen Akzent bekam Mohammed J. ebenso beiläufig mit wie eine gezeichnete IS-Flagge im persönlichen Notizbuch des späteren Attentäters.

Zeuge J (Mitbewohner des späteren Attentäters in der Erstaufnahmeeinrichtung in Emmerich)

Zwei Welten

Eine Freundschaft entstand nicht. Während Mohammed J. die Moschee nur zu Hochfesten wie dem Fastenbrechen aufsucht, war der spätere Attentäter täglich in der Moschee in Emmerich. „Beten kann ich auch allein für mich“, sagt Mohammed J. Er grenzte sich von den Forderungen seines Mitbewohners ab: nach Syrien gehen, kämpfen, keine Musik mehr hören und vorher möglichst viel Geld von den deutschen Behörden erschleichen. Was dazu nötig war, wusste der Tunesier offenbar sehr genau und drängte die Mitbewohner, es ihm gleich zu tun.

Einst war der spätere Attentäter selbst so wie seine Mitbewohner, rauchte und hörte Musik. Sein Leben aber hätte sich im italienischen Gefängnis geändert, als er auf Dschihadisten getroffen wäre und dann den richtigen Weg eingeschlagen hätte.

Mohammed J. berichtete der Heimleitung von den Vorkommnissen und Verhaltensweisen des Tunesiers. Auch die Zimmergenossen beschwerten sich über das Verhalten des Tunesiers. Ein Gespräch, das ein Betreuer auf Französisch mit dem späteren Attentäter geführt hatte, änderte nichts. Ein Betreuer, der die Muslime oft mit „Allahu akbar“-Grüßen provozierte. Keine Polizei, kein Verfassungsschutz – die Beobachtungen blieben ohne Reaktion der Sicherheitsbehörden.

Auch zur Jahresmitte 2016, als Mohammed J. während einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefragt wurde, ob er auf Dschihadisten oder Terroristen getroffen wäre, verwies er auf den späteren Attentäter. Doch wieder reagierten die Sicherheitsbehörden nicht.

Zu spät

Nach dem Anschlag am 19. Dezember 2016 war Mohammed J. auf das Fahndungsbild aufmerksam geworden und prüfte den Facebook-Kontakt, den er mit dem Tunesier im Jahr zuvor geschlossen habe. Er vermutete dort ein IS-typisches Bekennervideo. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Profil bereits deaktiviert. Nach dem Anschlag meldeten sich dann endlich Behördenvertreter, die sich als LKA-Beamte vorstellten, jedoch auf Mohammed J. nicht wirkten wie Polizisten in Zivil. In einem sehr kurzen Gespräch gab er nochmals zu Protokoll, was er über den Attentäter wusste. Erst jetzt in der Ausschusssitzung erfährt er, dass der Attentäter auf seiner Flucht nach dem Anschlag auch wieder durch Emmerich gekommen sein musste.

„Fassungslos!“, twittert die Obfrau der Grünen Irene Mhalic. „Mitbewohner von #Amri in Emmerich gibt früh Hinweise auf dessen IS-Bezug und wird von den Sicherheitsbehörden ignoriert. Auch nach dem Anschlag fragt man ihn nicht nach Amris Fluchtweg über Emmerich. Dass Amri noch einmal dort war, erfährt er erst hier im #UA1BT.“ Mihalic bringt das Behördendilemma auf den Punkt.

Ein weiterer Mitbewohner aus der Emmericher Unterkunft ist für diesen Tag vorgeladen, erscheint aber nicht und hat sich auf die Ladung des Ausschusses nicht zurückgemeldet, wie es aus Kreisen der Obleute heißt. Dieser Zeuge hatte das auffällige Verhalten laut den Unterlagen des Ausschusses an einen anderen Mitarbeiter der Heimleitung berichtet, der daraufhin die Polizei verständigte. Eine Anhörung muss es nach dem Ausschussgeschehen zu urteilen wohl im November 2016 kurze Zeit vor dem Anschlag gegeben haben.

Auffälligkeiten

Nach der Sitzung ist klar, dass schon in der Unterkunft in Emmerich viel übersehen wurde. So wurde der Tunesier unter einem anderen Namen geführt, während er sich seinen Mitbewohnern bereits als Anis Amri zu erkennen gab. Ein Name, der auch auf Türschildern verwendet wurde. Eine Erklärung, warum ernstzunehmende Hinweise des Zeugen an die Heimleitung gingen, aber nicht zur Anzeige gebracht wurden, suchten die Obleute vergebens.

Zeuge Schimanski

Die Befragung des Zeugen Mark Schimanski kommt schon nach den ersten Sätzen zum gleichen Ergebnis wie so häufig in den vergangenen Monaten des Ausschusses: „Ich habe in der zentralen Ausländerbehörde als Registrierer in der Ersterfassung gearbeitet und kann mich an ihn [den späteren Attentäter] nicht erinnern.“

Das Befragungsprozedere der CDU/CSU-Fraktion, die auch 2019 mit der chronologischen Aufarbeitungstaktik vielen Sachbearbeitern eine Kurzreise nach Berlin ermöglicht, dehnt die Befragung dann immerhin auf knapp 40 Minuten aus.

Nicht öffentlich

Relevante Informationen darf der dritte Zeuge des Tages – Tarnname: Carlo Macri, ein Beamter aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz – dann nur noch in nicht-öffentlicher Sitzung präsentieren. Seine operative Tätigkeit verbietet eine öffentliche Aussage. Sowohl sein Anblick als auch seine Stimme sind für Gäste und Journalisten tabu. Deshalb wird die Vernehmung auch nicht in einen Nachbarsaal übertragen. Die Öffentlichkeit kann nur darauf hoffen, dass die nicht-öffentliche Aussage in Kürze als Protokoll verfügbar gemacht wird.

Die einfachste Lösung, um dem Öffentlichkeitsgrundsatz des Ausschusses gerecht zu werden, ist die technische Stimmenverfremdung. Hier mangelt es der Ausschussleitung aber wohl eher am Willen als am Budget.